Altes Testament

Ronald Hendel / Jan Joosten: How Old Is the Hebrew Bible?

Ronald Hendel / Jan Joosten: How Old Is the Hebrew Bible? A Linguistic, Textual, and Historical Study, Anchor Yale Bible Reference Library, New Haven: Yale University Press, 2018, geb., 240 S., € 29,54, ISBN 978-0-30-023488-6

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Die klassische Urkundenhypothese zur Entstehung des Pentateuch wird zumindest in der deutschsprachigen Forschung kaum noch vertreten (siehe etwa Gertz et al. [Hg.], The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America, Tübingen 2016). Stattdessen dominieren Modelle, die nur noch zwischen P- und Nicht-P-Texten unterscheiden und die mit intensiven Fortschreibungen der Texte rechnen. Die Entstehung der Texte wird dann meist in der Perserzeit verortet. Linguistische Fragen werden dabei ausgeblendet.

Das zu besprechende Buch markiert eine gut begründete Gegenposition zum aktuellen Forschungstrend. Die Autoren gehen davon aus, dass sich Sprache mit der Zeit verändert, und dass sich dies für die hebräische Sprache an den biblischen Texten nachvollziehen lässt. Damit stehen sie in der Tradition von Gesenius und Driver, wobei sie methodisch die Arbeiten von Avi Hurvitz zum Linguistic Dating aufgreifen. Ausdrücklich stellen sie sich gegen die Thesen von Ian Young und Robert Rezetko, die sprachliche Diversität in den biblischen Texten auf Dialekt- oder Stilunterschiede zurückführen.

Im ersten Kapitel beschreiben die Autoren ihre grundsätzliche Methodik: Da es in den Geisteswissenschaften keine absolute Sicherheit geben kann, impliziert historisches Arbeiten notwendigerweise immer Zirkelschlüsse. Außer den Bibeltexten sind möglichst alle verfügbaren Quellen (Inschriften, Übersetzungen, semitische Sprachen, Qumrantexte) zu nutzen. Das zweite Kapitel bietet detaillierte Beispiele für phonologische, lexikalische und morphosyntaktische Veränderungen des Hebräischen.

Das dritte Kapitel präsentiert die Grundannahmen des Linguistic Dating: Die sprachlichen Eigenheiten der Bücher Esther, Esra-Nehemia und Chronik, die aus inhaltlichen Gründen erst nach dem Exil geschrieben sein können, definieren (im Anschluss an Hurvitz) das Late Biblical Hebrew (LBH). Da Kohelet und Daniel dieselben Eigenheiten aufweisen, werden auch diese Bücher zu LBH gezählt, wobei die Autoren einräumen, dass Daniel aus inhaltlichen Gründen in die hellenistische Zeit zu datieren ist (36f). (Hier wäre zu fragen, ob das Buch dann nicht Unterschiede etwa zu Esther aufweisen müsste.) Die Varietät des Pentateuch und der vorderen Propheten ist vom LBH als Classical Biblical Hebrew (CBH) abzugrenzen. Über Hurvitz hinausgehend nennen die Autoren auch spezielle Phänomene des CBH-Korpus, die einen Kontrast zu den Eigenschaften des LBH bilden (z. B. He locale am st. cs. oder inf. cs. ohne Lamed). Dabei sind vorzugsweise grammatische Phänomene zu betrachten, da ja ein später Autor seinen Text durch eine spezielle Wortwahl älter aussehen lassen könnte, was auf der grammatischen Ebene nicht so einfach ist (43f). Wichtig ist (schon nach Hurvitz) das Kriterium der Häufung: Das Vorkommen sprachlicher Phänomene in den Texten sollte statistisch signifikant sein, um den entsprechenden Text als LBH oder als CBH klassifizieren zu können. Dass auch hier ein (methodisch unvermeidbarer) Zirkelschluss vorliegt, wird von den Autoren zugestanden (41f). Einen Spezialfall bildet das Ancient Biblical Hebrew (ABH), das in alten poetischen Texten wie Gen 49, Ex 15, Dtn 32 oder Ri 5 vorliegt.

Im vierten Kapitel wird festgestellt, dass aufgrund des oben erwähnten Kriteriums der Häufung auch textkritische Probleme kein Hindernis für Linguistic Dating darstellen. Ein Beispiel für das Häufungskriterium bietet die Josephsgeschichte: Vereinzelte Aramaismen (שׁליט, מזון) implizieren noch keine späte Abfassung, denn ansonsten ist Gen 37–50 klar dem CBH zuzuordnen, da es eindeutige Phänome enthält, die nicht in LBH vorkommen. Folglich sind die Aramaismen hier entweder ein Stilmittel oder gehen auf sprachliche Modernisierung durch einen späteren Schreiber zurück.

Das fünfte Kapitel thematisiert die Ähnlichkeiten von CBH-Texten mit Inschriften (Mitte 8. Jh. bis Anfang 6. Jh.). Diese enthalten lexikalische und vor allem grammatische Eigenschaften, die in CBH, aber nicht in LBH auftreten. Vereinzelte „späte“ Phänomene in den Inschriften erklären die Autoren als niedriges Stilniveau oder als sprachliche Modernisierungen, die in der Alltagssprache eher verwendet werden als in literarischen Texten.

Im sechsten Kapitel wird eine weitere Sprachstufe identifiziert. Hes, Klgl, Jer, Dt-Jes, Hiob, Jona, Hag und Sach 1–8 weisen sowohl Eigenschaften des CBH als auch des LBH auf. Deshalb wird ihre Sprachstufe als Transitional Biblical Hebrew (TBH) bezeichnet. Da sich Sprachwandel langsam vollzieht, ist auch keine strikte Grenze zwischen CBH und LBH zu erwarten. Die Autoren räumen ein, dass die Redaktionsgeschichte dieser Texte oft unsicher ist und dass es sich größtenteils um Poesie handelt, während die Eigenschaften von LBH und CBH anhand von Prosatexten ermittelt wurden (74f). (Hier wäre ein Vergleich mit Kohelet interessant, das ja als LBH klassifiziert wurde.) Inhaltlich sind fast alle diese Texte mit dem Exil oder der nachexilischen Zeit verbunden. Sie enthalten keine persischen Lehnwörter und sind im 6. Jh. zu verorten. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass CBH vorexilisch und LBH nachexilisch sein muss.

Kapitel 7 thematisiert die im LBH und auch im Qumran-Hebräisch belegten Versuche, den Stil des CBH nachzuahmen, was allerdings nicht zu „korrektem“ CBH führte („Pseudoclassicism“). Das zeigt zum einen, dass CBH-Texte studiert und als autoritativ erachtet wurden. Außerdem wird deutlich, dass nicht, wie manchmal behauptet wird, jeder Autor in der hellenistischen Zeit CBH schreiben konnte, wenn er nur wollte.

Im achten Kapitel bieten die Autoren zusätzliches Material, das die vorgeschlagenen Datierungen stützen soll, etwa Verbindungen zwischen den biblischen Texten und politischen Ereignissen. Beispiele bieten die assyrischen und babylonischen Königsannalen, in denen judäische und israelitische Könige genannt werden, was eine nachexilische Abfassung der Texte unwahrscheinlicher macht. Dasselbe gilt für die Silberamulette aus Ketef Hinnom (ca. 600 v. Chr.), die den Text von Num 6,24–26 und von Dtn 7,9 enthalten. Abschließend wird betont, dass eine Erklärung der sprachlichen Variation durch verschiedene Dialekte (Young/Rezetko) zwar möglich, aber weniger wahrscheinlich ist.

Anhang 1 enthält eine kurze Forschungsgeschichte zur Datierung einzelner Bücher und Buchgruppen. Anhang 2 bietet eine zehnseitige Kritik des Modells von Young und Rezetko.

Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Datierung der biblischen Texte. Die Autoren argumentieren methodisch transparent auf hohem Niveau. Dabei lassen sie Einwände und Gegenbeispiele nicht unerwähnt. Positiv zu würdigen ist auch der interdisziplinäre Zugang, der Erkenntnisse der (allgemeinen) historischen Linguistik aufnimmt (leider weniger aus der Soziolinguistik). Die Bibliographie ist eine regelrechte Fundgrube, und die vier Indizes erschließen eine Vielzahl von Themen. Den einzigen Mangel sehe ich in der Verwendung von Endnoten, die zum Blättern zwingen, zumal die Anmerkungen manchmal wichtige Einschränkungen oder Gegenbeispiele bieten.

Dr. Carsten Ziegert, Hochschuldozent für Biblische Sprachen und Über­setzungs­theorie an der Freien Theologischen Hochschule in Gießen.