Praktische Theologie

Wolfgang Ratzmann / Peter Zimmerling: Predigen mit Liedern

Wolfgang Ratzmann / Peter Zimmerling: Predigen mit Liedern. Beispiele und Reflexionen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021, 200 S., € 19,99, ISBN 978-3-525-62455-5


„Lust machen zur gelegentlichen Predigt über ein Lied“ (7) und eine „Entdeckungshilfe für die Chancen von Lied- und Kantatenpredigt“ geben (159) – das ist das Anliegen des vorliegenden Buches. Und eben diesem Anliegen kommen die beiden Verfasser, Wolfgang Ratzmann und Peter Zimmerling, in einer anregenden und gelungenen Weise nach: Mit abgedruckten Predigtbeispielen, die sich am Rhythmus des Kirchenjahres orientieren, und zwei ergänzenden Aufsätzen, die ein reflexives Moment in sich tragen, wird den Lesern und Leserinnen die (historische) Bedeutung und (gegenwärtige) Möglichkeit – ja vielleicht sogar Notwendigkeit – der Liedpredigt vor Augen geführt.

Während Wolfgang Ratzmann in seinem einführenden Aufsatz einige grundlegende Dinge zum homiletischen Umgang mit Liedern nennt (9–25), schließt Peter Zimmerling das gemeinsame Werk mit einer biographischen, terminologischen, biblischen und geschichtlichen Darstellung zur Bedeutung von Lied und Musik für den evangelischen Gottesdienst ab (159–198). Die beiden Aufsätze ergänzen sich und bringen als Prolog und Epilog zu den abgedruckten Liedpredigten (u. a. „Die Nacht ist vorgedrungen“, „Stille Nacht“, „Von guten Mächten“, „Befiehl du deine Wege“) eine stimmige Einordnung der Predigtmanuskripte zustande.

Auch wenn im Protestantismus ein Konsens darüber zu herrschen scheint, dass die sonntägliche Kanzelrede anhand eines biblischen Textes zu ergehen hat, werben Ratzmann und Zimmerling in ihren beiden Aufsätzen für eine gelegentliche Predigt mit einem oder über ein Lied (offen bleibt, ob es ein Unterschied zwischen „mit“ und/oder „über“ gibt), die als „Unterbrechung des homiletisch Üblichen“ (7) verstanden werden will. Ja mehr noch: Geistliche Lieder kommunizieren als ein „Kondensat der biblischen Botschaft“ das Evangelium (16), stellen neue Sprachbilder zur Verfügung (6, 20), enthalten gemäß dem theologischen Axiom von lex orandi – lex credendi ein erstaunliches Lehr-, aber vor allem auch Trost- und Erbauungspotential (11, 193) und helfen dabei, dass die in der Predigt kommunizierten Glaubenswahrheiten auch menschliche Tiefenschichten erreichen (165f, 195). Für die Vf. steht daher fest: in der Theorie mag evangelische Frömmigkeit eine Bibelfrömmigkeit sein, in der religiösen Praxis hingegen entpuppt sich die evangelische Spiritualität in hohem Maß als „Lied- bzw. Gesangbuchspiritualität“ (168), weshalb der Liedpredigt unbedingt ein höheres Gewicht beigemessen werden sollte.

Im Großen und Ganzen erfüllt Predigen mit Liedern das, was es eingangs verspricht: es macht Lust auf mehr, Lust auf das Predigen mit Liedern. Die damit einhergehenden Chancen der Liedpredigt sind nicht nur homiletischer, sondern auch liturgischer Art: Wenn die Predigt über Lieder das Singen nicht ersetzt (Homiletisierung des Liedes), sondern ergänzt, dann kann dies zu einem wechselseitigen Verstärken von Lied und Predigt führen, wodurch die Predigt dem Lied Bedeutung und das Lied der Predigt Gestalt verleiht.


Manuel Gräßlin, M.Th., Doktorand STH Basel