Jürgen Schuster / Volker Gäckle (Hg.): Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, christlicher Glaube
Jürgen Schuster / Volker Gäckle (Hg.): Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, christlicher Glaube, Liebenzeller Impulse zu Mission, Kultur und Religion 5, Berlin: LIT Verlag, 2017, Pb., 303 S., € 29,90, ISBN 978-3-643-13829-3
Schon in der Einführung zum vorliegenden Sammelband wird die Aktualität des Themenkomplexes deutlich: Zwar wird mit Menschenrechtserklärungen weltweit die Absicht bekundet, Bürgern Religions- und Meinungsfreiheit zu gewähren, aber vor Ort sind diese Freiheitsrechte häufig stark eingeschränkt (7). Wie kann Religionsfreiheit unter widrigen Umständen entstehen oder erhalten werden und wie kann speziell der christliche Glaube dazu beitragen? Die Antworten des vorliegenden Bandes, der Ergebnis eines Symposiums der Internationalen Hochschule Liebenzell ist, bilden ein buntes Mosaik, dessen Steine durch eine sorgfältig durchdachte Anordnung sinnvoll aufeinander aufbauen, sodass sich der Leser schnell zurechtfindet.
Zu Beginn (19–33) zeigt der Ethiker Harald Jung auf, inwiefern sich Religionsfreiheit zutiefst aus der inneren Freiheit des Gewissens speist. Jung zieht eine interessante Grenzlinie zur Aufklärung, mit der er sich anhand von Lessings Ringparabel (24–28) auseinandersetzt. Diese setze voraus, dass ein Frieden zwischen Religionen möglich sei, weil es nicht entscheidend ist, was der Einzelne (in seinem Gewissen) glaubt. Aus reformatorischer Sicht sei es genau umgekehrt: Religionsfreiheit als Schutz des eigenen Glaubens ist gerade deshalb zu gewährleisten, weil nicht alles, was man glauben könnte gleich gültig, sondern der Glaube des einzelnen Gewissens heilsentscheidend ist (30). Jung legt damit gleich zu Beginn die Spur dafür, dass Religionen nicht als Ursache von Religionskriegen zum Hemmnis von Religions- und Meinungsfreiheit werden müssen, sondern gerade auch einen Beitrag zu ihrer Begründung leisten. Diese These wird im nächsten Beitrag durch den historischen Befund bestätigt (35–61). Die Kirchenhistorikerin Ulrike Schuler zeigt am Beispiel von Einzelpersonen freikirchlicher Bewegungen des 17. Jahrhunderts auf, wie sich schon vor der Säkularisierung durch die Aufklärung christliche Minderheiten für die Trennung von Staat und Kirche und die Gleichheit der Religionen vor einer staatlichen Verfassung einsetzten.
Ein Gegengewicht zu dieser positiven Sicht auf das Verhältnis von christlichem Glauben und Religionsfreiheit bildet der Aufsatz des Neutestamentlers Volker Gäckle zur Intoleranz der entstehenden christlichen Staatskirche in der Spätantike (63–96). Detailreich zeichnet er nach, wie es zu Gewaltexzessen von Christen gegen Juden und Heiden im 4. und 5. Jh. kommen konnte – eine fragwürdige theologische Hermeneutik und eine nicht vorhandene politische Ethik schufen den Grund für eine in weiten Teilen auf Regierungsverantwortung unvorbereitete geistliche Führungsschicht, die den christlichen Glaubensanspruch auch mit Gewalt durchsetzte. Mit einem ähnlich schwierigen Erbe christlicher Geschichte setzt Bernd Brandel, Professor für Kirchen- und Missionsgeschichte, die Reihe fort (97–120): Sein Beitrag setzt sich mit Hexenverfolgungen in Europa am Beginn der Neuzeit auseinander. Diese seien entgegen landläufiger Meinung nicht Folge christlich-kirchlicher Ressentiments gewesen, sondern vielmehr Ergebnis einer lediglich oberflächlichen Christianisierung der Bevölkerung, die aufgrund bildungsfernen Aberglaubens immer wieder Hexenprozesse und ‑tötungen initiierte (114). Beide Beiträge helfen, häufig verurteilte Kapitel der christlichen Geschichte differenzierter wahrzunehmen und sorgen gleichzeitig für eine wohltuende Authentizität des Gesamtbildes, das Religionen nicht einseitig verharmlost.
Die ersten vier Themen bilden eine historische Basis für die stärker gegenwartsorientierten Fragestellungen der zweiten Hälfte der Beiträge. Eine Art Bindeglied zwischen beiden Teilen bilden die Artikel über die historische Entwicklung der Religionsfreiheit bis zur Gegenwart in Spanien (121–147), das nach Militärdiktaturen (und ihrer Vermischung von Kirche und Staat) Religionsfreiheit erst spät offiziell einführt, und Frankreich (149–163) als Paradebeispiel eines laizistischen Staats, der Religionen ganz aus dem öffentlichen Leben verbannt. Die Abhandlungen bilden bemerkenswerte Pole europäischer Modelle der Trennung von Staat und Kirche ab und erweitern den Horizont gerade für den deutschen Leser, der vor allem einen Mittelweg vor Augen hat, bei dem Religionsfreiheit zwar gewährleistet ist, aber die christliche Religion im öffentlichen Leben ihren besonderen Stellenwert hat.
Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Gewalt, die historisch auch von Christen und Kirchen ausging, drängt sich die Fragestellung des Systematikers und Religionsphilosophen Heinz-Peter Hempelmann förmlich auf (165–185): Inwiefern sind Religionen durch ihren absoluten Wahrheitsanspruch gerade eine Gefahr und für die Verbreitung von Gewalt verantwortlich? Für Hempelmann liegt im religiösen Absolutheitsanspruch eine deutliche Veranlagung zu Intoleranz und Verbreitung von Gewalt (178). Christen seien jedoch aufgerufen in den Fußstapfen Christi den gewaltlosen Weg des Leidens auf sich nehmen und so bei aller „Intoleranz“ in der Sache eine Toleranz gegenüber der Person des Anderen zu leben (179–184). Hempelmann setzt einen erfrischenden Kontrapunkt zu verharmlosenden Statements, die Religionen nur als missbräuchlich instrumentalisierte Quellen von Frieden und Nächstenliebe darstellen, zeigt aber auch praktische Wege gelebter Toleranz und Religionsfreiheit auf. Dem gegenüber wird bei Daniel Straß gezeigt, wie ein (falscher) moderner Toleranzbegriff gerade Meinungsfreiheit einschränken kann (187–207). Dabei bezieht er sich auf das diskursethische Model von Habermas, gibt aber letztlich dem personenorientierten Diskursansatz Spaemanns den Vorzug.
Den Abschluss bilden drei Beiträge, die sich mit Religionsfreiheit im Islam auseinandersetzen und auf welche an dieser Stelle nur in Kürze verwiesen werden kann. In den Beiträgen von Friedemann Eißler (209–227) und Wafik Wahba (229–246) wird gezeigt, wie islamische Theologie in weiten Teilen die Akzeptanz von Menschenrechten aufgrund einem weniger deutlich als im Christentum angelegten Konzept von Menschenwürde (235) schwierig macht. Detlef Hiller beschäftigt sich mit der Situation christlicher und hinduistischer Minderheiten in Pakistan (247–303), die sich aufgrund der Einführung strenger Blasphemiegesetze in den 80er Jahren in einer äußerst prekären Lage befinden. Hiller verdeutlicht damit auf empirischer Ebene, was bereits bei Eißler und Wahba deutlich wird: Die mangelnde Abgrenzung von Recht und Religion erschwert die Etablierung von Religionsfreiheit und Menschenrechten in mehrheitlich muslimische Ländern.
Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsströme, die viele Menschen muslimischen Glaubens ins Herz Europas gespült haben und angesichts der interkulturellen Ausrichtung der Buchreihe ist es verständlich, dass die Beiträge – mit Blick über den christlichen oder europäischen Kontext hinaus – einen Schwerpunkt auf die konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit dem internationalen Kurs des Islams legen. Darüber hinaus wäre ein ergänzender Beitrag zur Religionsfreiheit in polytheistischen Religionen hilfreich gewesen und hätte das Blickfeld erweitert, zumal an verschiedener Stelle (12, 90, 98, 165) auf die Diskussion im Anschluss an Jan Assman verwiesen wird, der monotheistischen Religionen ein besonderes Gewaltpotential zuschreibt. Die tendenziell eher kritische Aufnahme der These Assmans hätte durch einen solchen Beitrag eine wesentlich differenziertere Nuance gewinnen können. Abgesehen davon arbeitet der vorliegende Sammelband das facettenreiche Thema der Religionsfreiheit umfassend auf und bietet nützliche Grundlagen für die Reflexion über die aktuelle internationale Situation eines elementaren Grundrechtes.
Rahel Siebald (B.A.), Studentin im Masterprogramm der Freien Theologischen Hochschule Gießen
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