Praktische Theologie

Henning Wrogemann: Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie

Henning Wrogemann: Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie, Lehrwerk Evangelische Theologie 10, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2020, geb., XXII+703 S., € 58,–, ISBN 978-3-374-05492-3


Bereits 2012–2015 veröffentlichte der Vf., Professor für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel, in drei Bänden mit zusammen ca. 1350 Seiten das zum Standardwerk avancierte „Lehrbuch Interkulturelle Theologie/Missionswissenschaft“. Den nun in der Reihe „Lehrwerk Evangelische Theologie“ publizierten Band unterscheidet davon vor allem die Tatsache, dass mit der Religionswissenschaft eine weitere theologische Disziplin dazukommt und fast 400 von 700 Seiten füllt. Weitere knapp 250 Seiten sind der Interkulturellen Theologie gewidmet und bilden gewissermaßen eine eigenständige „kleine Schwester“ zum dreibändigen Lehrbuch. Dazu kommen Literaturverzeichnis und Register.

Wer von einem religionswissenschaftlichen Lehrbuch lediglich Beiträge zu den einzelnen Religionen erwartet, wird überrascht sein: Umfangreicher und diesen vorangestellt ist die religionswissenschaftliche Theorie (4–243). Eine Fülle von Konzeptionen zeigt, wie unterschiedlich Religion erforscht und interpretiert werden kann: historisch von der Aufklärung bis in die Gegenwart, dann thematisch geordnet in Religionsphänomenologie und -ethnologie; Religionssoziologie und -ökonomie; Diskurstheorie, postkoloniale und kognitive Theorie. Hinzu kommen Dimensionen von Religion mit Fragen von Säkularisierung und Sakralisierung, aber auch um die mediale, räumliche und zeitliche Dimension und die religionswissenschaftliche Methodologie. Der Vf. präsentiert zweifellos einen hervorragenden Überblick, bei der Fülle an Themen bleibt für die einzelne Konzeption allerdings nicht viel Platz.

Die „Religionsformationen“ sind beschränkt auf diejenigen, die im deutschsprachigen Kontext von besonderer Bedeutung sind: Judentum, Hinduismus, Buddhismus und Islam; letzterer ist mit 80 Seiten ausführlicher dargestellt als die drei anderen zusammen. Neben der Geschichte und „Lehre“ kommen auch unterschiedliche Strömungen bis hin zur Volksreligiosität in den Blick. Spannend etwa beim Hinduismus und Buddhismus ist die Frage, worin jeweils die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Traditionen bzw. die spezifischen Kennzeichen von Lehre und Praxis bestehen.

Die Interkulturelle Theologie schließt für den Vf. die Missionswissenschaft ein (401–497): „Interkulturelle Theologie reflektiert die durch den universalen Geltungsanspruch ihrer Heilsbotschaft motivierten missionarisch-grenzüberschreitenden Interaktionen christlichen Glaubenszeugnisses […]“ (399). Unter der Überschrift: „Grenzüberschreitendes Handeln“ geht es um „Grundlagen der christlichen Sendung in Geschichte und Gegenwart“ (398).

Teil II „Koexistenz und Konkurrenz. Religionen, Dialoge, Beziehungen“ (498–609) geht aus von religiösen Geltungsansprüchen und mündet in eine „Theologie der Interreligiösen Beziehungen“. Gegenüber einer verbreiteten Relativierung von Letztbegründungen vertritt der Vf. in seiner eigenen, profiliert entfalteten Position die These, dass diese „nicht notwendigerweise zu Überheblichkeit gegenüber anderen führen“ (547). Sie könnten genauso Anlass geben, anderen Letztbegründungen „aus der Distanz heraus Respekt zu erweisen, ohne sie inhaltlich anzuerkennen“ (547). Eine „Meditation biblisch-neutestamentlicher Inhalte in praktischer Absicht“ (562) fragt nach Potenzialen für einen konstruktiven Beitrag von Christen, Gemeinden und Kirchen in einer pluralistischen Gesellschaft (560–596). Die daraus abgeleiteten Konsequenzen (597–609) erörtern differenziert Fragen nach Anerkennung, Toleranz und dem Zeugnisauftrag.

Ein dritter, kürzerer Teil (610–643) entfaltet Begriffe und Theorien der Interkulturellen Theologie, darunter die Themen Inkulturation, Konversion und Soziales Handeln. Insgesamt ist bemerkenswert, dass die mit dem ÖRK verbundenen Kirchen ebenso im Blick sind wie die evangelikalen Kirchen und Pfingstkirchen, zudem die römisch-katholische und die orthodoxen Kirchen.

Alle Themen sind kompetent und verständlich auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand dargestellt und durch ausgewählte Literaturhinweise ergänzt.


Prof. Dr. theol. habil. Johannes Zimmermann ist Professor für Praktische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg (Lahn).