Preston Sprinkle: Transgender
Preston Sprinkle: Transgender. Eine wertschätzende Annäherung aus christlicher Perspektive, Basel: Fontis, 2024, geb., 350 S., € 34,–, ISBN 978-3-03848-272-7
Preston Sprinkle, Gründer des Center for Faith, Sexuality & Gender, wagt sich mit dieser Publikation mit viel Demut an ein heiß diskutiertes Thema. Sein Buch Embodied: Transgender Identities, the Church, and What the Bible Has to Say, das 2021 auf Englisch beim Verlag David C Cook (Colorado Springs, CO) erschien, ist nun im Fontis Verlag auf Deutsch erhältlich.
Der Theologe, Dozent und Autor Sprinkle wagt sich in diesem Buch an die Beantwortung der viel diskutierten Frage: „Wenn jemand eine Inkongruenz zwischen seinem biologischen Geschlecht und seinem inneren Selbstempfinden erlebt, woran entscheidet sich dann, wer er ist – und warum?“ (55). Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Nebenbei werden auch allgemeine Definitionen von Begriffen wie transgender, nicht-binär oder gender-queer geklärt.
Sprinkle nähert sich dem Thema aus theologischer, biologischer, soziologischer, philosophischer und nicht zuletzt aus persönlicher Sicht. Da es bei diesem Thema um Menschen und ihre Leidensgeschichte geht, dürfen auch persönliche Geschichten aus Sprinkles Umfeld und Pastorenalltag in diesem Buch nicht fehlen. Man spürt sein Ringen um biblische Wahrheit und zugleich seine Sorge um reale Menschen mit realen Problemen. Auch wenn einzelne der oben genannten Bereiche oft ineinander übergehen, gelingt es Sprinkle, sie getrennt voneinander zu behandeln und einzeln zu betrachten.
Sprinkle stellt nach dem Vorwort diverse Geschichten von realen Menschen vor, welche in vielfältiger Weise mit diesem Thema hadern. Den Definitionen widmet sich das ganze zweite Kapitel („Zehntausend Geschlechter“), beginnend mit dem Schlüsselbegriff Transgender und allen menschlichen Schattierungen und Möglichkeiten, sich als trans* zu identifizieren. Sprinkle setzt ein Sternchen hinter trans, um zu verdeutlichen, dass er den Begriff als „Oberbegriff für alle Arten und Weisen, wie Menschen ihre Geschlechtsidentität erleben, darstellen und ausdrücken“ nutzt (33).
Während sich Kapitel 3 mit der Frage „Was bedeutet es, trans* zu sein?“ beschäftigt, wird ab Kapitel 4 („Männlich und weiblich im Bilde Gottes“) die Bibel als Stimme für diese Thematik miteinbezogen. In diesem Kapitel wird schöpfungstheologisch auf das Faktum verwiesen, dass wir Menschen mit unserem ganzen Körper, Geschlecht und Wesen die Ebenbildlichkeit Gottes widerspiegeln.
Kapitel 5 begibt sich auf das konfliktreiche Terrain der „Geschlechterstereotypen“. Sprinkle stellt fest, dass Stereotypen zwar zutreffende Beschreibungen des Verhaltens einiger oder sogar vieler Männer und Frauen sein mögen, aber „sie sind keine biblischen Vorschriften für alle“ (95). Somit sei es gefährlich und irreführend, wenn man beispielsweise die Sportart Fußball oder die Farbe Blau mit Männern verbindet. Diese Stereotypen verursachen gerade einige Unstimmigkeiten und Verwirrungen bei Personen, die eben diese Klischees nicht erfüllen.
In den nächsten Kapiteln behandelt Sprinkle Themen wie das Eunuchentum und die Intersexualität. Die beiden verwandten Themen werden aus biblischer und biologischer Sicht beleuchtet. Neurologische Aspekte fließen in die Kapitel 8 und 9 ein, wenn es darum geht, einzelne Körperteile wie Gehirn oder Seele auf Geschlechtsmerkmale hin zu untersuchen.
Der letzte Schwerpunkt des Buches liegt auf spezifischen Fragen innerhalb der Trans-Community. Sprinkle behandelt Themen wie plötzliche Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen, Geschlechtsumwandlung für Gläubige und praktische Fragen wie Pronomen, Toiletten und Schlafräume. Abgerundet wird das Buch durch ein seelsorgerlich-demütiges Schlussplädoyer. Im Anhang findet man noch die durchaus wichtige Thematik der Suizidalität unter trans*-Personen. Mitfühlend sieht Sprinkle die eher hohe Selbstmordrate (vermutlich 22%) und findet drei gewichtige Gründe dafür. Einerseits spielen „Minderheitenstress bei der psychischen Gesundheit von trans*-identifizierten Menschen eine gewisse Rolle“ (280). Als zweiten Grund nennt Sprinkle den sozialen Kontext einer Person: „Suizidale Nachahmung ist in der Diskussion … ein wichtiger Faktor“ (277). Als letzten Grund nennt Sprinkle aber auch, dass das Vorhandensein von gleichzeitig auftretenden psychischen Problemen die hohe Rate weitgehend erklären kann. Wenn die Suizidalität instrumentalisiert wird, „um einem bestimmten ideologischen Standpunkt Nachdruck zu verleihen, könnte dies die Suizidrate bei Trans*-Personen eher erhöhen, anstatt sie zu verringern“ (283).
Sprinkle gelingt es insgesamt, mit viel Demut und Forschergeist an das Thema heranzugehen. Die Breite der Themen zeigt, dass er mit den Betroffenen unterwegs ist und so fast alle notwendigen Themen abdeckt. Eine Unterbelichtung finde ich durch das ganze Buch hindurch im Bereich der Schöpfungstheologie. Welche Implikationen ziehen wir aus Genesis 1 und 2 und was bedeutet es, dass Jesus und Paulus diese Lehren aufgreifen und bekräftigen? Woran orientieren wir uns, wenn soziologische und neurowissenschaftliche Hypothesen in Widerspruch zum biblischen Befund stehen?
Was ich im ganzen Buch vermisst habe, ist eine historisch-philosophische Betrachtung. Zum einen geht Sprinkle kaum auf die Dominanz der LGBTQIA+-Community und ihrer Vertreter in unserer gegenwärtigen westlichen Kultur ein. Wie kommt es, dass eine solche Minderheit mit ihren Themen regelmäßig auf den Titelseiten unserer Tages- und Wochenzeitungen landet? Wie kommt es, dass z. B. der österreichische Staat plötzlich sechs Geschlechter jedem Bürger anbietet? Diese Denkrichtung, um bewusst den Begriff „Ideologie“ zu vermeiden, hat eine sehr spannende Geschichte, die wesentlich ist, um die gegenwärtige Situation richtig einordnen zu können. Diese Linien und ihre philosophischen Einflüsse aufzuzeigen, würde helfen, die lauten, manchmal sogar aggressiven Argumente dieser Gemeinschaft zu verstehen. Vermutlich hätte es auch gereicht, die Strömung seit Freud (Der Mensch wird erst durch sexuelle Befriedigung glücklich) und Nietzsche (Nihilismus, Wille zur Macht) aufzugreifen und anhand des beginnenden Säkularisierungsprozesses aufzuzeigen, wann ein wichtiges Umdenken stattgefunden hat.
Trotz dieser Unterbelichtung und des Fehlens der historischen Komponente ist das Buch aktuell und dringend notwendig. Ein Buch, das gleichzeitig eine konservativ-historische Sichtweise vertritt und die Nächstenliebe und das Zuhören hochhält; Wahrheit und Liebe gleichzeitig, ein biblisches Prinzip, das es zu befolgen gilt.
Joshua Ganz, Pastor und Armeeseelsorger, Winterthur, Schweiz