Frank Hinkelmann: Die Anfänge der Pfingstbewegung in Österreich 1920–1945 in zeitgenössischen Dokumenten
Frank Hinkelmann: Die Anfänge der Pfingstbewegung in Österreich 1920–1945 in zeitgenössischen Dokumenten. Evangelisation und Gemeindegründung in schwieriger Zeit, Studien zur Geschichte christlicher Bewegungen reformatorischer Tradition in Österreich 11, 2. Aufl., Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, 2021, Pb., 154 S., € 16,–, ISBN 978-3-86269-222-4
Der Autor Frank Hinkelmann hat mehrere Leitungsfunktionen in christlichen Organisationen (u. a. ist er Rektor des Martin Bucer Seminars) und forscht im Bereich der Kirchengeschichte. Seine Schwerpunkte sind Österreich und die Evangelikale Bewegung. Er spürt zahlreiche bislang unbeachtete Quellen auf, mit deren Hilfe er die Vergangenheit ausleuchtet. Dadurch lassen sich manche Irrtümer korrigieren – dazu ein Beispiel: In Österreich kam es im Jahr 1936 – also noch vor dem Anschluss an das Deutsche Reich – zum Verbot der Tätigkeit der Pfingstgemeinden; dieses Verbot wurde in der historischen Erinnerung der Pfingstgemeinden verallgemeinert: „Öffentliche Gottesdienste von staatlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften durften nicht mehr stattfinden“ (so in: Eine Bewegung stellt sich vor. 50 Jahre Freie Christengemeinden in Österreich, Eigenverlag 1997, 17). Diese Verallgemeinerung ist falsch, denn z. B. Baptisten und Methodisten durften sich – obwohl damals nicht gesetzlich anerkannt – weiterhin versammeln.
Der Buchtitel verweist darauf, dass Hinkelmann das Thema seines Buches „in zeitgenössischen Dokumenten“ darstellt. Die ausführlichen – und kursiv gesetzten – Zitate aus solchen Dokumenten bilden den überwiegenden Teil des Buches; die dazwischenstehenden Erläuterungen Hinkelmanns erscheinen im Normaldruck (ich würde es umgekehrt machen, und die Kursivierung nicht für diese große Textmenge einsetzen).
Der Buchtitel „Anfänge der Pfingstbewegung in Österreich 1920–1945“ sagt nicht unbedingt aus, dass die Phase dieser „Anfänge“ bis zum Jahr 1945 andauerte. Der Beginn der Pfingstbewegung in Österreich wird von Hinkelmann mit dem Jahr 1920 angesetzt: Damals begann eine vorerst primär karitative Tätigkeit in Wien, ausgeübt von schwedischen Mitarbeitern und unterstützt von der Filadelfia-Gemeinde in Stockholm. Es kam bald zu einer Schwerpunktverschiebung hin zu Evangelisation und Gemeindegründung, begleitet von Diskussionen über Fragen wie: Ob eine einzelne Gemeinde einer armen 2-Millionen-Stadt karitativ merklich helfen kann? Ob man für karitative Zwecke gesammeltes Geld stillschweigend für Evangelisation umwidmen kann?
Es entstanden zwei Gemeinden mit insgesamt 300 Mitgliedern (oder Gottesdienst-Besuchern? Diese Frage lässt Hinkelmann offen: 122), außerdem Tochtergemeinden im Burgenland und in Kärnten. Es gab also – im Vergleich mit anderen neuen Bewegungen in Österreich – eine ungewöhnlich rasche Ausbreitung. Die Mehrzahl „Anfänge“ (der Pfingstbewegung), nicht „Anfang“, könnte sich darauf beziehen, dass es neben dem aus Stockholm unterstützten Anfang in Wien auch eine von der Schweizer Pfingstmission unterstützte Gruppe in Fuschl am See (im Land Salzburg) gab. Diese Gruppe begann gemäß der – sehr kurzen, nämlich nur halbseitigen – Zusammenfassung (151) im Jahr 1928. Für dieses Jahr gibt Hinkelmann aber keinen Beleg an; in dem Kapitel über Fuschl beginnt er mit dem Jahr 1929 – damals kam es erstmals zum Kontakt zwischen dieser, bereits bestehenden, Gruppe und schwedischen Missionaren (107).
Der Untertitel nennt die dargestellte Zeit eine „schwierige“. Hier würde ich präziser von einer „politisch und wirtschaftlich turbulenten Zeit“ sprechen. Die Kennzeichnung als „schwierig“ ist nicht spezifisch, denn „schwierig“ im weitesten Sinn waren für freikirchliche Gemeinschaften auch die nachfolgenden Jahrzehnte, da sie im katholisch geprägten Österreich oft als „Sekten“ beargwöhnt wurden.
Im Bericht über eine Taufe und anschließende Mahlfeier in Wien heißt es weiter: „Wir denken daran, hier in den nächsten Tagen eine Gemeinde zu gründen.“ (August 1921) Daraus schließt Hinkelmann, dass es 1921 tatsächlich zur ersten Gemeindegründung kam (39): „die Quellen zeigen eindeutig eine Gemeindegründung im Jahr 1921“. Abgesehen von dieser Absichtserklärung reden die weiteren von Hinkelmann präsentierten Dokumente jedoch nicht mehr von einer solchen Gemeindegründung. Das Schweigen der Quellen betrifft manche uns interessierende Fragen, z. B. auch folgende: Die – noch heute von den Pfingstgemeinden in Österreich gebrauchte – Selbstbezeichnung „Freie Christengemeinde“ taucht in Hinkelmanns Dokumenten erstmals 1927 auf. Es bleibt offen, wann diese Bezeichnung eingeführt wurde.
Die ersten Zwischenkriegsjahre waren insbesondere für die Stadtbevölkerung sehr hart. Die Hilfslieferungen von Filadelfia nach Wien waren ursprünglich speziell für die (protestantischen) Christen gedacht; dabei stellte sich heraus, dass die Armut unter den Lutheranern am größten war. Andere protestantische Konfessionen wurden bereits „von ihren Glaubensbrüdern“ aus dem Ausland versorgt: Reformierte aus Holland, Methodisten aus der Schweiz und Baptisten aus Amerika (16). Das Rauchen war verbreitet, wohl auch als Ersatzbefriedigung von Hungernden: „Alle Menschen rauchen, Frauen und Männer, … Selbst die Gläubigen finden es eher schwierig zu verstehen, dass Rauchen falsch ist.“ (18). Jedenfalls bieten die Dokumente anhand von Einzelfällen ein eindrückliches Bild des sozialen Umfelds, in dem die schwedischen Pfingstmissionare tätig waren. Allerdings erhalten wir bloß vereinzelt Einblicke in das Missionieren selbst – wie kam es zu Bekehrungen einiger Menschen? Neben allgemeinen erbaulichen Sätzen erwähnen die Berichte oft bloß, dass sich Menschen (in Wasser) taufen ließen. Durch die gelegentliche Erwähnung der Geistestaufe wird man daran erinnert, dass es sich um einen Bericht aus der Pfingstbewegung handelt. Die manchmal aufblitzende Naherwartung mag ebenfalls typisch pfingstlerisch gewesen sein, etwa wenn 1930 zum Gebet für die Mission in Österreich aufgerufen wird: „Es ist dringend, denn der Herr kommt bald!“ (113) Aber davor erhoffte man noch ein anderes Ereignis (1931): „Wir erwarten auch hier in Kärnten einen Spätregen, ehe der Herr kommt.“ (121).
Zu den von Hinkelmann aufgespürten Quellen gehören von den deutschsprachigen Pfingstgemeinden herausgegebene Zeitschriften: Von 1925 bis 1930 kamen solche in Wien heraus; von 1930 bis 1936 in Berlin, worin dann auch Berichte aus Österreich berücksichtigt wurden. Eine besonders wertvolle Quelle ist die Zeitschrift der Stockholmer Filadelfia-Gemeinde Evangelii Härold. Zitate daraus bringt Hinkelmann durchwegs in deutscher Übersetzung: „Alle schwedischsprachigen Quellen wurden von mir übersetzt“ (11); damit ist aber nicht gemeint, dass Hinkelmann selbst Schwedisch beherrscht. Manche Formulierungen haben im Deutschen eine im schwedischen Original vielleicht nicht beabsichtigte Wertung. So verweist ein schwedischer Spendenaufruf von 1919 auf die große Not „in der niederen Bevölkerung“. Da würden wir wohl eher von der „einfachen Bevölkerung“ sprechen. Die Pfingstgemeinde „versuchte, zum primitiven Christentum zurückzukehren“ (141) – oder zum ursprünglichen Christentum, zum Urchristentum? Auch vier schwedische Bücher zog Hinkelmann heran – beim Nennen dieser Buchtitel in der Bibliografie (154) wäre die Hinzufügung einer deutschen Übersetzung des jeweiligen Titels hilfreich. Hinkelmanns Spürsinn entgehen neben im Selbstverlag publizierten Büchern auch ungedruckte Quellen nicht, seine Bibliografie nennt maschinschriftlich vervielfältigte Manuskripte ebenso wie unveröffentlichte Abschlussarbeiten von Studenten.
Eine Veranschaulichung durch 19 Fotos aus dem Besitz von Pastor Walter Bösch trägt dazu bei, sich in jene Zeit hineinzuversetzen. Ein Register fehlt. Einen raschen Überblick gibt die Zeittafel (152). Fazit: Hinkelmann gelang es, viele verborgene Quellen aufzustöbern. Das war eine Meisterleistung. Damit vervielfachten sich unsere Kenntnisse über die Frühgeschichte der österreichischen Pfingstbewegung.
Dr. Franz Graf-Stuhlhofer BSc, Lehrbeauftragter an der KPH Wien/Krems für Kirchengeschichte und Dogmatik