Pekka Pitkänen: Migration and Colonialism in Late Second Millennium BCE Levant and Its Environs
Pekka Pitkänen: Migration and Colonialism in Late Second Millennium BCE Levant and Its Environs. The Making of a New World, Studies in the History of the Ancient Near East, London: Routledge, 2020, geb., XV+268 S., $ 170,–, ISBN 978-0-691-16838-8
Zwei Jahre nach Erscheinen seines Numeri-Kommentars in der gleichen Reihe bei Routledge unter dem Titel A Commentary on Numbers. Narrative, Ritual, and Colonialism,nimmt Pekka Pitkänen das Thema „Kolonialismus“ wieder auf. Diesmal untersucht er die Verschiebungen in der Periode von 1300–900 v.Chr. (5, 20) im Gebiet der Levante „im engeren Sinn“ (6f). Dieser Zeitabschnitt ist besonders interessant, da die seit 1600 v. Chr. dominanten Staatengebilde um 1200 v. Chr. alle einbrechen (29).
Dr. Pekka Pitkänen wirkt als Senior Lecturer an der School of Education and Humanities der University of Gloucestershire. Auch seine früheren Publikationen zu Josua (Joshua, 2010) und Numeri (A Commentary on Numbers, 2017) beschäftigen sich mit der Zeit des Umbruchs in der späten Bronze- und frühen Eisenzeit im Alten Orient.
Die detaillierte Studie Pitkänens beginnt mit einer Übersicht und thematischen Eingrenzung („Introduction“, 1–27). Im zweiten Kapitel werden die theoretischen Konzepte aus den Sozialwissenschaften methodisch aufbereitet (28–69). Die Darstellung verschiedener Akteure im geopolitischen Umfeld der Levante – mit einem gewissen Fokus auf das biblische Israel – beginnt mit dem „imperial context“, also den benachbarten Großreichen im dritten Kapitel (70–101), gefolgt von Kapiteln zu den Seevölkern und Philistäa (102–134), dem biblischen Israel (135–172) und den Aramäern (173–203).
Das siebte Kapitel wendet sich kleineren Playern wie Syro-Phönizien, Edom, Moab und Ammon zu (204–217). Die Studie schließt mit einer zusammenfassenden Rückschau und „typologischen Parallelen zur modernen Welt“ (222). Vertieft wird insbesondere der Bogen vom historischen Israel zum Israel des Zionismus (226–234), mit einem „Ausblick“ auf das dritte nachchristliche Jahrtausend (234–238).
Im Einleitungskapitel bietet Pitkänen einen Überblick über vorausgegangene Studien (10–15). Im Vergleich etwa zu Eric H. Cline: 1177 B.C. The Year Civilization Collapsed, Princeton: University Press, 2014, betont Pitkänen seine Gewichtung „historischer Prozesse statt einzelner Ereignisse“ (10). Während Cline sein populäres aber archäologisch fundiertes Buch historisch (in Jahrhunderten) gliedert, wählt Pitkänen eine Gliederung nach den geopolitischen Akteuren, ihrer Größe und Wirkungsweise.
Das zweite Kapitel entfaltet die gesellschaftswissenschaftliche Methodik in deutlicher Abgrenzung zu den westlichen und kolonial geprägten Evolutionsmodellen des 19. Jahrhunderts. Mit den Begriffen „Migration“ (43–45) und „Kolonialismus“ (44–46) führt er zwei analytische Begriffe ein, die vermeiden sollen, moderne Vorstellungen auf die altorientalischen Verhältnisse zu übertragen.
Für seine kontextuelle „komparative Methode“ (30), um Grade von ethnischer Vermischung durch Migration und kultureller Prägung durch Kolonialismus zu beurteilen, entscheidet sich Pitkänen in erster Linie „soziolinguistische Erwägungen“ anzustellen. Im Sprachgebrauch bilden sich mutmaßlich Prozesse von interkultureller Migration und Dominanz ab (49). Das Werden und Vergehen von Gesellschaften ist aber auch eine Funktion von ausgeübter und erfahrener Gewalt, bzw. „Kontrolltechniken“ (38–43, 53–58). Schließlich erarbeitet Pitkänen ein Raster zur Typisierung von kolonialen Prozessen zwischen den Polen von „Franchise Colonialism“ und „Settler Colonialism“ (Tab. 2.2, 60).
In den folgenden Kapiteln wird dieses Raster nun angewendet, verbunden vor allem mit der soziolinguistischen Analyse. Das zeigt sich etwa im Bezug auf die Hititer darin, dass die Verbreitung der (indogermanischen) luwischen Sprache im Blick steht (82–85), während z. B. Cline eher die Verbreitung kultureller Gewohnheiten betont (1177 B.C., 34).
Von besonderem Interesse für den theologisch interessierten Leser ist natürlich das 5. Kapitel über das biblische Israel. Pitkänen zeigt, dass die biblische „storyline“ klar auf einer Linie mit den Begriffen Migration und Kolonialismus liegt, begonnen mit dem „Migranten“ Abraham. Dieser „storyline“ widmet Pitkänen eine ausführliche Diskussion (135–143). Er kommt zum Schluss, dass das wellhausensche Narrativ, das den historischen Wert des Pentateuch minimiert, vielleicht auch aus postkolonialer Perspektive überdacht werden müssste (141f).
Mit Bezug auf Benjamin Kilchör: Mosetora und Jahwetora, Wiesbaden: Harrasowitz, 2015, hält er fest, dass die Tora-Berichte durchaus in den religiös-kulturellen Zeitrahmen der Reiche vor 1000 v. Chr. passen (142). Andererseits warnt er davor, sich die biblischen Texte in einer „maximalistischen“ Begeisterung für eigene politische Projekte (z. B. den Zionismus) anzueignen (143, 233f).
Die Studie ist eher sperrig geschrieben und verliert sich gelegentlich im Detail. Trotzdem eignet sich das Buch auch als Überblickswerk zu einer entscheidenden Epoche in der Levante. Es enthält insbesondere wertvolle Forschungs- und Quellenhinweise (10–22), ausführliche Tabellen zur Periodisierung im Alten Vorderen Orient (z. B. 11, 73f, 80, 88, 159) und einen Referenzteil mit Bibliographie, Stichwortverzeichnis und Bibelstellenregister (245–278). Auch die eingestreuten Karten sind hilfreich. Insgesamt dürfte das Werk vor allem für akademische Leser aus den Bereichen Archäologie und Bibelwissenschaften verfasst sein. Für den geneigten Laien ist die packend geschriebene, aber historisch fundierte Erzählung von Eric H. Cline: 1177 B.C., wesentlich zugänglicher – allerdings ohne den ausführlichen Fokus auf die spezifische Geschichte des biblischen Israel, den Pitkänen bietet.
Giancarlo Voellmy, Pfarrer in CH-Linden und Doktorand am Institut für Bibelwissenschaften der Universität Bern