Marco Frenschkowski: Prophetie. Innovation, Tradition und Subversion in spätantiken Religionen
Marco Frenschkowski: Prophetie. Innovation, Tradition und Subversion in spätantiken Religionen, Standorte in Antike und Christentum 10, Stuttgart: Hiersemann, 2018, kt., XIV+335 S., € 44,–, ISBN 978-3-7772-1822-9
Dieses Buch ist aus dem Lexikonartikel „Prophet, Prophetie“ (Reallexikon für Antike und Christentum 28, 2017, Sp. 274–339) erwachsen, ebenso wie dies bei Frenschkowskis Buch „Magie im antiken Christentum: Eine Studie zur Alten Kirche und ihrem Umfeld“ (Band 7 der Reihe bei Hiersemann) der Fall ist. Das Besondere an diesem Buch über Prophetie in spätantiken Religionen ist sicherlich die Linie, die letztlich von alttestamentlichen Aspekten von Prophetie im altorientalischen Umfeld über die hellenistisch–römische und die neutestamentliche Zeit bis in die islamische Zeit gezogen wird. Dabei fällt die Geschichte des Prophetismus in der Hebräischen Bibel und im Alten Orient vergleichsweise skizzenhaft und knapp aus (5–32), was angesichts der Entstehungsgeschichte und dem damit verbundenen Schwerpunkt auf Antike und Christentum gut nachvollziehbar ist. In einem zweiten Kapitel (33–91) trägt Frenschkowski Aspekte von Prophetie in Griechenland, Rom und im alteuropäischen Sehertum zusammen. Das „Erlöschen der Prophetie zwischen Fiktion und Realität im Judentum der hellenistisch-römischen Zeit“ (93–118) wird im dritten Kapitel behandelt. Nach einem kurzen Blick auf iranische Prophetentraditionen (119–131) rückt Prophetie im frühen Christentum im fünften und sechsten Kapitel in den Mittelpunkt (133–165). Das Verhältnis von Orakeln zur Philosophie (167–179), der Montanismus (181–187), Theorien des Prophetischen in der Alten Kirche und in der Gnosis (189–223) und Prophetinnen und Propheten in asketischen Bewegungen (225–231) werden danach behandelt. Der Blick auf spätantike Prophetie (mit einem Schwerpunkt auf den syrisch-irakischen Raum; 233–242) bereitet die Behandlung der Frage im (früh-) islamischen Raum vor (249–274, 275–290) und wird nur durch einen kurzen Blick auf das Merowingerreich (243–248) unterbrochen. Die abschließenden Bemerkungen (291–293) runden die Studie ab.
Freschkowski stellt „die konkret als Propheten charakterisierten Personen, ihr[en] als prophetisch verstandener Offenbarungsempfang und de[n] kulturelle[n] Kontext dieser jeweiligen ‚Prophetie‘“ in den Mittelpunkt (2). Somit rückt Prophetie als „Strukturelement von Religion“ in den Blickpunkt, was der Verfasser von den beiden Aspekten „Prophetie als Legitimationsmuster in religiösen Mainstreams“ und von „Prophetie als subversiv-aggressives Theologumenon in religiösen Oppositionsbewegungen“ (1) her beschreibt. Diese Aspekte dienen im Verlauf des Buches immer wieder als Orientierungspunkte und geben damit vielfältigen Beobachtungen in ihrem jeweiligen Kontext eine gewisse Struktur. Auf diese Weise gelingt es Frenschkowski durch die Jahrhunderte zu schreiten, angemessene Differenzierungen vorzunehmen, gute Überblicke anzubieten, bemerkenswerte Beobachtungen einzustreuen und bei aller Vielfalt den Überblick nicht zu verlieren. Wiederholt verweist er auch auf weiteren Forschungs- und Reflexionsbedarf, was für alle, die sich mit diesem Themenfeld beschäftigen, anregend wirkt und den Eindruck, der bisweilen entstehen kann, etwas zerstreut, dass mit diesen reichhaltigen Überblicksdarstellungen für jedes einzelne Gebiet und jede Epoche Entscheidendes gesagt ist.
Angesichts der religiösen und chronologischen Vielfalt wäre es ein Leichtes, an Details hängen zu bleiben, das Fehlen bestimmter Perspektiven anzumerken oder wahlweise eine zu große Breite oder eine Engführung zu beklagen. Wenn man dieser Spur folgen würde, bliebe ich beispielsweise daran hängen, warum mit Blick auf das Muhammadbild die Außenwahrnehmung z. B. christlicher Prägung und mit Blick auf den Koran die religionswissenschaftliche Perspektive dreier Schichten (altarabische Kāhin-,
Rasūl-, Prophetenschicht, die stärker von jüdisch-prophetischer Begrifflichkeit her geprägt ist) so prägend in der Darstellung wirkt und dem binnentheologischen Verständnis im Islam demgegenüber wenig Raum gegeben wird. Auch die Typologie von Prophetie für die Hebräische Bibel (Kultpropheten, altertümliche Gottesmänner, individuelle „freie“ Propheten und Buchpropheten) könnte man sicherlich diskutieren, nicht nur wegen der Typologie an sich, die zu einer Kategorisierung einzelner Phänomene verleiten kann, obwohl sie religionswissenschaftlich nur als Orientierung dienen will. Die scheinbar klare Unterscheidung der Typen wirft manche Frage auf. Auch wird schlicht behauptet, dass die Berufungserfahrungen von Propheten ihrer Legitimation dienen, ohne diese durchaus weitverbreitete Überzeugung zu problematisieren. Man mag vielleicht auch bedauern, dass das ekstatische Element beim religionswissenschaftlichen Vergleich eine wichtige Rolle spielt, obwohl ihm im Kontext monotheistischer Religionen nicht dieses Gewicht gegeben wird. Mit diesen Fragen rücken nicht zuletzt binnenreligiöse Perspektiven in den Mittelpunkt, die grundsätzlich in der Darstellung etwas kurz kommen, was wohl der Anlage des gesamten Buches geschuldet und zu verschmerzen ist, weil hier ein guter Überblick und viele wichtige Literaturhinweise zum vertiefenden Studium einladen.
Diese Anfragen sind sicherlich der Forschung des Rezensenten im Bereich der Hebräischen Bibel und im Bereich des Islams geschuldet und dürfen nicht den Blick für die Leistung Frenschkowskis verstellen. Sie ändern auch nichts daran, dass Frenschkowski gute Überblicke anbietet, die als gute Einführung dienen können, auf wichtige Fragestellungen hinweisen und viele Anregungen zum weiteren Forschen und Nachdenken anbieten. So kann man sich über diese religionswissenschaftliche Studie zu einem wichtigen Strukturelement von Religion nur freuen. Es ist ein wertvolles Buch, das vor allem die verbindenden Linien zwischen den verschiedenen Zeiten und Religionen heraushebt, ohne die Unterschiede zu nivellieren oder zu ignorieren. So gelingt es ihm auch, bei allen Verbindungen nicht von einem „essentialistischen Eigentlichen“ (292) mit Blick auf Prophetie zu sprechen, und doch ein angemessenes Kontinuum zu behaupten: „Menschenwort [wird] zum Wort der Gottheit bzw. (binnenreligiös bewertet) Gotteswort zu Menschenwort. Die antike Diskussion über Prophetie nimmt daher Fragen über das Wesen der Gottheit, über Ambiguität und Eindeutigkeit göttlicher Selbstmitteilung, über das Nebeneinander göttlicher Offenbarungsaktion und religiöser Offenbarungssuche genauso auf wie über das Humanum im Raum der religiösen Transzendenz“ (293). Dem Verfasser ist aber vor allem auch dafür zu danken, dass er mit diesem Buch dem „Eigenrecht der Geschichte“ eine Stimme gibt, „die sich nicht von der Gegenwart vereinnahmen lassen will, und die sich darum gegen zu rasche ‚Anwendung‘ auch im gutgemeinten Dialog sperrt“ (xiii).
Heiko Wenzel, Ph. D. (Wheaton College), Akkreditierungsprojekt Campus Danubia, Wien