Rebecca John Klug: Kirche und Junge Erwachsene im Spannungsfeld
Rebecca John Klug: Kirche und Junge Erwachsene im Spannungsfeld. Kirchentheoretische Analysen und eine explorative Studie zur ekklesiologischen Qualität ergänzender Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens, BEG 31, Göttingen: V&R, 2020, Pb., 449 S., € 55,–, ISBN 978-3-7887-3450-3
In der kirchentheoretischen Arbeit mit einer explorativen Studie untersucht die Autorin, „ob Kirche aktuell eine so hohe Bedeutung für junge Erwachsene hat, dass es ‚Einfluss auf das Handeln‘ junger Erwachsener hat, wenn sie ihren Glauben zum Ausdruck bringen“ (21). Damit legt sie ihre 2019 bei Michael Herbst abgeschlossene Dissertation vor.
Nach der Einleitung mit einem forschungsgeschichtlichen Überblick erörtert sie den soziologischen Ausgangspunkt: Erkenntnisse zu „Jungen Erwachsenen“ aus der Lebenslaufforschung, aus der Forschung zur Generation Y und zu deren Religiosität und Kirchlichkeit. Zum kirchentheoretischen Ausgangspunkt wird anhand historischer Grundlagen und dem aktuellen Diskurs ein evangelisches Kirchen- und Gemeindeverständnis erarbeitet. Dazu werden notae ecclesiae, Kirche mit einer Vielfalt von Sozialformen und schließlich Organisationsformen von Kirche betrachtet. Danach verbindet die Autorin Indikatoren für fresh expressions of Church mit Kriterien für Gemeinde von Eberhard Hauschildt/Uta Pohl-Patalong. Die Essenz sind vier Dimensionen (nahe an der anglikanischen Vorlage) für die Bestimmung von ekklesiologischer Qualität:
UP: Christusbezug,
OF: Selbstverständnis „als Gemeinde sowie als ergänzender Teil der Kirche in vielfältiger Gestalt“ (293. Herv. entfernt) und strukturelle Elemente,
OUT: Sendungsbewusstsein, „Orientierung an einem Kontext sowie einer spezifischen Zielgruppe“ (293) und
IN: Gemeinschaft.
Die Ausgangspunkte bilden die Basis für die explorative Studie, in der Leitungspersonen durch Junge Erwachsene maßgeblich geprägten Ausdrucksformen des christlichen Glaubens in Deutschland befragt werden. Die Ergebnisse werden in der eigens entwickelten „Ekklesiomatrix“ (Tabelle mit den Ausprägungen der vier Dimensionen) präsentiert. Abschließend erfolgt die Zusammenfassung und Deutung.
Aus dem Inhalt: Junge Erwachsene umfasst die Lebensphase vom allgemeinbildenden Schulabschluss bis zum Eintritt in den Arbeitsmarkt. Personen erleben Dekonversionen oft in den Übergängen dieser Lebensphase. Flexibilität, Fragen nach Sinn und Relevanz und Netzwerkkompetenz sind wichtige Eigenschaften der Generation Y.
Verschiedene Ausdrucksweisen gehören gleichwertig zur Kirche. Dabei sind auch solche als mündige Partnerinnen anzusehen, die ein ekklesiologisches Selbstverständnis haben und sich erst zur Reife entwickeln. Gemeinde ereignet sich in der „Interaktion mehrerer, mindestens punktuell verbundener Menschen mit dem Wort Gottes“ (160). Das Spannungsfeld zwischen Ereignis und Kontinuität ist nicht aufzulösen.
Die Studie zeigt: „Es gibt maßgeblich von jungen Erwachsenen geprägte Ausdrucksweisen des christlichen Glaubens mit ekklesiologischer Qualität“ (378). Viele von ihnen sind von Ehrenamtlichen gegründet / geleitet. Die gefundenen Initiativen mit ekklesiologischer Qualität im Sinne der Evangelischen Kirche stehen oft nicht im Zusammenhang mit dieser Kirche. Viele von ihnen sind „von Personen mit freikirchlichem Hintergrund geprägt“ (372). Die Zielgruppe der Initiativen will befristet partizipieren können und sucht gleichzeitig verlässliche Beziehungen. Dazu braucht es eine Organisationslogik, die „unkomplizierte, fluide Ein- und Ausstieg[smöglichkeiten]“ (380) bietet.
Reflexion: Der Band verbindet in inspirierender Weise das Thema „Junge Erwachsene“ mit der Kirchentheorie und Gemeindeentwicklung. Einige Details: Die Grundlagen für die Studie sind besonders gründlich erarbeitet. In der Analysephase wäre eine Peer-Arbeit fruchtbar und validierend gewesen. Mit derselben Forschungsfrage hätten auch Ausdrucksformen des Glaubens in traditionellen Gemeinden untersucht werden können. Überschneidungen gibt es auch mit der Jugend(kirchen)-Forschung. Die Ekklesiomatrix könnte für Gemeindestudien angewandt werden. Auch im Datenmaterial schlummert viel Potential, das für weitere Studien genutzt werden könnte.
Daniela Seibert lic. theol., Doktorandin Praktische Theologie, Universität Zürich