Mark J. Boda / Kevin Chau / Beth LaNeel Tanner (Hg.): Inner Biblical Allusion in the Poetry of Wisdom and Psalms
Mark J. Boda / Kevin Chau / Beth LaNeel Tanner (Hg.): Inner Biblical Allusion in the Poetry of Wisdom and Psalms, LHBOTS 659, London / New York, NY: T&T Clark, 2019, Hb., 195 S., US $ 98.99, ISBN 978-0-5676-7589-7
Die hohe Verwiesenheit zwischen biblischen Büchern mit ihren Aussagen gehört zur Signatur der Kanonizität der Heiligen Schrift. Die Diskussion um Methodologie und Erträge innerbiblischer „Intertextualität“ ist derzeit stark im Gange. Der vorliegende Band präferiert den Begriff der „Allusion“ (Anspielung) und untersucht Texte aus dem Bereich der Psalmen und (anderer) weisheitlicher Schriften. Es wird beobachtet und bedacht, wie (als bekannt vorausgesetzte) Aussagen aufgenommen werden. Über Herkunft und Setting dieses Sammelbands ist nichts Genaueres zu erfahren. Einer der Herausgeber, Mark J. Boda, bietet in seiner „Introduction“ (1–8) eine knappen Überblick zur Diskussionslage, der unterschiedlichen Begrifflichkeit sowie über die neun Beiträge (davon betreffen die ersten sechs die Psalmen).
Jeffery M. Leonard („The Psalmist als Historiographer“, 9–23) untersucht Anspielungen im umfangreichsten der sog. „Geschichtspsalmen“, Ps 78, und vermittelt Einsichten aus seiner (bisher) unpublizierten Ph.D.-Arbeit. Vf. von Ps 78 kennt die Plagen-Überlieferung aus Exodus (JE, ≠ P); die Differenzen (Rekonfigurierung) sind auf „Problemlösungen“ des Psalmisten mit Blick auf Inkonsistenzen in der JE-Überlieferung zurückzuführen. Ähnlich ist das Unterfangen der Klärung von Aussagen in Num 11,1–3 (Tabera). Das dritte, besonders interessante, weil im Fokus des Psalms selbst stehende Beispiel beschäftigt sich mit Ps 78,59–69: Anspielungen auf die Lade-Erzählung (1Sam 4–6; 2Sam 6) helfen die Verwerfung von Silo/Ephraim und die Erwählung von Jerusalem/Juda zu verstehen. Zuletzt wird die Rezeption des Schilfmeerlieds bedacht (vgl. Ex 15,13.17 und Ps 78,52) und die damit verbundene Neuakzentuierung erklärt. Dass sich der Psalm als „Gleichnis“ und „Rätselrede“ ausgibt (V. 2), wird in dem sonst anregenden, aber zu kurzen Beitrag leider nicht bedacht.
Beth LaNeel Tanner („Allusion or Illusion in the Psalms: How Do We Decide?”, 24–35) stellt die bekannte methodische Problematik im Blick auf die Diachronie (Abhängigkeitsrichtung) heraus. Dabei wirft sie mehr Fragen auf als Antworten zu geben und spricht sich am Ende für ein offenes, „hermeneutisches“ und d. h. synchrones und rezeptionsorientiertes Verständnis von Anspielung aus. Das gewählte Beispiel ist freilich diachron, insofern sie das Jesus-Wort am Kreuz aus Ps 22,2 in Mk 15,34 / Mt 27,46 behandelt.
Hee Suk Kim („Exodus 34.6 in Psalms 86, 103, and 145 in Relation to the Theological Perspectives of Books III, IV, and V of the Psalter“, 36–48) bedenkt die Aufnahme von einigen, nicht allen Belegen von Ex 34,6 (V. 7 bleibt unerwähnt) in den Psalter-Teilbüchern III–V (Ps 73–150). Die bekannte Ex-Aussage wird von den drei untersuchten Psalmen in unterschiedlicher Weise und Funktion aufgenommen.
David Emanuel („The Elevation of God in Psalm 105“, 49–64) notiert, dass der geschichtliche Hymnus Ps 105 auf Aussagen aus dem Pentateuch in der Zeitspanne von der Patriarchenzeit bis zur Landnahme anspielt (unter besonderer Beachtung der Plagen-Erzählung). Emanuel spricht vom „kreativen“ Umgang des Psalmdichters mit Blick auf die Auswahl, Neuverwendung und Platzierung der pentateuchischen Überlieferungen. Er bilanziert: „The two most outstanding aspects the present study highlights are the subjugation of human actions and the elevation of YHWH’s heroic deeds.“ (64).
Kevin Chau („The Poetry of Creation and the Victory in the Psalms“, 65–83) untersucht die Rezeption der Traditionen von der Befreiung am Schilfmeer und des Chaoskampfs sowie die Art ihrer Verwobenheit in Ps 77; 89; 106 und ausführlicher in Ps 74. Letzterer greift auf Ex 15,13–17 und Gen 1,14 zurück und verbindet „primordial and national origins“ (77).
Charles Yu („A Ridiculous God: Job Uses Psalm 8.5 [4] to Respond To Eliphaz“, 84–102), bietet, ausgehend von seiner (bisher) unpublizierten Ph.D.-Studie zu den Hiobreden, anregende Überlegungen zur bekannten Intertextualität zwischen Hi 7,17–18 und Ps 8,5. Diese „intentional allusion“ in Hi 7 dient dazu, „to buttress Job’s credential as God’s loyal servant by showing him defending God’s reputation from Eliphaz’s spurious defamation of God’s character“ (84). Dabei vorausgesetzt ist, dass Hiob in Hi 6–7 direkt auf die Rede des Eliphas von Teman in Hi 4–5 antwortet. Hiobs Antwort demonstriert seine überlegene Weisheit „via his brilliant, satiric demolition of Eliphaz’s ideas, including his use of Psalm 8“ (102).
Ryan P. O’Dowd („Poetic Allusions in Agur’s Oracle in Proverbs 30,1-9“, 103–119) widmet sich der änigmatischen Passage am Ende des Sprüche-Buchs. Agurs Worte paraphrasieren dabei Sprachgebrauch von außerhalb der Spr (vgl. Ps 73,16; Qoh 1,17; 7,23; Sir 29,7), wobei die deutlichsten Affinitäten zu Qoh vorliegen. O’Dowd differenziert zwei unterschiedliche Techniken von relecture, wobei er davon ausgeht, dass Agur „consistently shortens or edits these sources, omits names, and asks questions in the place of affirmations, drawing our attention to a common group of topics and themes throughout Israel’s traditions“ (119).
Richard L. Schultz („The Reuse of Deuteronomy’s ,Law of the Vow‘ in Ecclessiastes 5,3-5 [4-6] as an Exemplar of Intertexuality and Reinterpretation in Ecclesiastes 4.17–5.6 [5.1-7]“, 120–132) bietet eine revidierte Fassung seines Beitrags zur FS für Daniel Block (2013). Er untersucht die Art und Funktion der Aufnahme der Gelübde-Gesetzgebung aus Dtn 23,22–24 in Qoh 4–5. Die enge Übereinstimmung zu Beginn macht den Bezug deutlich, auch wenn nachher vermehrt Variationen vorliegen. Fazit: Dtn und DtrG (vgl. Sam) erweisen sich – über den erwähnten Textbezug hinaus – als einflussreich für das Denken von Qohelet und den Endredaktor des Buchs. „This study, at least, has argued that Qoheleth and the book of Ecclesiastes as a whole affirm some central covenantal claims of the book of Deuteronomy.“ (132). Der interessante Beitrag setzt damit einen Gegenakzent zu einer bestimmten Linie des Qoh-Verständnisses.
Der Beitrag von Job Y. Jindo („Some Reflections on Interpreting Allusions: The Case of Creation Motifs in Isaiah“, 133–165) ist der umfangreichste im Sammelband und gehört zu den besten. Er bringt neue Aspekte zur Methodik zur Intertextualität bei poetischen Texten ein und plädiert für eine verstärkt integrative Interpretation biblischer Literatur. Inhaltlich geht es im ersten Beispiel um Jes 11,1–10; der Abschnitt wird (auch) im Kontext dieses Bandes unter „Weisheit“ subsumiert, von Jindo aber entschränkt und als „fundamental to biblical religion in general“ (146) eingestuft. Die Bilder im zweiten Teil, Jes 11,6–10, sind analog zur urgeschichtlichen Abfolge in Gen arrangiert (Gen 1,29–30; 3,15; 6,5.11–12; 7,19–20). Die messianische Vision von Jes 11,1–10 ist konsistent mit dem Urgeschehen und verbindet sich mit der Annahme, „that the lack of the knowledge and fear of God is the ultimate cause of universal corruption and its subsequent deluge, and that the restoration of that attribute is the key to returning to primordial cosmic harmony“ (149). Das zweite Beispiel dreht sich um die Nationen als „raging waters“ in Jes (dazu sei auf den Beitrag verwiesen). Der Aufsatz schließt mit methodischen Reflexionen, gefasst in vier Merkmale von Anspielungen im Kontext einer integrativen Interpretation.
Eine alle Beiträge berücksichtigende Bibliographie sowie ein Stellen- und Autorenregister beschließen den anregenden Sammelband zu einer in der Bibelwissenschaft wichtigen wie aktuell debattierten Methodik und Thematik.
Beat Weber, Pfr. Dr. theol., Basel, Research Associate am Department of Ancient Languages and Cultures, Universität von Pretoria, Südafrika.