Historische Theologie

Astrid von Schlachta: Täufer

Astrid von Schlachta: Täufer. Von der Reformation ins 21. Jahrhundert, UTB 5336, Tübingen: Narr Francke Attempto, 2020, Pb., 432 S., € 26,90, ISBN 978-3-8252-5336-3


Analog und im Gefolge zu der 500-jährigen Jubiläumsfeier der Reformation und ihrer Anhänger gedenken auch die Täufer ihrer Ursprünge und Protagonisten, auch wenn diese Form des Gedenkens innerhalb der Bewegung umstritten war und die Ausgestaltung, zum Beispiel anhand eines Menno-Denkmals im 19. Jahrhundert, problematisiert wurde (359–366, hier bes. 360f). Der aus diesem Anlass entstandene Studienband mit dem schlichten Titel „Täufer“ beginnt mit dem Hinweis auf die erste täuferische Glaubenstaufe am 21. Januar 1525 in Zürich, an der u. a. die humanistisch orientierten Zürcher Bürger Felix Mantz und Konrad Grebel beteiligt waren. Eine bedenkenswerte Reflexion setzt unmittelbar ein, welches Narrativ man den Täufern dabei in den folgenden Jahrhunderten zuschrieb, bis hin zu den immer noch ostentativ gebrauchten Titulierungen des 20. Jahrhunderts, es handele sich um den sogenannten „linken Flügel“ (Ronald H. Bainton) oder auch „radikalen Flügel“ (George H. Williams) der Reformation (9–13). Ob es sich bei dem Phänomen der täuferischen Bewegungen nun um konfessionelle Devianz handelt, also Abweichung von der Norm, ist letztlich – bis heute – eine Frage an den Standpunkt des Betrachters. Sie bestimmt auch den Jubiläumscharakter der 500-jährigen Geschichte, die hier entfaltet wird, oder etwas drastisch formuliert, das wider Erwarten noch existierende ekklesiologische Modell, das manchen vielleicht nur wenig Anlass zu Feierlichkeiten bietet.

Um diesen Fragen der historischen Einordnung, theologischen Zuschreibungen und konfessionellen Beheimatungen zu begegnen, bietet die neu vorgelegte, für den Studienbetrieb konzipierte Täufergeschichte einer ausgewiesenen Expertin einen hervorragenden Überblick, sowohl für die Selbstbestimmung im Hinblick auf das täuferische Erbe oder als Blick von außen für den historisch oder konfessionell interessierten Leser. Ursprünglich sollte das Buch von Marion Kobelt-Groch (†) mitverfasst werden, der dieses Werk nun gewidmet wurde (13). Astrid von Schlachta steht – wenn man dies so formulieren darf – ganz in der Tradition weiblicher, mennonitischer Geschichtsschreibung. Der erste „große Wurf“ im 19. Jahrhundert wurde von der Emder Mennonitin Antje Brons verfasst und trägt den bezeichnenden Titel „Ursprung, Entwicklung und Schicksale der Taufgesinnten oder Mennoniten“ (1884), im Hintergrund stand bürgerliche Emanzipation und neuerwachtes Interesse an der eigenen Geschichte und deren Vergegenwärtigung (238f). Der Name „Brons“ ist bis heute wohlbekannt in Emden und wird nicht nur im Rahmen kulturhistorischer Angebote lebendig gehalten (s. https://www.frauenorte-niedersachsen.de/die-frauen/konfession/antje-brons/).

Astrid von Schlachta beginnt in schulmeisterlicher Manier, was hier durchweg positiv verstanden werden darf, mit den Anfängen und Voraussetzungen der Reformation, der Devotio moderna, Luther und Zwinglis Wirken und dem Aufkommen erster täuferischer Ideen, die nach geografischen Zentren geordnet abgearbeitet werden (20–24). Die Frage nach der exakten Geburtsstunde und dem Geburtsort des Täufertums ist dabei umstritten (s. Strübind, Eifriger als Zwingli, 121), wie von Schlachta betont, die erste Taufe in Zürich hatte jedoch demarkatorischen Charakter und dient daher als Anknüpfungspunkt für das bevorstehende Jubiläum. Von Schlachta versteht es in ihrer Darstellung, die großen Linien zu ziehen ohne sich in Details zu verlieren. Trotzdem werden einzelne interessante Begebenheiten, Hintergründiges und auch das ein oder andere Anekdotenhafte wiedergegeben, so zum Beispiel der Hinweis in der Polemik des 16. Jahrhunderts, dass der saure, erfrorene Wein in Heilbronn 1529 als „widerteuffer“ bezeichnet wurde (75; diese Verunglimpfung befindet sich übrigens ebenso in der Stadtchronik der kurpfälzischen Oberamtsstadt Kaiserslautern 1529).

Basis für diese schmückenden und erhellenden Details und Realia sind unter anderem, neben den bewährten „Mennonitischen Blättern“, die Bestände der Mennonitischen Forschungsstelle Weierhof, die nota bene herangezogen wurden. Archivbestände in Form von Briefen, Erklärungen und Repliken geben tiefe Einblicke in mennonitisches, hutterisches oder auch amisches Selbstverständnis im Wandel der Zeit. Insbesondere in dem wichtigen Kapitel 7 „Integration – Prozesse der Akkulturation“ (237–314) gewinnt man einen für manchen Leser neuen Einblick in täuferische Lebensart, Zeitgefühl und vor allem die Herausforderung im Umgang mit der jeweils neuen Umgebung. Die frühneuzeitliche Verfolgungssituation bestand im 19. Jahrhundert nicht mehr wie zuvor, mahnende Stimmen wurden wach und riefen zurück zur Standhaftigkeit und Absonderung der ersten Märtyrer, andere wiederum sahen die Zukunft in einer gesteuerten und reflektierten Assimilation an die „Welt“. Das Ende der Amischen als exklusives Gemeinde-Modell innerhalb des Täufertums in Deutschland beschreibt hierbei, wie ein Jahrhunderte andauerndes Ringen um die rechte Ekklesiologie, letztlich Weltauffassung damit seinen Schlusspunkt erreichte. Die massive Auswanderungswelle tat das Ihre dazu. Die Amische Gemeinde Zweibrücken vereinigte sich 1937 mit der hiesigen Mennonitengemeinde (264–267, hier 267). Wohlgemerkt gilt diese Entwicklung natürlich nicht für bspw. Lancaster County/Penn. und die nach wie vor bestehenden „old order“-Gruppen, die etwa 10% der Mennoniten in den USA ausmachen (301–304.341).

Das schon seit den Anfängen umstrittene und charakteristische Glaubensprinzip vieler täuferischer Gruppen, sc. die Wehrlosigkeit und die Eidverweigerung, das immer wieder als Affront gegen die Obrigkeit verstanden wurde, aber auch sachliche Diskussionen hervorbrachte (136–138), gewann mit dem 18. und 19. Jahrhundert eine neue Dimension. Nicht zuletzt die westpreußische Expansion brachte neue Bewertungen ins Spiel, man berief sich u. a. auf Menno Simons und die scheinbar nicht vorhandene Negierung von Waffengebrauch zu „einem guten Zweck“ (280–287, hier bes. 284f). Bereits die sogenannten Artikel von Wismar aus der Feder Simons (1554) legten nahe, Waffen zur Verteidigung auf Reisen einsetzen zu dürfen (138). Binnenmennonitische Diskussionen folgten, die einen neuralgischen Punkt aufdeckten, das Selbstverständnis im gesellschaftlichen Wandel angesichts zum Beispiel uniformierter Mennoniten und politisch aktiver Ältester. Neuzeitlicher Pazifismus, jedoch ebenso aufkommender Nationalismus stellten die – stereotyp formuliert – Friedenskirchen der Reformationszeit vor ungeahnte Transformationsprozesse (287–293).

Bevor von Schlachta in den beiden letzten lesenswerten Kapiteln (8 & 9) einen Blick auf die aktuelle weltweite Situation und die Bedeutung mennonitischer Kunst und Kultur wirft, wird zunächst noch eine historische Entwicklung geschildert, die bis heute von Bedeutung ist im Hinblick auf die Außenwahrnehmung der Täufer (z. B. in den Medien) und nach wie vor virulente innergemeindliche Konflikte (z. B. in manchen Freikirchen). Gemeint ist die folgenreiche Emigration nach Nordamerika (293–306) und Südrussland (306–314). Geschilderte Konflikte im Rahmen von Gemeindeneugründungen, Mut zum Separatismus, die Macht der Ältesten bis hin zum Personenkult, der nicht ausbleibende Kulturschock hinsichtlich Geschmacks- und Lebensstilfragen liest sich an manchen Stellen wie ein Auszug aus, natürlich ungedruckten, Gemeindechroniken neuster Zeit (s. nur 296, 298[!], 302f, 304). Die Schilderung neuer Kolonien, allen voran Chortitza und Molotchna in der heutigen Ukraine, ist bis dato wichtig um die enge, notgedrungene Verbindung von indigener Kultur und mitgeführter Religion zu verstehen. Eine am Fluss Molotchna gelegene Parallelgesellschaft mit 57 Dörfern und wohlklingenden deutschen Namen entstand. Einflüsse erwecklich-chiliastischer Theologen (Heinrich Jung-Stilling, Bengel etc.), die Abspaltung von 1860 und die Entstehung der Mennoniten-Brüdergemeinden (MBG) unter baptistischen Auspizien sowie die nachhaltige Russifizierung werden erwähnt (306–314). Faszinierend in diesem Abschnitt ist der Tatbestand, dass die dort genannten Namenspatronen und Richtungsgeber bis heute zumindest dynastisch fortbestehen. Eine heuristische Studie hierzu wäre interessant. Sicher ist mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts und dem damit einhergehenden Generationswechsel eine grundlegende Neujustierung eingetreten. Mentalitätsgeschichtlich betrachtet können jedoch Deutungsmuster und Weltwahrnehmung über Generationen hinweg milieubedingt weiterleben. In Summe: Die schon immer vorhandene Diversität der Täufer hält an und bietet eine beachtliche Spannbreite alleine im deutschen Sprachraum (bspw. zwischen der norddeutschen Liberalität einer eher freigeistigen Emder Gemeinde und den nicht nur wertkonservativen russlanddeutschen Aussiedlern in ihren westdeutschen Zentren; 332f, 344–348).

Der gelungene Studienband aus der UTB-Reihe schließt mit einer kurzen Besinnung „Was bleibt von den Täufern?“ (383–388) und mehreren hilfreichen Registern. Für den Gebrauch im Studien- und Vorlesungsbetrieb sind QR-Codes eingestreut, die zu zentralen Quellentexten und reflexiven Fragestellungen führen. Fachtermini werden in diversen Schaukästen erläutert. Alles in allem ist der Band didaktisch gut aufbereitet und unter Umständen auch für den Religionsunterricht in der Oberstufe nutzbar. Formale Fehler konnte der Rezensent kaum wahrnehmen (s. 308, 350), nur im Fall der bedeutenden Studie von Andrea Strübind „Eifriger als Zwingli“ handelt es sich um deren Habilitationsschrift und nicht Dissertation (356). Am Rande: Schriesheim a. d. Bergstr. als „Odenwälder Ort“ (217) im Zusammenhang mit dem Radikalpietisten Alexander Mack zu bezeichnen, ist zumindest geografisch diskutabel.

Zu guter Letzt: Zu bedenken wäre noch, ob man unter dem Titel „Täufer“ nicht auch weitere Dissidenten, wie zum Beispiel die – nomen est omen – Baptisten hätte subsumieren können. Sie entstammen bekanntlich dem englischen Nonkonformismus des 17. Jahrhunderts und nicht unmittelbar der reformatorischen Täuferbewegung. Ein Reformationshistoriker von Rang hat sie trotzdem in seine ebenso neu vorgelegte, deutlich kürzer geratene Täufergeschichte aufgenommen und überraschend positiv bewertet (s. Thomas Kaufmann, Die Täufer. Von der radikalen Reformation zu den Baptisten, München: C. H. Beck 2019). Kontroverse Debatten hierüber unter Religionsverwandten sind willkommen und stehen in gut täuferischer Tradition.


Dr. Thomas Klöckner ist Pastor der EFG Kaiserslautern und Habilitand der JGU Mainz.