Praktische Theologie

Haubeck, Wilfrid / Heinrichs, Wolfgang E. (Hg.): Pastoraler Dienst im Wandel

Haubeck, Wilfrid / Heinrichs, Wolfgang E. (Hg.): Pastoraler Dienst im Wandel. Schlaglichter aus freikirchlicher Perspektive, Theologische Impulse 34, Witten: SCM Bundes-Verlag, 2023, Pb., 239 S., € 10,95, ISBN 978-3-86-258113-9


Anlässlich der 100. „Theologischen Woche“ des Bundes Freier evangelischer Gemeinden Deutschlands (BFeG) wurde die Entwicklung des Pastorenberufs in Vergangenheit und Gegenwart reflektiert. Der vorliegende Berichtsband enthält die Referate der Tagung und ergänzt diese um weitere Beiträge. Der Band erhält sein besonderes Profil durch die Verbindung der Fragestellung mit dem freikirchlichen Kontext und dem Jubiläumsereignis.

Zum einen bot das 100-jährige Jubiläum einen idealen Anlass, um in historischer Perspektive die Wandlung pastoraler Berufsbilder nachzuzeichnen. Andreas Heiser (9–50) und Wolfgang Heinrichs (51–91) skizzieren anhand der „Theologischen Wochen“ und deren Vorgänger-Konferenzen diese Entwicklungen. Besonders klar erkennbar ist die Anreicherung des pastoralen Profils – über die Predigttätigkeit hinaus – mit Kompetenzen in Gemeindeaufbau, Seelsorge und Kommunikation mit Menschen außerhalb der eigenen Gemeindekultur (Ökumene, andere Religionen, säkulare Gesellschaft). Wie sich das „Kerngeschäft“ der Verkündigung mit der zunehmenden Ausdifferenzierung pastoralen Aufgabenfeldern konkret vermitteln lässt, verdient weitere Aufmerksamkeit.

Zum andern sind die pastoralen Reflexionen in die FeG-typischen Kontexte mit einer kongregationalistischen Gemeindestruktur, einer starken Betonung des Allgemeinen Priestertums und einer Hochschätzung ehrenamtlichen Engagements eingebettet. Das führt dazu, dass der Pastorenberuf von der lokalen Gemeinde her gedacht und bestimmt wird – wie Alexander Kupsch in seinem Beitrag (155–175) pointiert zeigt: „Nicht der Pastor bzw. die Pastorin, sondern die Ortsgemeinde ist das entscheidende Subjekt der Pastoraltheologie“ (158). Neben der Verkündigung gehört insbesondere die Förderung ehrenamtlichen Engagements zu den wesentlichen Aufgaben des pastoralen Dienstes, wie besonders im Beitrag von Michael Schroth (93–118) – auch im Gespräch mit den soziologischen Theorien von Andreas Reckwitz (Gesellschaft der Singularitäten) und Hartmut Rosa (Resonanz) – herausgearbeitet wird. Hier eröffnen sich zukunftsträchtige Perspektiven, welche konstruktiv gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungen aufnehmen.

Ralf Ziewas (177–212) und Martina & Volker Kessler (213–226) behandeln in ihren Beiträgen unterschiedliche Perspektiven der Machtthematik im pastoralen Dienst. Die beiden Kapitel bilden mit ihren Differenzierungen und Systematiken hilfreiche Grundlagen, um in lokalen Gemeindeleitungen konkrete Machtfragen zu reflektieren. Andreas Müller benennt und reflektiert in seinem pastoralpsychologischen Workshop (227–238) vier spezifische „Fallen“ für Pastoren/innen einer typischen FeG: Narzissmus-, Authentizitäts-, Idealismus- und Institutionsfalle – eine gute Anregung für die Selbstreflexion und für Inter- oder Supervisionsgespräche.

2010 hat der BFeG entschieden, auch Frauen als Pastorinnen anzustellen. Die FeG-Pastorin Julia Bothe hat acht (von damals 27) FeG-Pastorinnen zu ihrem Dienstverständnis und ihren Erfahrungen befragt (119–139) mit dem Ergebnis: „Das Geschlecht ist keine zentrale Kategorie, durch welche die Pastorinnen ihr berufliches Handeln strukturieren und deuten“ (132). Die Bevorzugung flacher Hierarchien und von Teamarbeit werden nicht als geschlechtstypische Perspektiven, sondern eher als persönliche Präferenzen bzw. als Generationenphänome wahrgenommen. Praktische Fragen zur Verbindung von Mutterschaft und pastoralem Dienst bzw. zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erweisen sich als bedeutsamer als prinzipielle geschlechtstheoretische Reflexionen. Laura Schäfer (141–154) präsentiert die Ergebnisse einer Befragung von Kindern mit Eltern im pastoralen Beruf. Die Erfahrungen von Kindern im Spannungsfeld von Familie, Gemeinde und Ich sind sehr vielfältig, Chancen und Risiken liegen oft an einem Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren.

Der Band spiegelt unterschiedliche Aspekte des pastoralen Dienstes im BFeG wider. Die Beiträge stehen recht unverbunden nebeneinander. Es mag für den BFeG typisch sein, dass am Ende die Diversität stehen bleibt und es den Lesenden überlassen wird, ob und wie die unterschiedlichen Gedanken miteinander verbunden werden. Dennoch wäre es für die zukünftige Entwicklung sinnvoll, zumindest den Versuch zu wagen, die „Schlaglichter“ zu einem Gesamtbild zusammenzufügen und so deutlicher herauszustellen, worin der Gewinn des Bandes für den BFeG liegt. Aber auch ohne eine solche Bündelung lohnt sich die Lektüre für Personen, die sich wissenschaftlich oder gemeindepraktisch mit freikirchlichen pastoralen Leitbildern auseinandersetzen.


Dr. Stefan Schweyer, Professor für Praktische Theologie an der STH Basel