Marc Haessig: Johann Conrad Dannhauer
Marc Haessig: Johann Conrad Dannhauer. Der Münsterprediger; Sursum Corda! Die Herzen in die Höhe!, Memmingen: Im Selbstverlag, 2019, Pb., € 38,–, ISBN 978-00-062026-3
Johann Conrad Dannhauer (1603–1666) gehört heutzutage zu den Theologen des 17. Jahrhunderts, mit deren Bekanntheit man nicht rechnen muss. Vielen ist er am ehesten als Lehrer Philipp Jakob Speners (1635–1705), der als „Vater des Pietismus“ bezeichnet wird, ein Begriff. Umso erstaunlicher ist es, dass in den beiden letzten Jahren gleich zwei Werke zu dem Straßburger Theologen erschienen sind. In der – hier nicht vorzustellenden – Arbeit Daniel Bolligers geht es um den Zusammenhang von Dannhauers philosophischem (Logik, Dialektik, Hermeneutik) und theologischem Werk und seiner kirchlichen Predigt, während sich Haessig zum allergrößten Teil auf die Darstellung des Stoffes beschränkt, den Dannhauer in seiner zehnbändigen „Catechismus-Milch“ vorträgt, ergänzt durch einige andere veröffentlichte Predigten. Dieses monumentale Werk, das in mehreren Auflagen erschien, ist wohl die ausführlichste Serie von Katechismuspredigten in der Geschichte dieser Gattung überhaupt. Dannhauer, Theologieprofessor und lutherischer Pfarrer in Straßburg, hielt sie in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges und in den Jahren danach. Die letzten Bände wurden erst posthum von seinem Schwiegersohn Balthasar Bebel ediert. Diese von Haessig im Wesentlichen herangezogene Auswahl von Quellentexten lässt Dannhauers voluminöses lateinischsprachiges theologisches (und erst sein philosophisches und methodologisches) Werk außeracht. Dadurch wird die Zielsetzung des hier vorzustellenden Buches erkennbar. Es geht weniger darum, Dannhauer als Theologen und Prediger des 17. Jahrhunderts im Übergang von der Hoch- zur Spätorthodoxie oder als einen Lehrer – wahlweise – der „Pietisten“ oder der „Pietistengegner“ zu charakterisieren, sondern Haessig findet, wie er im Vorwort darstellt (15), in ihm einen „kongenialen“ Partner, der 300 Jahre vor ihm in der gleichen Stadt, Straßburg, wirkte. Dannhauer wird gleichsam durch die Feder Haessigs zu einem Erweckungs- oder auch Bußprediger für die Gegenwart. Dies zeigt sich nicht nur in dem systematischen Aufbau der Arbeit. Sie folgt – nach einer Einordnung seiner Person in die damalige politische und kirchliche Situation (35–220) – einer von Haessig vorgenommenen eigenen Ordnung und gewinnt dadurch die Form einer „Einführung in die Theologie“, in der die Inhalte von Dogmatik, Ethik und kirchlicher Praxis in ausführlichen und in viele Unterkapitel aufgeteilte Abschnitte geordnet werden. Die Aussagen Dannhauers, vor allem aus der „Catechismus-Milch“, werden als „dicta probantia“ verwendet, ohne dabei den textualen und situativen Kontext oder die Genese eines Gedankens genauer zu berücksichtigen. Damit wird die Arbeit, auch wenn Haessig dies ausdrücklich nicht will, zu einer „Dogmatik“ (16), wenigstens in denjenigen Teilen, die den Stoff christlicher Lehren darstellen. Haessigs Zurückweisung, eine „Dogmatik“ vorzulegen (16), ist auch viel mehr von der Überlegung geprägt, Dannhauers „Catechismus-Milch“ bestehe schlechthin aus Predigten und sei deswegen kein dogmatisches Werk. Dies trifft insofern tatsächlich zu, als Dannhauer den Theologen seine lutherische Dogmatik in der – selbstverständlich lateinischsprachigen – „Hodosophia Christiana“ vorlegt. Aber es war in der damaligen Zeit durchaus üblich, seine „Dogmatik“ auch in Form von Predigten vorzutragen, wie es etwa Dannhauers prominentester Schüler Philipp Jakob Spener zeigt, der seine „Dogmatik“ in einer Predigtreihe vortrug, die in zwei Bänden unter dem Titel „Evangelische Glaubenslehre“ veröffentlicht wurde. Es entspricht also Haessigs Vorbild und der Gepflogenheit im 17. Jahrhundert, wenn er zwar keine Predigtreihe vorlegt, wohl aber eine „dogmatisch“ aufgebaute, paränetische Darlegung des Stoffes mittels der aus Dannhauers Texten gewonnenen Aussagen. Wollte man also die fachspezifischen Methoden einer kirchen- oder theologiegeschichtlichen Untersuchung erwarten, würde dies weder Ziel noch Anspruch Haessigs entsprechen. Er möchte vielmehr eine „rechtgläubige“ Darlegung des christlichen Glaubens und Lebens vornehmen, zu dem ihm die Texte des „orthodoxen“ Dannhauer als ein geeignetes Werkzeug erscheinen. Deswegen muss es nicht verwundern, wenn in die Abhandlung bestimmter Themen Fragestellungen der jüngeren Theologie und Kirche einfließen, die für ein Verstehen Dannhauers keine Rolle spielen können (s. 252). Als Beispiel mag die – ausgesprochen ausführliche – Behandlung der modernen Definition von „Volk“ (128f) bzw. „Vaterland“ (112, 133) dienen, in der sich Haessig mit einem von ihm problematisierten Begriff von „Gesellschaft“ auseinandersetzt, den Dannhauer gar nicht kennen konnte. Das einleitende Kapitel zeigt deutlich, dass Dannhauer Haessig den Stoff bietet für eine aus seiner Sicht kritische Entwicklung von Kirche und Theologie in der heutigen Zeit. Man kann auf diese Weise einen historischen Stoff bereitstellen. Der Leser muss sich dessen aber bewusst sein, um keine falsche Erwartung an das Buch aufzubauen. Insofern ist es an sich gut, den Versuch unternommen zu haben, eine Brücke von der wissenschaftlichen Behandlung eines historischen Stoffes zu den „interessierten Gemeindegliedern“ (15) zu schlagen. Es wäre aber gut gewesen, die wünschenswerte Demut gegenüber dem darzustellenden Stoff der Geschichte besser eingehalten zu haben. Wer durch das hier vorgestellte Buch animiert wird, sich mit der facettenreichen Person Johann Conrad Dannhauers zu beschäftigen, findet einen großen Teil der Publikationen des Straßburger Theologen zur Lektüre im Internet. Das Buch Haessigs kann dann dazu als Hinführung dienen.
Dr. Klaus vom Orde, Halle (Saale), Edition Spenerbriefe, Sächsische Akademie der Wissenschaften