Praktische Theologie

Philipp Bartholomä / Stefan Schweyer: Gemeinde mit Mission

Philipp Bartholomä / Stefan Schweyer: Gemeinde mit Mission. Damit Menschen von heute leidenschaftlich Christus nachfolgen, Gießen: Brunnen, 2023, Pb., 256 S., € 20,–‍, ISBN ‎9783765521416


Philipp Bartholomä und Stefan Schweyer haben ein gemeindepraktisches Werk aus freikirchlicher Perspektive vorgelegt, das kirchentheoretisch rückgebunden sowie praktisch-theologisch relevant ist. Eine „‚Gemeinde mit Mission‘ ist eine Gemeinde mit dem Auftrag, in einem säkularen Kontext Menschen mit Gott zusammenzuführen“ (9) – so die eingangs vorgetragene Hauptthese. Kirche wird durchgehend aus Sicht der einzelnen Gemeinde und des nicht alleinigen, aber hier schwerpunktmäßig behandelten Auftrages der Mission betrachtet. 

Das Werk gliedert sich in drei Hauptteile. Teil I fasst die Umwelt der Gemeinde ins Auge. Die gegenwärtige Gesellschaft wird als „nach-christentümlich“ aufgefasst, „in der die enge Verbindung von christlichem Glauben und Kultur aufgelöst“ sei (18). In diesem Kontext wiesen Freikirchen gegenüber den Großkirchen eine relative „Wettbewerbsstärke“ auf, dennoch sei eine „Krise der Mission“ zu verzeichnen: Freikirchliche Gemeinden, so sie denn wachsen, profitierten von Transferwachstum; Konversionen von säkular geprägten Menschen fänden kaum statt. In der gegenwärtigen Kultur gelte Nicht-Glauben als reif und mündig. Evangelistische Bemühungen könnten zudem immer weniger einen „geistlichen Grundwasserspiegel“ voraussetzen. Nach einem Durchgang durch Gemeindeaufbaukonzepte wie Willow Creek oder Center Church votieren die Autoren für gästesensible Gottesdienste, einen guten Mix aus gemeindlichen Komm- und Geh-Strukturen und für ein Modell von Gemeinde, die eine „Kontrastgesellschaft“ darstellt und zugleich ihrem Umfeld zugewandt ist.

Teil II entwirft theologisch begründete Normen und Charakteristika von „Gemeinden mit Mission“. Sie sollten die Autorität der Bibel – zusammengefasst im Nizänum und Apostolikum – in einem Umfeld bewähren, das durch überkommene reduktive Theologie und Moralisierung durch die Kirche (!) gegen den christlichen Glauben immunisiert sei. Das Evangelium solle die „Gemeinde-DNA“ fortwährend durchdringen; gut reformatorisch wird ein dynamisches Gegenüber von Sünde und Gnade beschrieben. Im weiteren Verlauf werden die vier Eigenschaften der Kirche gemäß des Nizänums, die notae ecclesiae, sowie die vier Grundvollzüge der Kirche für die Gemeinde geltend gemacht. Nach diesem klassischen Aufriss richtet sich der Blick zur Gesellschaft, zu den „signifikanten Anderen“ hin. Eine Gemeinde solle sich nicht in Konkurrenz zu anderen christlichen Gruppen definieren, sondern als „öffentliche“ bzw. „missionarische Kontrastgesellschaft“ den signifikanten Anderen gegenüber. Grundlegende menschliche Sehnsüchte werden als Anknüpfungspunkte zum Glauben hin identifiziert. Dabei heben Bartholomä und Schweyer die Gemeinde als Ort von Gemeinschaft hervor; sie sei durch konzentrische Kreise von Gemeinschafts-Intensitäten gekennzeichnet, wobei das Abendmahl in der Mitte stehe.

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen werden in Teil III kybernetische Weichenstellungen erörtert, die mit zahlreichen „Good Practice“-Beispielen angereichert sind. Jene Beispiele malen ein plastisches Bild, wie sich die Autoren eine Gemeinde mit Mission vorstellen. Ein Leitgedanke ist, dass sie sich nicht abschottet, „sondern offen und mitten in der Welt“ (140) agiert – dieser kommt dem großkirchlichen Volkskirchenbegriff nahe. Eine Gemeinde partizipiere an der Missio Dei und fordere ihr nach-christentümliches Umfeld mit dem sensibel kontextualisierten Evangelium heraus. Eine Gemeinde soll gastfreundlich sein und den gästesensiblen Gottesdienst als „Quelle und Höhepunkt der Mission“ (186) feiern. Dem praktisch-theologisch vernachlässigten Thema des allgemeinen Priestertums steuern die Autoren unter dem Begriff der „missionsfördernden Jüngerschaft“ Umrisse bei: Gemeinden sollen Christen in den Kompetenzbereichen geistlich, kulturell, Selbstkompetenz, sozial und kommunikativ befähigen.

Ein Epilog mit dem Titel „Plädoyer für einen hoffnungsvollen Realismus“ orientiert und relativiert anhand des biblischen Prinzips des Säens und Erntens das gemeindliche Handeln.

Bartholomä und Schweyer bieten eine unaufgeregte, fundierte Vision für einen gemeindlichen Aufbruch. Aus der gemeindepraktischen Literatur sticht ihr Werk durch seine Komplexität heraus, das immer wieder Spannungsfelder eröffnet, die in der Praxis gemeistert werden wollen. Insofern stellt sich „Gemeinde mit Mission“ nicht als simplifizierendes „X-Schritte-Programm“, sondern als anspruchsvolle Daueraufgabe dar.


Johannes Schütt, Klinikseelsorger, Leipzig