Gisela Kittel / Eberhard Mechels (Hg.): Kirche der Reformation?
Gisela Kittel / Eberhard Mechels (Hg.): Kirche der Reformation? Erfahrungen mit dem Reformprozess und die Notwendigkeit der Umkehr, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016, kt., 376 S., € 25,–, ISBN 978-3-7887-3066-6
Der vorliegende Band, der von Gisela Kittel und Eberhard Mechels herausgegeben wurde, beschäftigt sich mit dem „Umbauprozess“, der „sich gegenwärtig in der Evangelischen Kirche in Deutschland vollzieht“ (11). Das Buch besteht aus 30 verschiedenen Beiträgen unterschiedlicher Autoren, die an dieser Stelle nicht alle genannt werden können.
In einem ersten Abschnitt (13–57), der unter der Überschrift „Der Aufbruch der Reformation“ steht, wird auf die Reformation Bezug genommen. Dabei wird u.a. die zentrale Bedeutung des Wortes Gottes hervorgehoben (vgl. 43f; 56). Der zweite Abschnitt (59–68) besteht in einem kritischen „Zwischenruf“ aus dem Jahr 2010, der sich mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ auseinandersetzt und einen „Prozess der Selbst-Säkularisierung der Kirche“ (67) beobachtet.
Den Hauptteil des Buches stellt der dritte Abschnitt (69–346) dar. Er steht unter der Überschrift „Gegenwärtige Entwicklungen“ und beinhaltet konkrete Erfahrungsberichte aus verschiedenen Landeskirchen. Dabei finden sich folgende inhaltliche Schwerpunkte: Es wird eine Ökonomisierung der Kirche beklagt, die darin besteht, dass die theologische Fundamentierung „einer Dogmatik der Finanzwirtschaft und des Shareholder-Value“ weicht (85). Mehrfach wird kritisiert, dass Druck aufgebaut wird durch angeblich sinkende Einnahmen, obwohl faktisch das Kirchensteueraufkommen in den letzten Jahren gewachsen ist (vgl. z. B. 77f; 268). Außerdem werden negative Auswirkungen von (erzwungenen) Fusionen von Kirchengemeinden dargestellt (so z. B. 181–215; 293–301). Beklagt wird auch, dass zunehmend Stellen in Ortsgemeinden abgebaut und dafür neue Stellen in der Verwaltung geschaffen werden (155; 229). Nur ein geringer Anteil des Kirchensteueraufkommens kommt den Gemeinden zugute (227). Demgegenüber wird betont, dass in der neuen Kirchenmitgliederbefragung die zentrale Bedeutung der Pastorenschaft und der Ortsgemeinde bei Kirchenmitgliedern sichtbar wird und demzufolge bei durchgeführten Reformen, die diese Aspekte vernachlässigen, der Mitgliederverlust anwächst (268–288). Erklärt wird die Marginalisierung der Gemeinde durch eine „Christentumstheorie“, deren zentrales Anliegen „die Integration von christlicher Religion und Gesellschaft“ ist, „d.h. der Aufweis der gesellschaftlichen Verfasstheit des Christentums bzw. der christlichen Verfasstheit der Gesellschaft“ (337). Die Bekennende Kirche zielte demgegenüber auf eine „Gemeindekirche“ im Gegensatz zu einer „Behördenkirche“ (342). In mehreren Beiträgen wird auf die Rolle der Pastoren eingegangen: Für Pastoren wird der eigene Gestaltungsspielraum geringer, weil der Anteil an Pflichtaufgeben umso größer wird, je weniger Pastoren vor Ort sind (236). Der massive Pfarrstellenabbau hat zu einer tiefgreifenden Verunsicherung bei Pfarrern geführt (138f). Es wird außerdem beschrieben, wie Pfarrer auf unrechte Weise aus ihren Gemeinden entfernt wurden (302–328).
Das Buch schließt mit einem vierten Abschnitt (347–370), in dem unter der Überschrift „Umkehr ist nötig“ die wesentlichen Aussagen des Buches zusammengefasst werden und zu einer Neuorientierung aufgerufen wird. Dabei wird u. a. gefordert, dass das Wort Gottes das Fundament (359) und die Theologie die „Leit-Wissenschaft in allen Fragen der Kirchenpolitik“ sein muss (360). Eine besondere Bedeutung haben die Ortsgemeinde und die Nähe zu Predigerinnen und Predigern (363). Daher muss jede Gemeinde für sich selbst verantwortlich sein und finanziell besser ausgestattet werden (364).
Die Ausführungen in den verschiedenen Beiträgen des Buches zeigen, dass die in den Landeskirchen geplanten und durchgeführten Reformen die Kirche in vielfacher Weise schwächen und insgesamt nicht zum Gemeindeaufbau beitragen. Die Gründe für diese Fehlentwicklungen werden zutreffend benannt: die Vernachlässigung des Wortes Gottes und ein falsches Kirchenbild. Den zentralen Aussagen des Buches ist also zuzustimmen. Nur an einigen Stellen ist Kritik anzumelden: Es hätte noch grundlegender erörtert werden können, worin die Vernachlässigung des Wortes Gottes besteht: in einer sachkritischen Bibelauslegung, die die Bibel nicht mehr als Wort Gottes betrachtet. Dies ist eine wesentliche Ursache dafür, dass falsche Gemeinde- und Kirchenbilder sich ausbreiten konnten. An manchen Stellen hat der Leser auch den Eindruck, dass ein gewisser Strukturkonservativismus vorherrscht. So wird z. B. die (Teil-) Finanzierung von Pastorenstellen durch Spenden grundsätzlich abgelehnt (231). Obwohl es stimmt, dass sich die Kirchensteuereinnahmen bisher nicht verringert haben, ist es absehbar, dass eine geringere Kirchenmitgliederzahl sich irgendwann auch an dieser Stelle auswirken wird. Daher müssen auch neue Strukturen entwickelt werden. Die Beiträge des Buches zeigen aber deutlich, dass hierbei immer von den einzelnen Gemeinden aus gedacht und geplant werden muss. Insofern stellt das Buch einen wichtigen Beitrag zu der kirchlichen Diskussion über neue Strukturen dar und kann jedem, der in der Landeskirche Verantwortung hat, zur Lektüre empfohlen werden.
Pfr. Dr. Christian Schwark, Siegen
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