Systematische Theologie

Barbara Drossel / Reinhard Junker / Siegfried Scherer: Schöpfung und Evolution?

Barbara Drossel / Reinhard Junker / Siegfried Scherer: Schöpfung und Evolution? Drei Wissenschaftler. Drei Positionen. Eine Debatte, Holzgerlingen: SCM R. Brockhaus, 2024, geb., 393 S., € 29,–, ISBN 978-3-417-24183-9


Gibt es nicht bereits genügend Literatur zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube? Ist die Publikation eines weiteren Buches zu den Themen Schöpfung und Evolution tatsächlich erforderlich? Der Leiter des Instituts für Glaube und Wissenschaft (www.iguw.de), Alexander Fink, erachtet dies als relevant und hat daher in diesem Jahr gemeinsam mit drei Naturwissenschaftlern das Buch Schöpfung und Evolution? veröffentlicht. Es gibt zwei Gründe, die dafür sprechen, diesem Buch Aufmerksamkeit zu schenken. Einerseits greifen die Autoren auf aktuelle Forschungsliteratur zurück, die den neuesten Stand der naturwissenschaftlichen Disziplinen widerspiegelt. Andererseits handelt es sich bei diesem Buch nicht um ein gewöhnliches Werk, in dem ein Autor seine persönliche Meinung äußert. Wie der Untertitel bereits verrät, thematisiert das Buch die bekannte Debatte über die Entstehung von Materie. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob der Ursprung des Lebens auf göttliche Schöpfung oder auf rein zufällige, natürliche Anfänge zurückzuführen ist. Drei bekannte christliche Positionen werden einer kritischen Betrachtung unterzogen.

Um dies zu erreichen, ist das Buch in drei Teile gegliedert. Der erste Teil bietet jedem Autor in einem längeren Aufsatz (je 80–90 S.) die Möglichkeit, ihre persönliche Auffassung darzulegen. Zuerst werden naturwissenschaftliche Daten und biblische Texte interpretiert. Danach kommen evolutionsbiologische, theologische, philosophische und historische Argumente für die jeweilige Sicht ins Spiel.

Im zweiten Teil des Buches darf jeder Autor auf die zwei anderen Aufsätze eingehen. Dabei werden einerseits Argumente und Vorentscheidungen kritisch beleuchtet und andererseits Gemeinsamkeiten unterstrichen. Im dritten Teil, und dies ist für die Art von niedergeschriebenen Debatten fast einzigartig, hat jeder Autor noch einmal die Möglichkeit, auf die in Teil 2 erfolgte Kritik durch die anderen beiden Mitautoren zu reagieren und die anfänglich postulierte Sicht erneut zu verteidigen oder Missverständnisse zu klären.

Herausgeber dieses Buches ist das oben bereits genannte Institut für Glaube und Wissenschaft, welches sich seit dem Gründungsjahr 1999 zum Ziel gesetzt hat, den Dialog zwischen Glauben und Denken zu fördern und Menschen zu diesem Dialog zu befähigen. Dabei geht es eben um Glauben und (Natur-)Wissenschaft. Durch Vorträge, Tagungen und Veröffentlichungen in Druck und Dokumentarfilm-Format soll dieses Anliegen gefördert werden. Für dieses Buch hat sich Leiter Fink auf die Suche nach bekannten christlichen Autoren gemacht, welche alle eine möglichst unterschiedliche Sicht auf das Thema Schöpfung und Evolution haben.

Auf der einen Seite der Bandbreite steht die Professorin für Theoretische Physik an der TU Darmstadt, Barbara Drossel (geb. 1963). Ihre Forschung umfasst vorwiegend die Modellierung biologischer Systeme, Quantenmechanik und Emergenz. Seit bald dreißig Jahren publiziert sie zum Thema Glaube und Wissenschaft. Ihre Sicht umfasst grob, dass die heute postulierten Evolutionsprozesse zu großen Teilen stattfanden und Teil von Gottes Schöpfung sind. Ihr Beitrag mit dem Titel „Gott schafft durch Prozesse“ verrät bereits, dass sie Makroevolution und eine alte Erde als richtig bzw. am besten belegt ansieht. Genesis 1–3 ist für Drossel ein poetisches Meisterwerk, welches nicht zwingend wörtlich verstanden werden muss, damit die Botschaft des Textes auch heute noch Relevanz hat: Gott als der Urheber der Schöpfung.

Am anderen Ende der Bandbreite christlicher Naturwissenschaftler steht Reinhard Junker (geb. 1956), der Biologie, Mathematik und Theologie studierte und über theistische Evolution promovierte. Er war 36 Jahre lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Wort und Wissen tätig (www.wort-und-wissen.org). Wort und Wissen ist eine Studiengemeinschaft im deutschsprachigen Raum, die eine junge Erde und Kreationismus vertritt. Junkers Schwerpunkte sind Fossilien, Designargumente und Wissenschaftstheorie. Er kritisiert die klassische Evolutionstheorie in ihrer Gesamtheit und empfindet die biblischen Schöpfungsberichte als unvereinbar mit dieser Theorie. Seine Forschung und auch vorliegender Aufsatz zielen darauf ab, Naturwissenschaft ganzheitlich mit einer wörtlichen Interpretation von Genesis 1–3 in Einklang zu bringen.

In der Mitte der beiden Pole steht Siegfried Scherer (geb. 1955). Er ist Professor und leitete bis vor kurzem den biologischen Lehrstuhl an der TU München. Auch er war Teil der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, verließ diese jedoch, nachdem er von einem abweichenden Verständnis von ID (Intelligent Design) überzeugt wurde. Er geht davon aus, dass Gott zwar durch evolutionstechnische Prozesse Dinge schafft, jedoch nicht durchgehend. Einzelne Teile seien direkt von Gott designt worden, wie das Auge oder das Flagellum (Bakterienmotor). Kurz: Er vertritt die Sicht einer gelenkten Evolution, wo Gott durch lange Prozesse inklusive Urknall diese Welt erschaffen hat. Zu Genesis 1–3 hält er sich sehr zurück, sympathisiert sicherlich mit einer teils-wörtlichen Auslegung. Er spekuliert, dass der Autor von Genesis den Schöpfungsbericht als retrospektive Prophetie erlangt haben könnte.

Ohne hier näher auf die abweichenden Positionen eingehen zu können, trägt das Buch enorm dazu bei, gängige christliche Positionen zu diesem Thema kennenzulernen. Man kann sich als Leser auch ohne viel biologisches Vorwissen durch die Texte arbeiten und versteht genug, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Dadurch, dass die Autoren die Möglichkeit haben, ausführlich auf die Kritik der Mitautoren einzugehen, wird das Verstehen enorm gefördert. Oft führen unerwähnte Prämissen (Vorentscheidungen) zu Missverständnissen, welche in diesem letzten Teil aufgelöst werden können. Was ich zwar verstehen kann, aber dennoch kritisch anmerken möchte: obwohl die Autoren Naturwissenschaftler sind, enthalten die Aufsätze recht viele exegetisch-theologische Analysen und Thesen. Auch wenn die Autoren eingestehen, dass sie als Naturwissenschaftler keine Experten für die Texte der Bibel sind, ist man als Leser auf ihre Aussagen und Entscheidungen angewiesen. Sind ihre Interpretationen der Urgeschichte auch aus theologischer Perspektive plausibel? Es wäre hilfreich gewesen, wenn ein Theologe, Alttestamentler oder Systematiker, die Aussagen aus biblisch-theologischer Perspektive beleuchtet und bewertet hätte. Des Weiteren fällt auf, dass keine aktuellen Forschungsergebnisse zur tatsächlichen Entstehung des ersten Lebens diskutiert werden. Wie ist laut aktueller Forschung die erste Zelle entstanden? Die mittlerweile mehr und mehr umstrittene Ursuppentheorie (ebenso neuere Theorien wie die energetische Evolution des britischen Biochemikers Nick Lane) werden im Buch nicht erörtert.


Joshua Ganz, Pastor und Armeeseelsorger, Winterthur, Schweiz