Systematische Theologie

Bruce L. McCormack: The Humility of the Eternal Son

Bruce L. McCormack: The Humility of the Eternal Son. Reformed Kenoticism and the Repair of Chalcedon, Current Isssues in Theology 18, Cambridge: University Press, 2021, geb., 316 S., € 34,43, ISBN 978-1-316-51829-8


Mit dem vorliegenden opus summo fasst McCormack seine Arbeit der letzten 30 Jahre als Professor für Systematische Theologie (zuletzt am Princton Theological Seminary) zusammen. Es handelt sich hier um den ersten Band einer Trilogie. Diese beginnt mit der Christologie, worauf die Gotteslehre und schließlich eine Abhandlung der Sühne und Theodizee-Frage folgen werden (1). Er schließt sich Karl Barth an und beginnt mit der ökonomischen Trinität, um eine Aussage über die Beziehung innerhalb der immanenten Trinität treffen zu können (2).

Ziel seines Projektes ist es, eine christologisch basierte Ontologie zu konstruieren (6). Seine Vorgehensweise gliedert sich (I.) in eine kritische Auseinandersetzung mit der Dogmengeschichte, die sich (II.) am biblischen Befund messen muss und schließlich (III.) in seine eigene Rekonstruktion mündet. Die vorliegende Rezension konzentriert sich aufgrund der großen Dichte seines Werkes auf die Vorstellung des dritten Teils und endet mit einer kritischen Würdigung.

Wie der Untertitel schon suggeriert, will der Autor maßgebliche Weichenstellungen im Konzil von Chalkedon auf ihre Orthodoxie hin überprüfen und „reparieren“. Dieser Aufbau macht deutlich, dass er sich als ein Gesprächspartner mit der Tradition versteht. Seine produktivsten Quellen sind Jüngel und Barth. Er greift aber über die Konfessionsgrenze hinaus auf eine bemerkenswerte Zahl an Theologen zurück (mehr als 20!), die ein ähnliches Problem wie er sahen, aber nicht weiterverfolgten (282). Dabei muss angemerkt werden, dass er von Johannes von Damaskus direkt zur Reformation kommt und somit ca. 1000 Jahre überspringt. Es scheint, dass McCormack mit neuem Vokabular bzw. neuen Kategorien wie „Person“ oder „Identität“ auf die Verschiebung der dogmatischen Frage in der Christologie Ende des 19. Jahrhunderts von „was ist Jesus?“ zu „wer ist Jesus?“ antworten will. In seiner Auseinandersetzung mit der Dogmengeschichte wird deutlich, dass er das Schriftzeugnis und die zweite Person der Trinität für heutige Christenmenschen besser verständlich machen möchte. Er hinterfragt sodann die Geschichte in post-kantianischer Manier, ohne dabei nur als Modernist aufzutreten. Ihm geht es um eine konstruktive Auseinandersetzung, sodass er sich am Ende selbst in der Geschichte verortet (276–282).

Die leitende Frage des Buches lautet, ob auf den ewigen logos eingewirkt werden kann, wie auf Jesus von Nazareth eingewirkt wurde (5). Dahinter steht die Diskussion der Lehre der Apathie (lat. impassibilitas) Gottes im und nach dem Konzil von Chalkedon. Die vorherrschende Lehrmeinung der Tradition verneint diese Frage und hält an der Apathie Gottes fest. Folglich beharrt sie auf der Unwandelbarkeit und Zeitlosigkeit Gottes, dem die Lehre der Aseität Gottes zugrunde liegt. McCormack sieht dahinter jedoch eine Hellenisierung (Adolf von Harnack) christlicher Lehre, die seines Erachtens nicht mit dem Schriftbeweis der Apostel vereinbar ist (3). Der Autor schlägt vor, das Konzept der Apathie Gottes loszulassen und sich zu fragen, was daraus folgt. Wer und wie muss dieser Gott sein, wenn durch Jesus von Nazareth auf Gott eingewirkt wurde? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage erfordere eine neue Christologie und eine neue theologische Ontologie (6). Um darauf eine Antwort zu finden, muss die Kenosis-Lehre überdacht werden.

Sein Lösungsvorschlag lautet, Kenosis als eine „ontologischen Rezeptivität“ (eng. ontological receptivity) zu verstehen (19). Gott lasse sich affektieren, sei aber nicht veränderbar. Ihm ist wichtig, dass die göttliche und menschliche Integrität in der Einheit vom Gott-Menschen Jesus erhalten bleibt (252f). Dieser Vorschlag löse den Widerspruch, dass Jesus von Nazareth nur eine passive Rolle zugesprochen und somit vom logos instrumentalisiert wird. Chalkedon mache den Fehler, den logos mit der Person gleichzusetzen und somit von einem logos asarkos zu sprechen (253).

McCormack arbeitet heraus, dass es einen logos asarkos an sich nicht gibt und der logos schon immer mit der Absicht existierte zu inkarnieren (253). Der biblische Befund mache deutlich, dass Sendung und Mission das Wesen des Sohnes ausmachen, weil die Mission Bestandteil der ewigen Zeugung des Sohnes vom Vater ist. Die Integrität des Göttlichen bleibe bewahrt, wenn die Betonung auf die Absicht des ewigen Sohnes zu inkarnieren gelegt wird. Die Menschlichkeit Jesu bleibe integer, wenn von einer Rezeptivität des ewigen Sohnes gesprochen wird, die eine Instrumentalisierung des Jesus von Nazareth verhindert (253–255). Diese Konstruktion wird am Beispiel des Kreuzestodes Jesu nachvollziehbar: Nach Chalkedon könne der logos nicht den Tod in der Gottverlassenheit erleiden. Diesem widerspricht McCormack. Im Moment des Todes habe der Heilige Geist Jesu menschliches Bewusstsein verlassen, was zur Abwesenheit des Vaters geführt habe. Aber, weil die Erfahrung des menschlichen Bewusstseins Jesu immer im göttlichen Bewusstsein des logos „empfangen“ werde, sei das eine menschliche Erfahrung im und damit vom logos (271). Der logos empfange diese Erfahrung in Form einer Absorption. Der Tod könne jedoch nicht denjenigen „festhalten“, in dem das unauslöschliche Leben währt, was mit der Auferstehung deutlich wird (259).

McCormacks Arbeitsweise ist positiv zu würdigen, da er nicht nur umfangreich mit der Dogmengeschichte, sondern auch mit den Bibelwissenschaften in Diskussion tritt. Diese Arbeitsweise ist Teil seines Arguments, was zu einem wertschätzenden Umgang mit seinen Opponenten führt. Sie bietet eine erfrischende Abwechslung zu einer teils zu starken Isolierung der Subdisziplinen in der evangelischen Theologie im deutschsprachigen Raum. Im bibelwissenschaftlichen Teil wäre eine ausführlichere Diskussion seines exegetischen Befundes wünschenswert.

Die Hauptanfrage kann an seine Interpretation von Chalkedon, den Kirchenvätern (v. a. Cyril von Alexandrien) und ihrem Verständnis der Apathie Gottes gestellt werden. Weichenstellend für McCormacks Argument ist die Annahme, dass die Entwicklung der Dogmata der Apathie und Unveränderlichkeit Gottes einer chronischen Hellenisierung ausgesetzt sind, der entgegengewirkt werden müsse (3). Hier stellt sich die erste Nachfrage, ob Harnacks These unhinterfragt vorausgesetzt werden kann. Waren es darüber hinaus tatsächlich nur politische Machtdynamiken im Konzil, die zu der Durchsetzung des Dogmas führten (52f) oder müssen weitere Faktoren, wie das bereits etablierte liturgische Leben der Kirche, welches die damaligen Dogma widerspiegelte und in Harmonie mit ihnen stand, für die Entwicklung der Christologie berücksichtigt werden? Schließlich muss betont werden, dass Gott nach biblischem Zeugnis vom Handeln der Menschen affektiert wird, ihnen aber nicht hilflos unterliegt, sondern das Subjekt ist und somit in Kontrolle bleibt. McCormack stellt einen Gott vor, der neben dem Menschen im Brunnen sitzt, mitfühlt und mitleidet. Jedoch braucht der Mensch einen Retter, der ihn auch aus dem Brunnen retten kann. So kann gerade die Passion Christi als Ausdruck der impassibilitas insofern gesehen werden, als dass es Gottes bewusster Wille war, Fleisch anzunehmen, zu leiden und zu sterben (Mt 26,53; Lk 23,46), anstatt diesem unfreiwillig und ohne Kontrolle unterworfen zu sein. McCormack ist aktuell einer der wichtigsten Gesprächspartner in der dogmatischen Diskussion im angelsächsischen Raum, sodass eine Auseinandersetzung mit ihm für die Fachdiskussion unabdingbar ist. Darüber hinaus bietet der dogmengeschichtliche Teil eine ausführliche Einführung in die christologische Diskussion für Studierende und Forschende. Sein reformatorisches Anliegen, die Dogmengeschichte an der Schrift zu prüfen, verlangt eine umfangreiche Auseinandersetzung mit den Bibelwissenschaften ab. So lädt er mit dieser Arbeitsweise seine Fachkolleginnen und -kollegen dazu ein, über die inhaltliche Diskussion hinaus, nochmals neu über den Ort der Heiligen Schrift in der evangelischen Theologie zu reflektieren. Auf diese Weise führt der Autor eine Diskussion auf mehreren Ebenen fort, was die Lektüre dieses Buches empfehlenswert macht.


David Giesbrecht, B.A., Masterstudent an der Freien Theologischen Hochschule Gießen