Systematische Theologie

Carsten Polanz / Christof Sauer / Heiko Wenzel (Hg.): Begegnungen und Herausforderungen

Carsten Polanz / Christof Sauer / Heiko Wenzel (Hg.): Begegnungen und Herausforderungen. Christliches Zeugnis im Kontext des Islam, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2020, Pb., 232 S., € 28,–, ISBN 978-3-374-05879-2


Die Begegnung von Christen und Muslimen bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich. Eine reflektierte Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln kann das christliche Zeugnis im Kontext des Islam stärken. Dies zeigt auch dieser Sammelband mit zwölf Beiträgen aus theologischer, historischer und gesellschaftlicher Perspektive.

Der Sammelband präsentiert Beiträge des Symposiums „Islam – Kirche – Mission: Theologische, linguistische, missiologische und gesellschaftspolitische Fragestellungen und Herausforderungen“, welches im Juni 2018 anlässlich des 80. Geburtstages von Eberhard Troeger an der Freien Theologischen Hochschule Gießen (FTH) durchgeführt wurde. Als Theologe, Islamexperte, Missionshistoriker und Missionar, Leiter der „Evangeliumsgemeinschaft Mittlerer Osten“ (EMO) und Mitinitiator des „Arbeitskreises für evangelikale Missiologie“ (AfeM, heute „missiotop“) war Troeger stets um ein fruchtbares Miteinander von Missionspraxis und Reflexion bemüht. Dabei hatte er eine positive Prägekraft auf zahlreiche Christen, wie in den – zum Teil auch persönlich gestalteten – Beiträgen deutlich wird. Bei aller Weite im Forschen, aller Offenheit für die Begleitwissenschaften, und allem Ringen um das Verstehen des muslimischen Gegenübers machen die einzelnen Beiträge dennoch deutlich, „dass Christus unsere Visitenkarte ist und es an ihm vorbei auch kein Gespräch mit Muslimen geben kann“ (8).

Die Beiträge nähern sich von verschiedenen Blickwinkeln den unterschiedlichen Ebenen der Begegnungen im Rahmen des „christlichen Zeugnisses im Kontext des Islam“ und thematisieren die damit verbundenen Herausforderungen.

Theologische Perspektiven werden in den drei Aufsätzen von Heiko Wenzel, Thomas Dallendörfer und Andreas Baumann eröffnet. In seinem einleitenden Grußwort blickt Baumann dankbar auf Troegers Anstöße zu einer biblisch-theologischen Beurteilung des Islam zurück und verweist auf die „Notwendigkeit, theologisch zu denken“ (163). Die vielfältigen Begleitwissenschaften können demnach nur dann fruchtbar werden, „wenn Theologie ihren Platz als Fundament und kritische Instanz behält“ (163).

Wenzels komparative Studie zur Gottesgegenwart in der Bibel, in rabbinischen Gleichnissen und im Koran ist ein gelungenes Beispiel einer theologischen Begegnung zwischen Christentum und Islam. Während die koranische Überlieferung von einem Kommen der Menschen hin zu Gott am Jüngsten Tag spricht, beschreibt die Bibel die umgekehrte Richtung der Bewegung: Gott kommt zum Menschen. In Jesus Christus ist er bereits gekommen und sein erneutes Kommen wird erwartet. In dem Vergleich der unterschiedlichen Gottesbilder lässt sich Wenzel von Troeger motivieren, welcher anderswo schreibt: „Durch die Begegnung mit dem Islam fordert Gott die Christenheit heraus zur Besinnung auf ihr zentrales Thema …, Gottesoffenbarung und Gottesbegegnung“ (20). Sowohl Wenzel als auch Dallendörfer machen deutlich, dass in der theologischen Auseinandersetzung die jüdisch-rabbinische Tradition als Gesprächspartner miteinbezogen werden muss.

Dallendörfer reflektiert über die Gottesrepräsentanz im islamischen Tauhid („Einheit“)-Verständnis und in der christlichen Trinitätslehre. Dabei ringt er mit der Schwierigkeit der Erklärbarkeit dogmatischer Lehrsätze wie der Wesensgleichheit Jesu mit dem Vater („homousios“). Die Herausforderung der Kommunizierbarkeit ist wiederum auch das, was bereits Baumann in seinem einleitenden Beitrag thematisiert, nämlich „die Frage und das missionarische Ringen, wie man dieses Thema mit Muslimen verständlich ins Gespräch bringen kann“ (168).

Einen historischen Blickwinkelnehmen die Beiträge von Gerald Lauche, Friedemann Walldorf und Eberhard Werner ein. Alle drei Aufsätze sind beachtliche Beispiele dafür, wie der Blick auf die Missionsgeschichte wertvolle Impulse für die gegenwärtige Missionspraxis in den unterschiedlichen Formen der Begegnung liefern kann.

In seinem Aufsatz zur Anfangszeit der EMO thematisiert Lauche die Begegnungen zwischen Christen und Muslimen in Südägypten im frühen 20. Jahrhundert. Die damaligen politischen, kulturellen und organisatorischen Herausforderungen für die Vermittlung des christlichen Zeugnisses zeigen auch Parallelen zur Gegenwart auf. So beschreibt Lauche u. a., wie Unstimmigkeiten zwischen unterschiedlichen Missionsgesellschaften oder die zu starke Institutionalisierung der EMO zeitweise hinderlich für einen effektiven Dienst waren. Demgegenüber benennt Lauche jedoch auch zahlreiche missionsfördernde Einflüsse: Die wissenschaftliche Vernetzung der EMO-Mitarbeiter führte zu einer fruchtbaren Symbiose zwischen Wissenschaft und Mission. Die Förderung einheimischer Mitarbeiter wie z. B. des ägyptischen Konvertiten Samuel Ali Hiseen hatte äußerst positiven Einfluss auf die gesamte Arbeit und kann christlichen Werken im muslimischen Kontext heute als Vorbild dienen.

Werner beleuchtet in seinem Beitrag über kirchliche Entwicklungsdienste in Anatolien und im Nahen Osten um 1900 den positiven Einfluss, den Christen in der Begegnung mit Muslimen zu deren Wohl hatten: Verschriftung der lokalen Sprachen, Förderung von Bildung und Forschung sowie Einsatz für Waisen und Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen („Disability Studies“). Dass die Begegnung zwischen den Religionen nicht nur auf außereuropäische Kontexte begrenzt ist, zeigt Walldorf in seiner Recherche über die Anfänge der ‚Internationalen Arbeit‘ der Studentenmission in Deutschland (SMD) in den 1950er und 1960er Jahren, in denen auch Troeger maßgeblich beteiligt war. Die dort formulierten missionstheologischen Grundlagen für ein christliches Zeugnis gegenüber muslimischen Mitbürgern (hier primär Mitstudenten) sind nach wie vor hoch aktuell.

In den gesellschaftspolitischen Beiträgen thematisieren Carsten Polanz, Christof Sauer, Reinhold Strähler und Thomas Schirrmacher aktuelle Entwicklungen, mit einem gemeinsamen Fokus auf die Konversion als Menschenrecht. Polanz warnt vor den scheinbar gemäßigten „New Islamisten“ und ermutigt zu einem kritischen Blick auf deren Verständnis von „Freiheit“, welches im Grunde eine „neue Form der menschlichen Versklavung von Menschen“ (115) bedeutet. Sauer gibt einen bemerkenswert breiten Überblick über die Situation von Konvertiten zum Christentum, deren Religionsfreiheit in verschiedenen muslimischen Kontexten in besonderem Maße eingeschränkt ist. Dabei bietet er brauchbare Perspektiven für die praktische Hilfe, die Christen leisten können und sollen. Strählers Beitrag zu Konversionsprozessen und Konversionserzählungen verhilft zu einem tieferen Verständnis von Bekehrung, welches sowohl in Kirchen als auch in Asylprozessen dringend nötig ist. Schirrmacher schließlich unternimmt in seiner Kommentarsammlung grundsätzliche Überlegungen zu Konversion und Asylfragen und setzt sich für verstärkte Unterstützung von asylsuchenden Konvertiten in Deutschland ein.

Der Sammelband beeindruckt durch seine inhaltliche Breite und leistet einen gewinnbringenden Beitrag zu einem besseren Verständnis von Herausforderungen und Chancen der vielfältigen Begegnungen zwischen Muslimen und Christen. Das Buch unterscheidet sich von anderen religionsvergleichenden Werken neben der Nähe zur Praxis primär darin, dass der Fokus auf das christliche Zeugnis explizit gewahrt wird. Eine thematische Anordnung der Beiträge (theologisch, historisch, gesellschaftspolitisch) anstelle der gewählten Aufteilung in die zwei Hauptteile und deren eher technisch orientierten Bezeichnung als „wissenschaftliche“ und „persönliche“ Beiträge würde dem Leser vermutlich die Orientierung erleichtern. Dessen ungeachtet liefern die gesammelten Beiträge bedeutende Impulse für weitere zeugnishafte Begegnungen von Christen mit Muslimen – in Europa und darüber hinaus.


Joel Hofer, M.A. Evangelische Theologie, Schweiz