Kristofer D. Holroyd: A (S)Word against Babylon
Kristofer D. Holroyd: A (S)Word against Babylon. An Examination of the Multiple Speech Act Layers within Jeremia 50–51 (SIPHRUT 22), Winona Lake: Eisenbrauns, 2017, Pb., 220 S., ₤ 36.00, ISBN 978-1-575-06492-5
In dem vorliegenden Buch (ein Vorwort ist leider nicht dabei, das die Entstehungskontexte erhellen würde) schlägt Kristofer Holroyd ein Vorgehen für die Anwendung der zunächst an einzelnen Sätzen entwickelten Analyse von Sprechakten auf umfangreichere Texte vor und führt dieses an dem Spruch gegen Babel in Jeremia 50–51 durch. Er entwickelt einen „multilevel speech act approach“, fasst also Texte und umfassendere Sprachäußerungen als Sprachhandlungen auf verschiedenen „Ebenen“ auf. Für die Auslegung von Jeremia 50–51 unterscheidet Holroyd zwei „untere Ebenen“ (lower levels), nämlich die illokutionären Handlungen, die in Bezug auf das Volk Israel und Babel vollzogen werden, wenn an diese allein der Text von Jer 50–51 ergeht, und die höheren Ebenen des Zusammenspiels kommunikativer Handlungen auf der Ebene der Fremdvölkersprüche, des Jeremiabuches als ganzem und im Kontext der Gemeinde im Exil.
Dafür kontextualisiert er im einführenden Kapitel seine Studie, indem er einerseits frühere Beispiele für die Anwendung der Sprechakttheorie auf die Exegese des Alten Testaments nennt und andererseits eine knappe Skizze zu wesentlichen Auslegungsansätzen in der Jeremiaforschung bietet und wie sich seine Studie dazu verhält.
Besonders aussagekräftig ist die hilfreiche Zusammenstellung früherer Arbeiten zu Jer 50–51; lückenhaft insbesondere in Bezug auf deutschsprachige Beiträge sind vor allem die Überblicke zur Anwendung der Sprechakttheorie in der alttestamentlichen Exegese (zu verweisen wäre neben den in einer Fußnote nur benannten insbesondere auf die wegweisenden Beiträge von H. Irsigler, Th. Hieke sowie B. Janowski und mehreren von ihm betreuten Dissertationen zu den Psalmen) und zur Jeremiaforschung (hier werden die Arbeiten von G. Wanke, K. Schmid, H.-J. Stipp und C. Maier nirgends erwähnt).
Im zweiten Kapitel umreißt er seinen Ansatz des „multilevel speech act approach“. Dazu referiert er hilfreich und recht ausführlich, wie die Pionierarbeit von John Austin und seine Unterscheidung zwischen lokutionäre, illokutionäre und perlokutionäre Handlungen, die Arbeiten von John Searle zur Unterscheidung von direkten und indirekten Sprechakten, die Bedeutung von einbeziehenden Sprechakten („self-involving speech acts“) in den Arbeiten von D. Evans, A. Thiselton und R. Briggs und schließlich von J. Searle und D. Vanderveken zur „illocutionary compatibility“ wichtige Voraussetzungen bilden für seine Wahrnehmung von Sprechakten auf unterschiedlichen „Ebenen“. Zu Recht betont Holroyd, dass die meisten kommunikativen Handlungen nicht auf einzelne Äußerungen begrenzt sind, an denen ursprünglich die Sprechakttheorie entwickelt und bewährt wurde, formuliert dann jedoch etwas übermütig, dass die Sprachhandlungen in komplexeren Gebilden bisher nicht untersucht wurden (siehe dazu unten). Die Unterscheidung der komplexen Sprachhandlungen in unterschiedliche „Ebenen“ scheint er dann maßgeblich von dem an Erzähltexten entwickelten Vorgehen in der Arbeit von Steven Mann abgeleitet zu haben, worin nach Meinung des Rezensenten ein mögliches Problem des Ansatzes liegen könnte (siehe unten).
Im dritten Kapitel präsentiert Holroyd seine Analyse der Sprachhandlungen auf den jeweiligen Ebenen (Israel und Babel auf der Ebene von Jer 50–51; die Ebene der Fremdvölkersprüche; die Ebene des Jeremiabuches; die Ebene der gottesdienstlichen Gemeinde im Exil) und fasst im 4. Kapitel seine Ergebnisse zusammen.
Da auf den „unteren Ebenen“ Holroyd seine Sprechaktanalyse nur an drei ausgewählten Abschnitten durchführt, enthält ein Anhang eine knappe Charakterisierung der Sprachhandlungen für den gesamten Text von Jer 50–51. Literaturverzeichnis, Autoren- und Bibelstellenregister schließen das anregende und in seiner Argumentation gut nachvollziehbare Buch ab.
Die Studie vermag an vielen Stellen das Potential sprechaktanalytischer Untersuchungen (besonders bei Prophetentexten) zu erhellen; so neben den untersuchten Abschnitten Jer 50,11–16 und Jer 51,34–40 in dem Zusammenspiel von Direktiven an das Schwert und kommissiven Sprechakten JHWHs in Jer 50,35–40. Weiterführend ist auf der höheren Ebene der Aufweis, wie wiederkehrende Themen in den Fremdvölkersprüchen den performativen Gehalt verstärken sowie die daran anknüpfenden Überlegungen zur unterschiedlichen Wirkung der abweichenden Reihenfolge der Fremdvölkersprüche im masoretischen Text und der Septuaginta. Erhellend und anregend ist die Verknüpfung des sprechaktanalytischen Ansatzes mit Studien zur liturgisch vermittelten Identitätsbildung und Jeremia als „Trauma-Literatur“ auf der Ebene des performativen Gehalts von Jer 50–51 im Kontext der Exilsgemeinde.
Anfragen ergeben sich vor allem zu zwei Aspekten: 1) Nicht ausgereift erscheint dem Rezensenten der Gebrauch und die Aufteilung der „unterschiedlichen Ebenen“. Holroyd nimmt einerseits die Unterscheidung von Searle zwischen direkten und indirekten Sprechakten als einer zwischen verschiedenen Ebenen auf. Dabei handelt es sich aber um eine gänzlich andere Art von „Ebenen“ als zwischen den Ebenen der unmittelbaren Spracheinheit (Jer 50–51) sowie deren Einbindung in die höheren Einheiten der Fremdvölkersprüche, des Jeremiabuches und der Gottesdienstgemeinde im Exil. Das wiederum ist aber zu unterscheiden von der Art von Erzählebenen, die bei der Analyse von Sprechhandlungen in narrativen Texten maßgeblich sind, von denen aus (siehe seine Bezugnahme auf Steven Manns Arbeit) Holroyd seinen Ansatz aber entwickelt. Unterschiedliche Kommunikationsebenen können insbesondere in Prophetenbüchern durchaus quer zu den unterschiedlichen Ebenen von unmittelbarer Sprucheinheit – umfassendere Texteinheit und ganzes Buch verlaufen.
Gerade in dieser Hinsicht ist es bedauerlich, dass Holroyd solche Arbeiten nicht berücksichtigt hat, die der Funktion der Sprechakte in ganzen Psalmen (siehe die Verweise oben) oder Prophetenbüchern nachgehen (vgl. zumindest zu größeren Abschnitten die Pionierarbeiten von Christof Hardmeier 1978 und 1990). Zu erwägen wäre auch gewesen, den eigenen Ansatz mit der ebenfalls dem kommunikativen Handeln zuzuordnenden rhetorischen Analyse von Prophetenbüchern (siehe Thomas Renz zu Ezechiel in VT.S 76, 1999, Karl Möller zu Amos in JSOT.S 372, 2003 und weitere) zu vermitteln (vgl. einen solchen Versuch bei T. Uhlig, FAT II/39, 2009).
2) Des Weiteren würde die Überzeugungskraft der Arbeit dadurch offensichtlicher, wenn deren Kompatibilität mit anderen Auslegungen weiter profiliert würde. Insbesondere redaktionskritische Arbeiten (siehe oben) nimmt Holroyd kaum in den Blick; es ist aber nicht unerheblich für die Analyse von Sprechakten, in welche Kontexte hinein sie vermittelt werden sollen. Diese anzusprechen dürfte aber ohne Auseinandersetzung mit redaktionskritischen Arbeiten, die Datierung erheblich problematisieren, nicht möglich sein.
Bei allen Anfragen aber sind diese letztlich aber vor allem Zeugnis für das Potential und die vielfachen Anregungen, die in dieser Arbeit reichlich vorhanden sind.
Prof. Dr. Torsten Uhlig, Professor für Altes Testament an der Evangelischen Hochschule Tabor, Marburg