Alexander Deeg / Christian Lehnert (Hg.): Krieg und Frieden
Alexander Deeg / Christian Lehnert (Hg.): Krieg und Frieden. Metaphern der Gewalt und Versöhnung im christlichen Gottesdienst, Beiträge zu Liturgie und Spiritualität 34, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2022, Pb., 182 S., € 38,–, ISBN 978-3-374-07085-5
Der zu besprechende Sammelband veröffentlicht die Vorträge des Fachgesprächs des Liturgiewissenschaftlichen Instituts in Leipzig vom März 2021, dessen Thema kaum aktueller sein könnte. Wie Alexander Deeg in seiner Einführung hervorhebt, waren ‚Krieg und Frieden‘ bereits während der Tagung aufgrund der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen rund um die Pandemie aktuell, zum Zeitpunkt der Fertigstellung hatte der Krieg in der Ukraine gerade begonnen. Leitmotiv aller Aufsätze soll die Fragestellung sein, „[o]b und wie sich Liturgien als Praktiken des Friedens erweisen.“ Neben den einführenden und abschließenden Beiträgen der Herausgeber verfasste Margaretha Gruber einen Beitrag zu Bildern von Gericht und Erlösung in der Johannesoffenbarung, Dirk G. Lange eine Darstellung von Liturgie als Verkörperung göttlicher Rückeroberung der Welt. Irene Mildenberger und Katharina Wiefel-Jenner steuern anhand der Liturgie der Evangelischen Schwesternschaft Ordo Pacis ein praktisches Beispiel für Frieden und Liturgie bei. Hier können nicht alle Beiträge detaillierter besprochen werden, stattdessen sollen drei Schlaglichter gesetzt werden.
Der Aufsatz von Stefan Heuser befasst sich sprachwissenschaftlich voraussetzungsreich mit dem Frieden Gottes als Metapher und zeigt ethische Perspektiven auf den Gottesdienst als transformative Praxis auf (69–84). Heuser rekurriert auf Ansätze, die bereits länger im Bereich der theologischen Ethik (Hans Ulrich und Bernd Wannenwetsch) thematisiert und in jüngerer Zeit verstärkt in der angelsächsischen Theologie (z. B. in der Cultural–Liturgies–Serie von James K. A. Smith) diskutiert werden. Sein Anliegen ist „die Anbahnung und Einübung einer Praxis, in der Menschen Gottes Frieden, Vergebung, Liebe und Zuwendung erfahren und in ihrem Handeln zur Geltung kommen lassen“ (78). Sprachspiele und Metaphern sollen ihren Beitrag leisten, die Feiernden in eine andere ‚Story‘ hineinzutragen, in der die Ethik ganz von Gott ausgeht. Das Anliegen, die Funktion der Sprache im Gottesdienst stärker im Sinne der transformativen Kraft zu bedenken, ist ohne Zweifel zu begrüßen. Dass jedoch schon durch die Verwendung der entsprechenden Metaphorik dem Frieden Gottes in einer transformativen Weise Raum gegeben wird, scheint mit Blick auf die Feiernden in einer zunehmend säkularen Zeit sehr optimistisch und noch wenig konkret.
Vor dem Hintergrund der Pandemie geht Kerstin Menzel der Frage nach, wie Spannungen inszeniert und gehalten werden können (101–130). Sie schildert dazu persönliche Erfahrungen bei der Planung und Durchführung der sog. Klagezeit in Leipzig, um sich anschließend der Analyse und Auswertung dreier öffentlicher Gedenk-Gottesdienste aus unterschiedlichen Phasen der Pandemie zuzuwenden. Dabei ist eine Kernfrage, wie das sehr „unterschiedliche und spannungsreiche Erleben der Pandemie“ im Gottesdienst zum Ausdruck kommen und in einen theologischen Horizont gestellt werden kann (107). Menzel gelingt es, die Bemühungen aller drei Gottesdienste wertzuschätzen, positive Aspekte für die Zukunft zu betonen und Elemente der Gottesdienste auf sehr faire Art zu kritisieren. Dabei sollte es gerade dem protestantischen Leser zu denken geben, dass der Gottesdienst, dem das Halten einer Spannung durch eine stringent christologische Ausrichtung am ehesten gelungen ist, ein katholischer war. Gemeindepraktisch orientiert untersucht Stefan Schweyer Kampfsemantiken im Praise-&Worship-Liedgut (131–160). Der Aufsatz ist ein eindrückliches Beispiel, wie eine solide durchgeführte Empirie in eine treffende Analyse münden und so zu einer verbesserten Gemeindepraxis führen kann. Er kommt zu dem Schluss, dass die vorgefundene Kampfsemantik einerseits eine Internalisierung des Glaubens aufweist, die im schlechteren Fall zu einem moralistisch-therapeutischen Deismus führt (148–151). Andererseits zeigt sich eine Externalisierung, die die Welt in einen bösen und einen guten Bereich einteilt und dadurch den Blick für die eigene Bosheit verstellt (151–157). Hilfreich wäre es gewesen, wenn Schweyer offengelegt hätte, welchen Pool an Begrifflichkeiten er für die Bestimmung von ‚Kampfsemantik‘ verwendet, anstatt unbestimmt auf „typische Kampfbegriffe“ (134) hinzuweisen.
Henrik Homrighausen, M.A. ev. Theol., Doktorand im Fachbereich Praktische Theologie an der STH Basel