Praktische Theologie

Martin Klöckener / Reinhard Meßner (Hg.), Wissenschaft der Liturgie. Bd. 1

Martin Klöckener / Reinhard Meßner (Hg.), Wissenschaft der Liturgie. Bd. 1: Begriff, Geschichte, Konzepte = Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenchaft Teil 1, Band 1, Regensburg: Pustet, 2022, Hb., 784 S., € 78,–, ISBN 978-3-7917-3364-7, eBook PDF € 62,99, ISBN 978-3-7917-7411-4


Das auf acht Bände angelegte Handbuch der Liturgiewissenschaft „Gottesdienst der Kirche“ hat das Ziel, die liturgiewissenschaftliche Forschungsarbeit nach der durch das Zweite Vatikanische Konzil initiierten Liturgiereform zu bündeln und damit zur liturgischen Bildung beizutragen. Im Zeitraum 1983 bis 2008 wurden insgesamt vier Bände (3; 4; 5; 8) und vier Teilbände (6,1; 7,1; 7,2; 2,2) publiziert. Mit der Veröffentlichung des Teilbandes 1,1 konnte nun eine erste Lücke geschlossen werden. Die noch ausstehenden Bände (1,2; 2,1; 6,2) sollen im Laufe der nächsten Jahre erscheinen.

Der vorliegende Teilband hat das Ziel, den Stand der Liturgiewissenschaft in ökumenischer Breite darzustellen. Noch bevor in einem ersten Teil das liturgische Profil der großen nicht römisch-katholischen Traditionen präsentiert wird (Augustinus Sander zum Luthertum, 110–147; Bruno Bürki zum reformierten Gottesdienst, 148–179; Paul F. Bradshaw zur anglikanischen Liturgie, 186–205 sowie Stefanos Alexopoulos zum Gottesdienst der Ostkirchen, 206–273), erfolgt eine Erläuterung des Begriffs „Liturgie“ (Reinhard Meßner, 69–104). Diese hilfreiche begriffliche Orientierung ist insofern wichtig, weil dabei der in der Liturgiewissenschaft bevorzugte deskriptive Liturgiebegriff, der das gesamte gottesdienstliche Leben in all seinen Ausprägungen umfasst, von einem kirchlich normativen Liturgieverständnis, das nur bestimmte amtlich und gesamtkirchlich legitimierte und normierte liturgische Vollzüge als „Liturgie“ qualifiziert, unterschieden wird.

Im zweiten umfangreichen Teil wird die Liturgiewissenschaft in den unterschiedlichen konfessionellen Traditionen präsentiert, zunächst aus katholischer Perspektive: Benedikt Kranemann für den deutschen (277–468), Hélène Bricout für den französischen (473–510), John F. Baldovin für den englischen (511–521) sowie Andrea Grillo für den italienischen Sprachraum. Ebenfalls nach Sprachregionen wird die Liturgiewissenschaft im evangelischen Kontext dargestellt: Karl-Heinrich Bieritz† und Michael Meyer-Blanck zum deutschsprachigen (546–640), Bruno Bürki zum frankophonen (641–649) und Gordon Lathrop zum englischsprachigen Kontext (650–664). Die Präsentationen zur anglikanischen (Paul F. Bradhaw, 665–688) und zur orthodoxen Liturgiewissenschaft (Mikhail Zheltov, 689–736) vervollständigen den Band, der auch durch ausführliche Register (737–782) gut erschlossen werden kann. 

Die umfangmäßig größten Beiträge zur deutschsprachig-katholischen (fast 200 Seiten) und deutschsprachig-evangelischen Liturgiewissenschaft (fast 100 Seiten) bilden das Rückgrat des Bandes und verleihen ihm besonders hohe Qualität. Insgesamt besticht der Band durch eine übersichtliche und differenzierte Darstellung, durch ausführliche Literaturhinweise, die jedem Kapitel vorangestellt werden, sowie durch eine internationale und konfessionelle Breite. Das Handbuch eröffnet einen ausgezeichneten Überblick über die Disziplin der Liturgiewissenschaft und erleichtert insbesondere den Zugang zu denjenigen sprachlichen und konfessionellen Kontexten, mit denen man noch nicht vertraut ist. So kann man sich beispielsweise einen raschen Überblick über die unterschiedlichen Riten der Ostkirchen verschaffen, die facettenreiche römisch-katholische Liturgiewissenschaft kennenlernen oder sich mit den verschiedenen Ansätzen zum theologischen Charakter der Liturgiewissenschaft auseinandersetzen.

Das in der Liturgiewissenschaft bevorzugte deskriptive Liturgieverständnis würde prinzipiell auch nicht-agendarische Liturgien umfassen, wie sie für weite Teile der „evangelical community“ charakteristisch sind. Solche Gottesdiensttraditionen (etwa pietistisch, baptistisch, pentekostal-charismatisch oder auch katholisch-charismatisch) werden kaum thematisiert oder reflektiert. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass in diesen Kontexten liturgiewissenschaftliche Forschungen eher die Ausnahme darstellen und dass daher diese Traditionen trotz deren globaler Verbreitung und deren Bedeutung für die Erneuerung des kirchlichen Lebens in der Liturgiewissenschaft noch unterbelichtet sind.


Dr. Stefan Schweyer, Professor für Praktische Theologie an der StH Basel