Roland Fleischer / Franz Graf-Stuhlhofer (Hg.): Theologie und Politik bei deutschsprachigen Baptisten in Südosteuropa
Roland Fleischer / Franz Graf-Stuhlhofer (Hg.): Theologie und Politik bei deutschsprachigen Baptisten in Südosteuropa. Dokumentation aus der Zeitschrift „Täufer-Bote“ 1930–42, Studien zur Geschichte christlicher Bewegungen reformatorischer Tradition in Österreich 13, Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, 2021, geb., 348 S., € 22,–, ISBN 978-3-86269-230-9
Die beiden baptistischen Theologen Roland Fleischer und Franz Graf-Stuhlhofer haben mit ihrer Dokumentation des Täufer-Boten „eine vergangene Welt“ (Cover) wieder lebendig werden lassen. Die Quellenlage zur Geschichte der deutschsprachigen Baptisten in Südosteuropa ist aufgrund der Wirren der Nachkriegsgeschichte oft sehr schwierig. Umso verdienstvoller ist die hier erfolgte Auswahl wesentlicher Texte aus dem zentralen Publikationsorgan dieser Bewegung, dem „Täufer-Boten“.
Ganz zu Beginn muss zunächst eine Klarstellung erfolgen: Während der Titel von „Südosteuropa“ spricht, ist auf dem Cover lediglich der Umriss des heutigen Österreich abgebildet, wie es auch der Reihe entspricht. Diese erste Irritation löst sich aber schon auf den ersten Seiten auf. Der „Täufer-Bote“ wandte sich an die „Donauländer“, konkret: Österreich, die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und Bulgarien (2). Bis zum Anschluss Österreichs 1938 ist dabei Wien das wohl wichtigste Zentrum der Bewegung. Nach 1938 spielt Österreich keine Rolle mehr – und auch die Tätigkeit des Wiener Baptistenpredigers Kösters endete (bis auf wenige Ausnahmen; 8).
Die Komplexität der behandelten Jahre 1930–1942, sowie die kaum erforschte Situation der Baptisten in den „Donauländern“ machen also eine ausführliche Einleitung des Quellenmaterials vorab unabdingbar. Auf wenigen Seiten wird dabei nicht nur die Situation der betreffenden Bewegung, sondern auch die Intention sowie die Verbreitung des Publikationsorgans dargestellt. Dabei werden erste theologische Linien bereits in der Einführung deutlich. Etwa das auf allen Ausgaben der monatlich erscheinenden Zeitschrift prominent auf der ersten Seite abgedruckte Motto: „Die Wahrheit ist untödlich!“ Es geht auf den täuferischen Theologen Balthasar Hubmaier (1485–1528) zurück, der in Wien als „Aufrührer“ auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Der Rückgriff auf die Täuferbewegung der Reformationszeit erscheint damit als eine Form der Selbstvergewisserung und Identitätsbildung für die recht junge baptistische Bewegung im engeren Sinn, zumal diese nur als kleine Minderheit an verschiedenen Orten existierte.
Die Herausgeber erläutern in der Einführung auch die Kriterien der Edition, die sämtlich nachvollziehbar sind. Eine vollständige Wiedergabe aller erhaltenen Ausgaben hätte bis zu 4.000 Seiten umgefasst und wäre in der Tat „kaum sinnvoll“ (2) gewesen. Stattdessen unterteilen die Herausgeber aus Ihrer Sicht wesentliche und repräsentative Beiträge in zehn Rubriken, in welchen dann chronologisch die verschiedenen Artikel und Miszellen geordnet sind. Diese Einteilung vermag nicht immer zu überzeugen, da die systematischen Gründe nicht hinreichend reflektiert sind. Der „Umgang mit der Bibel“ scheint etwa inhaltlich als Oberthema auch gut geeignet für die beiden weiteren Einheiten zu „Themen von Bibelkursen für Prediger“ und „Bibeltext-Predigten“. Auch der Abschnitt „Theologische Zugänge“ ließe sich problemlos für eine Vielzahl weiterer Artikel aus anderen Abschnitten anwenden.
Die Auswahl der Texte insgesamt ist jedoch stimmig, besonders der Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und (weniger stark ausgeprägt) mit dem Kommunismus bzw. Sozialismus und die baptistische Identitätsbildung im Verhältnis zu anderen Konfessionen. Immer wieder lassen sich in diesen Abschnitten wirkliche Schätze finden. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass ein Register am Ende des Bandes mehr als hilfreich gewesen wäre. So lässt sich weder nach Stichworten, Personen, Orten, Ereignissen o. ä. ein Text finden – und die mangelnde Systematik der Oberkategorien wird umso schmerzhafter empfunden.
Lobend hervorzuheben sind in der Einleitung auf jeden Fall noch die drei präzisen Kurzbiographien über die Herausgeber des „Täufer-Boten“: Fleischer, Füllbrandt und Köster. Aus meiner Sicht ragt in seiner historischen Bedeutung und seiner theologischen Klarheit der Wiener Baptistenprediger Arnold Köster in dieser Dreiergruppe heraus. Er stammt gebürtig aus Wiedenest bei Köln und hatte sich intensiv mit den großen Denkern der Theologie auseinandergesetzt. Vieles erinnert etwa an die dialektische Theologie eines Karl Barth (8), zugleich grenzt sich Köster von Sozialismus und social gospel (45; 149) deutlich stärker ab. Neben Kierkegaard, Nietzsche und Spengler (vgl. 8) wären auch noch Adolf Schlatter (vgl. 26f, 91 u. ö.) und der Jugendpfarrer Wilhelm Busch (140) als wichtige Gesprächspartner zu nennen. Neben seiner theologischen Bildung ragt auch sein Mut in der Bewertung der Zeitereignisse heraus (vgl. 8f). So verurteilt er etwa schon 1933 den Nationalsozialismus als antichristlich.
Bei aller Rede von der Endzeit und aller dialektischen Rhetorik bleibt Köster jedoch selbstkritisch. Das gilt sogar vom Baptismus insgesamt: „Wenn der Baptismus versagt, in kirchlicher Erstarrung endet und Gott uns ruft -, dann ziehen wir!“ (98). Zudem ist Köster auch immer wieder ein Mann der leisen, mystischen Töne. So betont er durch alle Jahrgänge hinweg unablässig die Notwendigkeit der „Stille vor dem Herrn“ (vgl. 139). Christen sind „Menschen einer großen Ruhe“ (149). Auch seine Begegnungen mit Otto Dibelius (90) oder der Oxford-Gruppen-Bewegung (286f) sind nicht nur für den Historiker interessant. Wer sich die Mühe macht, die entsprechenden Texte in der Edition zu suchen, wird also durchaus mit vielerlei historischen und theologischen Erkenntnissen belohnt. Mit der kundigen Einleitung vor jedem Text, hilfreichen Angaben in eckigen Klammern und unter Zuhilfenahme des Historischen Lexikons des BEFG bei unbekannteren Persönlichkeiten (https://lexikon.befg.de) findet man sich gut zurecht. Als Vergleichspunkt jenseits der großen Zentren deutschsprachiger Theologie, sowie als Quelle für die historische Verfasstheit der Baptisten in Südosteuropa, sowie für die Theologie ihrer bedeutendsten Repräsentanten hat der Band seine Aufmerksamkeit verdient. Den beiden Herausgebern ist daher für die Erschließung dieses Quellenmaterials sowie seine kundige Einleitung herzlich zu danken.
Dr. Jan Reitzner, Vikar der Hannoverschen Landeskirche, Mitglied im Kammernetzwerk der EKD (Fachbereich Theologie I) sowie im Ausbildungsbeirat der Hannoverschen Landeskirche und stellv. Mitglied der EKD- und der VELKD-Synode