Justin Brierley: The Surprising Rebirth of Belief in God
Justin Brierley: The Surprising Rebirth of Belief in God. Why New Atheism Grew Old and Secular Thinkers are Considering Christianity Again, Carol Stream: Tyndale Elevate, 2023, kt., xv+249 S., US $ 17,99, ISBN 978-1-4964-6677-8
„Thank God for Richard Dawkins“ (28) – Dass Justin Brierley selbst den bekanntesten Vertreter des Neuen Atheismus als Geschenk Gottes sieht, deutet die Ausrichtung des Buchs an als ein Hoffnungslicht inmitten von Kulturpessimismus und Untergangsstimmung des westlichen Christentums. Als Herausgeber des „Premier Christian Magazine“ (2014–2018) und Gastgeber von „Unbelievable?“ (bis 2023), einer Radio- bzw. Podcast-Sendung des britischen christlichen Senders Premier, moderierte er zahlreichen Debatten zwischen Christen, prominenten Intellektuellen, Skeptikern und Atheisten. Seine Erfahrungen reflektierte er in Unbelievable? Why After Ten Years of Talking with Atheists, I’m Still a Christian, London: SPCK, 2017 (Neuauflage 2025 mit neuem Titel). Der Titel des vorliegenden Werks ist inspiriert von Matthew Arnolds Gedicht „Dover Beach“ (1867): Das „Meer des Glaubens“ ist in unserer Kultur weit zurück gedrängt worden; doch auf die Ebbe folgt die Flut – vielleicht noch in unserer Generation, denn erste Vorzeichen der Rückkehr sind bereits erkennbar (4, 191).
Der „Neue Atheismus“ ist seit etwa 2011 (Elevatorgate-Kontroverse) in sich zusammengefallen und tief gespalten worden durch die nun populäre postmodernistische social justice-Bewegung (kultureller Marxismus, Identitätspolitik, Intersektionalität, wokeness, Michael Foucault, Judith Butler, LGBT+, 37, 44f). Geblieben ist aus dieser Zeit der Wahrheitssuche und intellektuellen Debatten über Gott (2000–2010) eine neue Generation christlicher Apologeten, die mutig auf Augenhöhe mitdiskutieren. Dafür: Gott sei Dank. Doch die Gefahr liegt darin, dass der kulturelle Diskurs fortschreitet, während Christen weiterhin die Fragen von gestern beantworten (33).
Denn der Wind hat sich gedreht: an die Stelle von Vernunft und Wahrheit treten heute persönliche Erfahrungen von Unterdrückung und Macht. Wenn gemeinsame Wahrheitssuche abgeschafft wird, bleibt dem Individuum nur das abgeschottete Ich. Die aufgezwungene Suche nach dem wahren Selbst in sich selbst („expressiver Individualismus“, Robert Bellah, Charles Taylor, 46) hat die Jugend in eine tiefe Identitäts- und Sinnkrise gestürzt (46f, 169f, 191–194). Gerade junge Männer suchen neu nach Halt und Orientierung. Symptomatisch ist hier der große Zulauf der Kulturkritik am vorherrschenden social justice-Paradigma durch den klinischen Psychologen Jordan Peterson auf YouTube seit 2016, der „einflussreichste öffentliche Intellektuelle in der westlichen Welt im Moment“ (36, New York Times, 25.1.2018). Dieser ging selbst durch tiefe Krisen und fand seinen Halt in den tiefen Wahrheiten der Bibel, wenngleich er sich nicht als Christ bezeichnet.
Brierley stellt dar, wie sich einzelne Intellektuelle der Bibel zuwenden und dort Sinn und Hoffnung finden, sich jedoch nicht im klassischen Sinn „bekehren“. Der Journalist und Agnostiker Douglas Murray lernt angesichts der moralischen Verwirrung der Gegenwart die Werte und Tugenden des Christentums neu schätzen (53, 110, 223). Der Historiker Tom Holland entdeckt beim Schreiben von Herrschaft. Die Entstehung des Westens, Stuttgart: Klett-Cotta, 2021 (engl. 2019), dass der Westen seine größten moralischen Errungenschaften nicht der griechisch-römischen Antike, sondern dem Christentum verdankt (65–95). Andere erleben im Erwachsenenalter eine tatsächliche Bekehrung, wie Francis Spufford (210f), Paul Kingsnorth (198–202), James Orr (113f, 125f), David Suchet (97f) oder Francis Collins (158f). Die Endnoten bieten eine Anthologie verschiedenster hochinteressanter Bücher, Posts und Videos, welche die aktuelle Debatte abbilden.
Zwei apologetische Schwerpunkte im alten Stil (Wahrheitssuche) setzt Brierley in der zweiten Hälfte des Buchs. In dem Kapitel „The Alternative Story of Science“ ordnet er die Idee eines Kampfes zwischen Wissenschaft und Glaube ein als modernen Mythos, eine Erfindung des 19. Jh. (John Draper, Andrew D. White). Der Konflikt besteht vielmehr zwischen Naturalismus und Theismus (139). Er geht auf den Ursprung des Lebens, DNA, Feinabstimmung, Urknall und mathematische Gesetze ein. Den Satz mit dem „ersten Schluck“ schreibt er leider wie viele andere fälschlicherweise Heisenberg zu (163). Grundsätzlich orientiert sich Brierley theologisch und auch im naturwissenschaftlichen Bereich an N. T. Wright (theistische Evolution), mit dem er den Premier Podcast „Ask NT Wright Anything“ initiierte.
In dem Kapitel „Mind, Meaning, and the Materialists” legt Brierley einen weiteren Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem deterministischen Weltbild des Materialismus: ist das Gehirn nur ein Uhrwerk, ein freies „Ich“ nur eine Illusion? In Ian McGilchrist sieht er einen Anwalt für die Erkenntnis, dass das Bewusstsein eines Menschen zu real ist, um geleugnet zu werden (182–189).
Das Buch endet mit der Aufforderung an die Kirche, sich vorzubereiten auf das „Meer des Glaubens“, wenn es wie die Flut nach der Ebbe in unsere Kultur zurückkehrt (220–227): (1) Ergreife beides, Vernunft und Phantasie: C. S. Lewis war ein hervorragender Apologet, aber als Geschichtenerzähler veränderte er seine Kultur. (2) Lass das Christentum seltsam (weird) bleiben: die politisch korrekte Anpassung an die Gegenwartskultur beraubt das Christentum seiner Kraft. Nur als „seltsame“, aneckende Gegenkultur kann es einen Zufluchtsort bieten für alle, die aus der frustrierenden ideologischen Korrektheit fliehen möchten. (3) Schaffe eine Gemeinschaft, die der Cancel Culture entgegentritt: ein Ort, an dem man hinterfragen darf, ohne mundtot gemacht zu werden, ein Ort der Gnade, Vergebung und Liebe.
Trifft das Bild von Ebbe und Flut unsere Situation? Anekdotische Evidenz klingt überzeugend, hat jedoch nur bedingte Beweiskraft. Am Ende von „The Alternative Story of Science“ etwa nennt Brierley drei Personen, Rosalind Picard, Francis Collins und Alister McGrath, welche den Weg vom Atheismus zum Christentum fanden. Was ist jedoch mit den Millionen, welche sich im Rahmen eines naturalistisch geprägten Studiums gleichzeitig in die andere Richtung bewegen? Andererseits haben viele der genannten Intellektuellen eine große Reichweite (Jordan Peterson hat 8 Millionen Abonnenten). Zudem setzt sich die gezeichnete Entwicklung auch nach Veröffentlichung des Buchs fort, etwa mit der Bekehrung von Ayaan Hirsi Ali im November 2023, eine der großen Hoffnungsträger der Neuen Atheisten. Es bleibt die Erkenntnis: gebildete Nichtchristen sind heute (a) oft keine klassischen Atheisten und (b) als zutiefst religiös veranlagte Menschen (48–51) oft enttäuscht, erschöpft oder in einer Sinnkrise angesichts des mageren Angebots unserer Kultur. Es bleibt spannend, wer in Zukunft den Weg zum Christentum finden wird, zumal unsere Generation trotz aller digitaler Zugänge weniger Bibelkenntnis hat als alle Generationen der letzten Jahrhunderte (126). Es ist keine Überraschung, dass Brierley sein Buch mit einer gleichnamigen Podcastserie mit interessanten Interviews und aktuellen Berichten begleitet (justinbrierley.com/ surprisingrebirth).
Dr. Siegbert Riecker ist Lehrer an der Bibelschule Kirchberg und Affiliated Researcher an der Evangelischen Theologischen Faculteit in Leuven.