Peter Weimar: Jona
Peter Weimar: Jona, HThKAT, Freiburg: Herder, 2017, geb., 476 S., € 85,–, ISBN 978-3-451-26848-9
Der letzte bedeutende wissenschaftliche Kommentar zum Jonabuch in deutscher Sprache erschien 1977 von Hans Walter Wolff und gilt als Klassiker der Jonaexegese. Nach 40 Jahren ist ein Jonakommentar also ein Desiderat. Deshalb ist es erfreulich, dass nun mit der Auslegung von Peter Weimar, Professor emeritus in Münster, also ehemals Kollege des Begründers der Herder-Reihe Erich Zenger, eine Neukommentierung des Jonabuchs vorliegt.
Mit 476 Seiten ist ihm wahrlich ein Opus magnum gelungen. Vorweg steht ein Literaturverzeichnis (15–33), das den Benutzer über die wichtigsten Titel zur Jonaexegese informiert. Dem schließt sich der Einleitungsteil (35–66) an, der sich mit den wichtigsten Fragen zum Jonabuch befasst. Hier stellt Weimar auf dem neuesten Stand der Forschung ansprechend die literarische Kunst des Jonabuchs mit einer chiastischen Gesamtstruktur (47) dar. Auch die neuesten Trends der Intertextualität und besonders die Bezüge zum Zwölfprophetenbuch werden thematisiert. Das Besondere an seiner Position, das mehrstufige Entstehungsmodell, spricht Weimar natürlich auch an (s. u.). Ein Bibelstellenregister (465–476) schließt das Werk ab. Eine riesige Lesehilfe bieten die reichlichen Marginalien, die viel an Sucherei ersparen. Sie setzen allerdings teilweise eine gute Kenntnis der Sachlage voraus.
Die Kommentierung bildet den Hauptteil (67–463). Das ergibt im Schnitt etwa 8 Seiten Kommentar pro Vers, wirklich ausführlich! Umfassend kann sich auch die verwendete Literatur nennen, mit der Basisbibliographie von 19 Seiten, sowie verstreuten Teilbibliographien zu den einzelnen Perikopen (zum Teil sogar zu einzelnen Versen) und Exkursen. Weimar kennt die einschlägige Literatur und verarbeitet sie gekonnt und fair. Wie bei einem Kommentar aus Herders Theologischem Kommentar zum AT üblich, gliedert sich der Kommentarteil in 1. Literatur zum Abschnitt, 2. Übersetzung, 3. Anmerkungen zu Text und Übersetzung, 4. Analyse mit literaturhistorischen Hinweisen, 5. Auslegung (zum Teil mit Exkursen und Sonderbibliographien), 6. Bedeutung. Bei der Auslegung verbindet Weimar Synchronie und Diachronie. Auf der Ebene des Endtextes, wie von einem Kommentar in der Herder-Reihe zu erwarten, findet Weimar immer wieder kunstvolle Strukturen und viele Bezüge innerhalb des Jonabuches. Auf der anderen Seite beobachtet er als ausgewiesener Literarkritiker auch Hinweise für eine mehrstufige Entstehung. Das prägt dann auch die Kommentierung, wie an 4,1–4 zu zeigen ist: Zuerst wird 4,1.4 als älteste Schicht ausgelegt, gefolgt von 4,2a.3 und mit der jüngsten Bearbeitung (4,2b) abgeschlossen.
Das besondere und neue an diesem Kommentar ist das dreischichtige Entstehungsmodell. Nachdem die literarkritische Phase der Jonakommentierung bis auf den Psalm in 2,3–10 in der Jonaexegese im Wesentlichen überwunden schien, kehrt Weimar in gewisser Weise dahin zurück. Nicht das übliche kritische Modell, dass der Psalm später eingefügt sei, ist seine Position, sondern dass das Buch in drei Schichten gewachsen sei. Die Bearbeitungen beträfen dabei jeweils das gesamte bis dahin vorliegende Jonabuch. Am Anfang stehe die schmucklose Jonageschichte von der Erfüllung des Gotteswortes. Wörtliche Rede sei eher Fehlanzeige. In der ersten Bearbeitung beginne Jona zu sprechen, es kämen auch unter anderem Teile des Psalms hinzu. Dieser sei zunächst ein Klagepsalm. Erst in der zweiten Bearbeitung, der dritten Schicht, würde aus dem Klagepsalm ein Dankpsalm und eine Stelle wie Jon 4,2b eingefügt. Diese letzte Bearbeitung schaffe auch ein Netz von Verbindungen zu anderen Büchern im Dodekapropheton. Dies entspricht der These von den Kleinen Propheten als einem bewusst komponierten Zwölfprophetenbuch. Weimar nimmt somit auch den Abschluss der Entstehung des Jonabuches in der hellenistischen Zeit (3. Jahrhundert v. Chr.) an und folgt damit einem Trend der neueren Exegese. Wem die Einleitung zu kurz erscheint und wen die Einleitungsfragen aus Weimars Perspektive genauer interessieren, konsultiere seine ausführlichen Vorarbeiten in „Eine Geschichte voller Überraschungen“ (SBS 217).
Das Jonabild ist in der Forschung sehr umstritten. Neben Jona als komischer Figur auf der einen Seite, das Buch mit reichlich Humor gewürzt (Wolff), sieht man den Propheten auch als tragische Gestalt (Gerhards). Weimar findet wohl „tiefgründigen Humor“, sieht im Jonabuch aber eher eine „Geschichte von tödlichem Ernst“ und in Jona selbst einen „an Gott Gescheiterten“, sieht in Jona also mehr den verstörten Gottesmann, als den widerborstigen Propheten.
Aus evangelikaler Perspektive erfreulich sind die Beobachtungen, die Weimar auf synchroner und intertextueller Ebene zusammenträgt und anstellt. Sie eignen sich auch für den Verkündiger als Material für eine theologische Exegese. Dazu gehören auch die Ausführungen zur literarischen Struktur (z. B. die Chiasmen).
Fraglich bleibt aus meiner Sicht eine konzentrische Gesamtstruktur. Überzeugender scheint die Parallelität zwischen Kapitel 1–2 und 3–4 mit doppelter Sendung (1,1–3; 3,1–3a), doppelter Heidenperikope (1,4–16; 3,3b–10! – Weimar grenzt nach 4,4 ab) und doppelter Interaktion mit Gott (Kapitel 2 und 4), wie sie von den meisten Auslegern vertreten wird. Auch die weitgehende Auslegung des Psalms (2,3–10) in der Linie der Klage baut eher Spannungen zum Kontext auf, als dass er sie löst. Eine Anfrage ist auch an das 3-Stufenmodell zu stellen, weil ja viele Exegeten gezeigt haben, wie schön sich das Jonabuch auf synchroner Ebene lesen lässt. Meine Studierenden hat der Wechsel von Diachronie und Synchronie bei der Kommentierung zum Teil verwirrt. Dass ein kritisch angelegter Kommentar sich mit historischen Fragen des 8. Jahrhunderts befasst, das brauchen Evangelikale wohl nicht zu erwarten.
Trotz dieser Abstriche ist Weimars Auslegung ein Gewinn für jeden Leser, und ich werde ihn gern und oft zur Hand nehmen.
Klaus Riebesehl, Lehrer für Altes und Neues Testament am Theologischen Seminar Rheinland