Praktische Theologie

Willie James Jennings: After Whiteness

Willie James Jennings: After Whiteness. An Education in Belonging, TEBT, Grand Rapids: WM. B. Eerdmans Publishing Co., 2020, Pb., X+165 S., € 17,99, ISBN 978-1-4674-5976-1


Willie James Jennings ist Professor für Systematische Theologie und Afrikanistik in Yale. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der postkolonialen Theologie. In The Christian Imagination (2010) reflektiert er anhand zahlreicher historischer Quellen, wie die damalige Kirche den Kolonialismus theologisch gerechtfertigt hat. After Whiteness ist sein bisher persönlichstes Werk und gibt Einblick in „wild memories“ (22) und fragt, welchen Beitrag theologische Ausbildung heute leisten könnte, um das düstere Erbe des Kolonialismus zu überwinden und Menschen zusammenzuführen. Die Schilderung persönlicher Impressionen des afroamerikanischen Theologen aus dem Hochschulleben und seine Gedichte gestalten die Lektüre abwechslungsreich und laden immer wieder zum Innehalten ein.

Im ersten Kapitel wendet sich Jennings der Grundlage theologischer Bildung zu: Den Fragmenten des Glaubens und der Kultur, die jede Person an ihrer theologischen Ausbildungsstätte einbringen könnte. Fragmente sind die Geschichten, Gedanken und Gewohnheiten, die unsere Geschöpflichkeit ausmachen. Studierende kämen mit der Hoffnung an eine Hochschule, dass hier ihre verschiedenen Fragmente geordnet und verbunden würden. Jennings unterscheidet zwischen drei Arten von Fragmenten: (1.) Es gibt Fragmente, die durch den Glauben geformt werden und positiver Ausdruck unsrer Geschöpflichkeit sind. Einzelne Geschöpfe seien nicht in der Lage, das große Ganze zu erblicken und würden gerade im Zusammentragen ihrer unterschiedlichen Fragmente Gemeinschaft erleben. (2.) Viele von uns haben Fragmente, die durch den Kolonialismus geformt wurden und denen wir uns stellen sollten. „This fragment work is a deeply Christian calling, born of the tragic history of Christians wo came not to learn anything from indigenous peoples but only to instruct them, and do exorcise and eradicate anything and everything that seemed strange and therefore anti-Christian” (37). Nicht jeder Impuls der eigenen Kultur sei christlich, aber christliche Fakultäten müssten jedem die Chance geben, die eigene Prägung selbst (theologisch) zu beurteilen. Wenn Bildungseinrichtungen diesen Brückenbau zwischen Kultur und Christentum nicht fördern würden, käme es zu Abgrenzungsversuchen, bei denen der Studierende entweder seine bisherige christliche Prägung gegen eine alternative christliche Weltsicht eintausche oder permanent gegen die vorherrschende christliche Weltsicht der Hochschule rebelliere. Jennings veranschaulicht diesen Sachverhalt anhand einer Geschichte von einem afroamerikanischen Studenten, der sich als Gegenreaktion weigerte, mit den Texten westlicher Denker zu arbeiten und sein Umfeld darauf reduzierte, ob sie afroamerikanische Bewegungen im Kampf um Unabhängigkeit unterstützen würden oder nicht. (3.) Fragmente, die durch Reduktionen geformt sind, deklassieren Wissen zu einer Ware. Dieses Fragment sei Ausdruck einer tiefsitzenden kolonialistischen Fehlannahme, dass wir alles, was uns bekannt ist, in Besitz nehmen könnten. Die Konsequenz dieser Fehlannahme sei, dass Studierende die Reproduktion bestimmter Worte damit verwechseln würden, was es heißt, seine eigene Stimme zu finden und die Fragmente der eigenen Kultur mit den Fragmenten des Glaubens zu vernetzen.

In Kapitel 2 beginnt Jennings mit der Problemanalyse. Er untersucht, worauf im Hochschulkontext verstärkt geachtet wird, welche Sehnsucht sich hinter dieser Aufmerksamkeit verbirgt und wie die akademische Streitkultur aussieht. Er zieht das Zwischenfazit, dass der lange Schatten des Kolonialismus diese Aspekte (theologischer) Bildung pervertiert habe. Kapitel 3 führt diese These weiter aus. Hier malt Jennings das deutliche Bild eines Plantagengottesdienstes und zeigt Parallelen zum heutigen Lehrbetrieb. Der Akademiker sei nach wie vor ein Gefangener des Systems, anstatt in Gemeinschaft zu gestalten.

In Kapitel 4 bewegt Jennings die Frage, wie ein Weg in die Freiheit aussehen könnte. Er identifiziert drei Schritte, die den strukturellen Imperialismus überwinden und Menschen wieder vereinen würde: Gegenseitige Lernbereitschaft, eine gesunde Selbstwahrnehmung und Offenheit für Reformen. Kapitel 5 rundet das Buch mit einer Erörterung der zentralen Bedeutung menschlicher Sehnsucht für (theologische) Bildungsprozesse ab. Sehnsucht sei das Bindeglied zwischen Fragmenten, Bildungseinrichtungen und den Schritten hinein in die Menschenmenge, die sich um Jesus versammelt. Im Gespräch mit verschiedenen feministischen Theologinnen schließt Jennings mit meditativen Gedanken zu der erotischen Kraft Gottes, die die Menschenmenge um Jesus sammle und zu heiliger Liebe befähige.

Die Stärke des Buches liegt m. E. darin, dass es dem Autor gut gelingt, persönliche Erfahrungen aus dem amerikanischen Hochschulkontext größtenteils überzeugend zu analysieren. Jennings bietet uns damit eine Sehhilfe an, vergleichbare Situationen mit neuen Augen zu sehen und Brücken zu bauen. Gleichzeitig liegt darin auch die größte Herausforderung zum Transfer für alle Leser, denen diese Erfahrungswelt fremd ist. Erschwerend kommt hinzu, dass Jennings seine postkoloniale Lesart durchführt, ohne sie ausführlich zu begründen. Um seine Kritik besser nachzuvollziehen, wäre die Beschäftigung mit seiner vorherigen Veröffentlichung, The Christian Imagination, hilfreich. Leser, die sich nach einer theologischen Ausbildung sehnen, die Brücken baut, anstatt Unterschiede zu zementieren, werden die Lektüre als lohnend erleben.


Daniel Stegner, M.A. (FTH Gießen), Gießen