Uwe Swarat: Lob der großen Taten Gottes
Uwe Swarat: Lob der großen Taten Gottes. Einführung in die „Rechenschaft vom Glauben“, Kassel: Oncken, 2022, kt., 192 S., € 14,95, ISBN 978-3-87939-1160-8
Das Glaubensbekenntnis der deutschsprachigen Baptistengemeinden heißt Rechenschaft vom Glauben (1977). Eine Einführung in diese wurde von Uwe Swarat in seinem letzten Semester als Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Hochschule Elstal unterrichtet und nun als Buch herausgebracht.
Durch einen solchen Kommentar wird man auf Eigenheiten der – wie ich sie im Folgenden kurz nenne – Rechenschaft aufmerksam, über die man leicht hinwegliest. Der Blick des Lesers wird geschärft, auch für das, was nicht im Bekenntnis steht. So redet etwa die Rechenschaft „nirgendwo ausdrücklich von der Dreieinigkeit Gottes“ (76). Swarat betrachtet auch den Stil: Dieser ist vorwiegend berichtend (wie die Rechenschaft selbst sagt), und häufig fehlen Bindewörter wie „denn“ oder „weil“ (12f). Daneben fände ich auch quantitative Aspekte erwähnenswert, etwa dass die Rechenschaft mit etwa 6000 Wörtern ein sehr umfangreiches Bekenntnis ist, und dass von den etwa 250 vor allem am Seitenrand genannten Bibelbezügen nur ein Zehntel das Alte Testament betrifft.
Swarat bringt wertvolle Grundinformationen, z. B.: Die Rechenschaft wurde von einer Kommission erarbeitet, die aus neun Theologen aus vier deutschsprachigen Ländern (BRD, DDR, Schweiz, Österreich) bestand (11), wobei Eduard Schütz und Adolf Pohl die Hauptverfasser waren (81).
Anmerkungen müssen jeweils am Ende des Buches nachgeschlagen werden. Es gibt kein Register. Die Buchkapitel entsprechen den aufeinanderfolgenden Abschnitten der Rechenschaft, jedoch ohne deren Nummerierung. Die Rechenschaft besteht aus drei „Teilen“, die jeweils in mehrere – von Swarat so genannte – „Abschnitte“ gegliedert sind. Der Leitbegriff für diese drei Teile ist die „Gottesherrschaft“: Es geht um (1) ihre Aufrichtung, (2) das Leben unter ihr, sowie (3) ihre Vollendung. Ich halte es für genial, ein Bekenntnis anhand eines Leitbegriffes zu entfalten. Swarat bedauert die Entscheidung für diesen Leitbegriff, denn man hat „sich mit der Wahl der Gottesherrschaft als Zentralbegriff ihres Bekenntnisses nur an der Verkündigung des historischen Jesus orientiert“ (23). Im Rahmen der Rechenschaft wird das hinter dieser Entscheidung stehende dogmatische Urteil nicht begründet (24). Swarat bringt hier eine Reihe von Einwänden gegen die Wahl dieses Leitbegriffes. Nun wäre es interessant zu erfahren, ob diese Einwände von der damaligen Kommission ohnehin besprochen wurden. Zu den Beratungen dieser Kommission erfährt man von Swarat aber nur wenig: „Die Akten der Kommission, die den ursprünglichen Bekenntnistext entwarf, dürften noch unberührt im Oncken-Archiv Elstal liegen“ (7). Ob dem so ist, scheint Swarat also nicht zu wissen. Ich stimme ihm zu, dass für das Schreiben einer Einführung das Studium der genannten Akten (Besprechungsprotokolle?) nicht unbedingt nötig ist, aber wo er den Text der Rechenschaft ausführlich kritisiert, wäre der Miteinbezug der Überlegungen der Kommission eine Bereicherung gewesen.
Die Rechenschaft vertritt im Bezug auf Israel eine „Zwei-Bünde-Theologie“, wonach es neben dem neuen Bund weiterhin Gottes „Bund mit Israel“ (der Ausdruck „alter Bund“ wird vermieden) gibt. In diesem Abschnitt wurden im Jahr 2019 Änderungen vorgenommen. Die neue Fassung sagt Folgendes über das „Volk Israel“: „In ihm will Gott alle Völker segnen und es zum Licht der Völker setzen.“ Die ursprüngliche Fassung hatte hier „wollte“ anstelle von „will“. Swarat begrüßt diese Änderung (67). Aber inwiefern gilt eine solche – gut auf Jesus passende – Aussage auch für das gegenwärtige Volk Israel? Leider wird nicht definiert, was mit „Volk Israel“ gemeint ist. Wird der gegenwärtige Staat Israel als „Licht der Völker“ gesehen, oder seine jüdischen Bürger? Oder gelten weltweit alle jene, die (teilweise) biologisch von Jakob abstammen, als ein solches Licht – atheistische Juden ebenso wie orthodoxe? Auch Swarat stellt diese Frage nicht.
Eine selbstkritische Haltung im Hinblick auf die Geschichte der Christenheit ist sicherlich angebracht, aber Swarats Formulierungen „Judenfeindschaft der Christen“ und „christliche Judenfeindschaft“ (63) sind undifferenziert. Die nationalsozialistische Regierung beabsichtigte – und wurde dabei von vielen unterstützt –, das Volk der Juden zu vernichten, aber es klingt zu pauschal zu behaupten, dass „das deutsche Volk“ (in seiner Gesamtheit?) das versuchte (67).
Die im Jahr 2019 vorgenommenen Änderungen an der Rechenschaft halte ich für einen Irrweg. Denn Gottes Verheißungen sind nicht starr, sondern dynamisch (vgl. Num 14,30 und meine Ausführungen in „Das Ende naht!“ Die Irrtümer der Endzeitspezialisten, 3. Aufl. Bonn: VKW, 2007, 106–108). Als das Volk Israel oder ein Teil davon nicht auf Gott hörte, wurden Gottes Zusagen nicht hinfällig, aber verändert. Es kam zwar das ganze Volk Israel in Gottes Bund hinein, aber oft blieb nicht das ganze Volk darin – für das Bleiben im Bund gibt es sehr wohl Bedingungen. Der alte Bund ging in den neuen Bund über, weil letztlich ein Bund hinter den Bünden Gottes steht. Der in Kontinuität zum bisherigen Bund mit dem Volk Israel stehende „neue Bund“ zwischen Jesus und den an ihn Glaubenden wurde bereits im Alten Testament angekündigt (Jer 31,31–34; vgl. Joachim J. Krause: Die Bedingungen des Bundes. Studien zur konditionalen Struktur alttestamentlicher Bundeskonzeptionen, FAT 140, Tübingen: Mohr, 2020; Joel White: „Der eine Bund hinter den Bünden. Die Treue Gottes als theologische Basis gesamtbiblischer Theologie“, in: Armin D. Baum / Rob van Houwelingen [Hg.]: Kernthemen neutestamentlicher Theologie, Gießen: Brunnen, 2022, 41–57).
Im Abschnitt „Gottes Wort – die Bibel“ „schließt sich die Rechenschaft allem Anschein nach dem Wort-Gottes-Verständnis von Karl Barth an, der genau diese dreifache Gestalt des Wortes Gottes (offenbartes [nämlich: in der Person Jesu], geschriebenes und verkündigtes) Wort in seiner Kirchlichen Dogmatik gelehrt hat“ (76). Swarat weist darauf hin, welche Begriffe in der Rechenschaft nicht erwähnt werden: „Das Stichwort ‚Inspiration‘ oder ‚Eingebung‘ fehlt hier; auch nähere Erläuterungen darüber, […] was sie bewirkt hat (Irrtumslosigkeit oder nicht?), fehlen.“ (76f). Die Inspiration wird in der Rechenschaft anders – und zwar schwächer – ausgedrückt: Die Verfasser des Neuen Testaments „haben unter der Leitung des Heiligen Geistes Zeugnis abgelegt von dem in Christus erschienenen Heil Gottes“. Eine analoge Aussage darüber, wie die Verfasser des Alten Testaments geleitet wurden, findet sich nicht.
Noch ein anderer Abschnitt wurde gegenüber dem ursprünglichen Text der Rechenschaft verändert, nämlich der über „Glaube und Taufe“. Hier hatten die Baptisten der DDR ursprünglich eine abweichende, nämlich klar symbolische Version. Nach der Wiedervereinigung wurde eine Vereinheitlichung angestrebt, die 1995 gelang. Die Darstellung Swarats (100–111) lässt erahnen, wie mühsam das Ringen um allseits akzeptierte Formulierungen oft ist. Fazit: Die Einführung von Uwe Swarat erhellt punktuell die Bedeutung der Aussagen des baptistischen Glaubensbekenntnisses Rechenschaft vom Glauben. Mitunter komme ich zu einer gegenteiligen Einschätzung, etwa wenn Swarat die Änderungen zum Abschnitt über das Volk Israel für wertvoll hält, oder wenn er die Wahl des Leitbegriffes „Gottesherrschaft“ kritisiert.
Dr. Franz Graf-Stuhlhofer BSc, Lehrbeauftragter an der KPH Wien/Krems für Kirchengeschichte und Dogmatik