Systematische Theologie

Heinzpeter Hempelmann: Philosophie

Heinzpeter Hempelmann: Philosophie. Eine Einführung für Theologen 1. Antike: Vorsokratiker – Platon – Aristoteles, Gießen: Brunnen, 2022, Pb., 176 S., € 20,–, ISBN 978-3-7655-9115-0


Heinzpeter Hempelmann ist Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg und Professor für Systematische Theologie und Kulturhermeneutik an der Internationalen Hochschule Liebenzell (IHL). Der Verfasser von über 80 Monografien, zahllosen Aufsätzen und Mitherausgeber des ELThG2 (Evangelischen Lexikons für Theologie und Gemeinde) legt den ersten Band seiner Einführung in die Philosophie vor.

Die Einführung (7–26) begrenzt das Werk auf die „abendländische Geistesgeschichte“ (9). Er bezweckt einen „ersten qualifizierten Zugang“ (9) mit „Konzentration auf die Teile des Werkes“ eines Philosophen, die „bei theologisch suchenden Lesern auch besonderes Interesse finden“ (10). Zusätzlich kann online auf Videos und Podcasts des Autors zugegriffen werden.

Zu den „Sieben Gründen, warum gerade Christen und Theologen“ zur Beschäftigung mit Philosophie aufgerufen sind, gehört der Zusammenhang zwischen Glauben und Denken. „Glaube hat was mit Vernunft zu tun. Er hat Gründe“ (23). Unter anderem dabei hilft Philosophie. Wie bei jedem Kapitel folgen am Ende Literaturhinweise.

„Teil A. Vorsokratiker“ (27–61) weist auf die Neuheit des philosophischen Ansatzes als Übergang des „mythischen Denkens“ (30) zur „rationalen, nach Kausalitäten und abstrahierbaren Prinzipien suchenden Antwort“ (31) hin. Acht Philosophen und ihre Schulen werden vorgestellt. Sie wirken bis heute in ihrer Entscheidung für Rationalität und der Suche nach dem Ganzen. Exkurse (zur mathematischen Struktur der Wirklichkeit, Materialismus und Wahrheitspluralismus) und kurze Texte der Vorsokratiker beschließen das Kapitel.

„Teil B. Platon“ (63–114) zeigt Platon auch als Praktiker. Seine dialogische Methode, Ideenlehre und Idealstaat werden verständlich erklärt. Platonischer Idealismus und Fragen nach Seele, Bewusstsein und dem Zusammenhang des Guten, Wahren und Schönen befruchten die Philosophie bis heute. Kritik findet sich an der Ideenlehre, seiner totalitaristischen Staatsethik und dem Essenzialismus. Christliche Anknüpfungspunkte sieht der Autor in der Person des Sokrates, der Lage des Menschen, der Ordnung der Welt und die ihr zugrundeliegende tiefere Realität. Unvereinbar mit der Bibel sind die Bewertung des Diesseits, des Körpers, der Seele und der Erlösung: „Das Problem des Menschen ist nicht nur kognitiver Natur. … Die Rettung und Erlösung braucht den Identitätswechsel im Glauben“ (100). Aus der Erkenntnistheorie folgen für den Autor Absolutheitsansprüche mit negativen ethischen, politischen und theologischen Auswirkungen aufgrund einer „Überformung hebräisch-biblischen Denkens durch platonische Wesensschau“ (104). Als Textbeispiele dienen das Höhlengleichnis, sowie Auszüge aus dem siebten Brief und aus dem Phaidon.

„Teil C. Aristoteles“ (115–167) würdigt die immense Leistung des Philosophen, beschränkt sich aber „auf das eine Werk, das von allergrößtem Interesse ist für Theologen und Christen“ (119), die Metaphysik. Wir erhalten eine Einführung in die aristotelische „erste Philosophie“. In Bezug auf die Wirkung des Aristoteles wird nur auf seine Wissenschaftskonzeption und Metaphysik eingegangen. Für Christen ist die Theologie des Aristoteles vielfach attraktiv. Dennoch überwiegen für den Autor die „Bruchpunkte …, die es schwer verständlich erscheinen lassen, dass man überhaupt versucht hat, Aristotelische Metaphysik und den biblisch bezeugten Gott aufeinander zu beziehen“ (145). Solche Bruchpunkte sind der sich ändernde, liebende, gekreuzigte Gott und unterschiedliche Wahrheits- und Weltvorstellungen. Griechische Metaphysik hat einen schädlichen Einfluss auf Theologie. Das versucht der Autor anhand der Zwei-Naturen-Lehre zu belegen (151f). Er scheint den Begriff „wesensgleich“ aus dem Nicänum im Widerspruch zur Bibel zu sehen. „Aus der Wahrnehmung der Geschichte abgeleitete, erzählende Christologie und philosophisch bestimmte, ontologisch verfahrende Theologie verhalten sich wie Feuer und Wasser“ (153). Das Denken in Kategorien ist zwar unvermeidlich (155), kann aber gefährlich werden, wie Aristoteles Befürwortung der Sklaverei zeigt (157f). Der Autor führt die Diskussion abschließend zu „den Herausforderungen, vor die uns ein postmodernes Denken stellt“ (162), und fragt: „Was ist denn nun der Mensch, … Was ist denn nun die Mitte der Schrift, das Evangelium, der Kern des christlichen Glaubens, der Kanon im Kanon …?“ (162) Das Textbeispiel stammt aus Metaphysik, XII, 7–9.

Nach den Literaturangaben zu Aristoteles folgen ein Glossar, sowie Personen- und Sachregister.

Die klare Konzeption und die Einbeziehung der postmodernen Philosophie machen das Buch zu einer spannenden Lektüre. Doch weshalb konzentrieren sich Philosophie-Einführungen gewöhnlich auf das Abendland und seine männlichen Theologen (vgl. den Titel) und männlichen Philosophen?

Das Buch entstand aus jahrzehntelanger Unterrichtspraxis (9) und zeigt dementsprechend eine bewundernswerte Vertrautheit mit den besprochenen Philosophen und ihrer Rezeption. Trotzdem war ich bei der Lektüre dankbar für mein bereits abgeschlossenes Studium der Philosophie und Linguistik. Ist es nötig, in der Einführung zu einer Einführung die Habermas’sche Diskurstheorie, die Kantkritik von Hamann und eine Diskussion des Wahrheitspluralismus in der christlichen Theologie zu präsentieren?

Ja, denn das Buch legt seine eigene philosophische Haltung offen. So wird es auch zu einer Art theologischen Einführung. Wir finden Einwände gegen „letzte, metaphysische Voraussetzungen“ (17), das „tyrannische Denken“ (89) des Essenzialismus und der Logik: „Logik und Toleranz passen nicht so gut zueinander“ (125).

Passend dazu wird festgestellt: „Biblisch-theologisch ist Wahrheit (hebr. ämät) Treue“ (148). Hier fehlt ein Beleg (und eine Auseinandersetzung mit Michel Diethelm, „’ÄMÄT. Untersuchung über ‚Wahrheit im Hebräischen‘“, Archiv für Begriffsgeschichte 12 [1968]: 30–57). Ganz anders der „Grundsatz griechischer Erkenntnistheorie: Erkenntnis entsteht durch Ausschluss“ (125). Diesem Denken stellt Hempelmann Jesus so entgegen: „Er vertritt keine doktrinalen Positionen“ (92). Zusätzlich scheint der Autor ein linguistisches Relativitätsprinzip zu vertreten (inklusive traditioneller Erwähnung der Hopi-Sprache, 155), was in Folgebänden hoffentlich noch ausdifferenziert wird. Hempelmann verweist im Zitat darauf, dass wir auf die „hebräische Sprache angewiesen“ sind, „um die Kenntnis Jesu nicht zu verfehlen oder zu verfälschen“ (153, Anm. 58). Ohne weitere Erläuterungen könnte dies zu Fragen führen wie: Können Nicht-Hebraisten Jesus echt kennen? Können wir unsere heiligen Bücher übersetzen? Und was wird dadurch aus der vorliegenden Einführung in das Denken von Menschen, die in einer völlig anderen Sprache und Kultur beheimatet waren? Konnten wir sie halbwegs richtig verstehen? Haben ihre Texte eine Bedeutung, auch bevor „wir sie eindeutig machen“ (105)? Bei all diesen und anderen im Buch angesprochenen Fragen (z. B. zu Monolatrie in der Bibel, zur Darstellung reformierter Theologie, zum Offenen Theismus, zur Offenbarungstheologie, zum Inspirationsverständnis) lohnt sich ein Nachdenken – auch über postmoderne Positionen – um weiter nach der von Gott offenbarten Wahrheit zu suchen und an ihr festzuhalten.


Dr.phil. Christian Bensel, „Begründet Glauben – Verein für Philosophie, Weltanschauung und christlichen Glauben“, Oberösterreich