Altes Testament

Ryan P. Bonfiglio: Reading Images, Seeing Texts

Ryan P. Bonfiglio: Reading Images, Seeing Texts. Towards a Visual Hermeneutics for Biblical Interpretation, OBO 280, Fribourg: Academic Press; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016, Hb., 384 S. mit 49 Abb., € 110,–, ISBN 978-3-525-54406-8

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Auch über 40 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung vermag das Buch „Die Welt der Altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen“ von Othmar Keel so manches Aha-Erlebnis bei denen auszulösen, die sich auf den erhellenden Vergleich der Bildsprache des Alten Testaments mit der Bildwelt Ägyptens, Kanaans und Mesopotamiens einlassen. Anfangs Spezialgebiet einiger weniger Alttestamentler (besonders der von manchen so genannten „Fribourg-Schule“, neben O. Keel z. B. C. Uehlinger, S. Schroer), nimmt die sog. ikonographische Exegese inzwischen einen eigenen Forschungsbereich ein und hat Einzug gehalten in Arbeitsbücher, Standartwerke und in viele Bände der Kommentarreihe „Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament“. Wie aber verhalten sich eigentlich Bild und Text zueinander? Was bilden die Bilder überhaupt ab? Welche Rolle spielen Rezipienten von Bildern und Texten bei deren Bedeutungserschließung? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die hochspezialisierte Studie „Reading Images, Seeing Texts“ von Ryan P. Bonfiglio, deren Lektüre aber unbedingt empfehlenswert ist für alle an Hermeneutik generell sowie an der Hermeneutik von Bildern und ihrem Verhältnis zu Texten interessierten.

Bonfiglios Beitrag zu einer Hermeneutik der Bilder („visual hermeneutics“) lässt sich als hermeneutische Begleitung der zweiten Welle ikonographischer Exegese lesen und will wohl v. a. selbst so verstanden werden. Er hebt den Wert bisheriger ikonographischer Arbeiten für die Bibelauslegung hervor, kritisiert aber, dass sie kaum die in den Kulturwissenschaften intensiv reflektierte Theorie der Bilder (bzw. „visual theory“) wahrnehmen. Demgegenüber verfolgt er mit seinem Buch ein dreifaches Ziel: 1) er möchte der ikonographischen Exegese zu mehr Selbstkritik hinsichtlich ihrer Methoden und Durchführung verhelfen, 2) möchte biblische Ausleger ermutigen, achtsamer für die Einsichten und Ideen anderer Disziplinen zu sein und 3) die Bedeutung von Bildern in den Bibelwissenschaften herausstellen. Entsprechend findet sich in den fünf Hauptkapiteln ein dreistufiges Vorgehen von geläufigen Methoden ikonographischer Exegese über die Darstellung jeweils eines zentralen Aspektes der Bildtheorie/visual theory und wie diese jeweils Interpretationsmethoden verändern können hin zu beispielhaften Entfaltungen, wie „visual hermeneutics“ Licht auf Fragen der Bibelwissenschaft werfen kann.

In den fünf Hauptkapiteln entfaltet Bonfiglio jeweils einen zentralen Aspekt der Diskussion in der Theorie der Bilder anhand einer zentralen Position. Kapitel 2 votiert dafür, Bilder als Sprache zu verstehen, als einen Typos der Kommunikation, statt „nur“ als Illustration. In Kapitel 3 arbeitet er u. a. anhand der Interpretation des Behistun-Reliefs und der darum gruppierten Inschriften den Wert von W. Mitchells Verhältnisbestimmung von „Text“ und „Bild“ als „Dialektik“ und seines Konzepts eines „Meta-Bildes“ heraus und welchen Beitrag dies für die Debatte zwischen Brent Strawn und Joel LeMon über Ansätze in der ikonographischen Exegese hat. Kapitel 4 stellt den semiotischen Ansatz von N. Goodman dar, manche Bilddarstellungen als „non-linguistic signs“ zu verstehen, kommt damit zu ganz wichtigen Schlussfolgerungen für die Bildinterpretation (demnach darf nicht nur auf typische Elemente geachtet werden, bei denen abweichende Darstellungen nur Dekoration, sondern vielmehr ebenfalls bedeutungsrelevant sind), wonach auf die kompositionelle Anordnung, die Rhetorik der Darstellung und der Modus der Signifikation zu beachten sind. In Kapitel 5 geht B. dezidiert der Frage nach, was eigentlich ein Bild ist. Gegenüber der weitverbreiteten Reduktion des Bildes auf eine Repräsentation/ein Ab-Bild von etwas, greift er die Theorien von D. Freedberg und A. Gell auf über die „Lebendigkeit“ von Bildern angesichts der Reaktionen, die sie auslösen („visual response“). B. illustriert entsprechende Züge an Arbeiten von Z. Bahrani zum Bild in Mesopotamien und umreißt Implikationen für ikonographische Exegese u. a. anhand der Götzenpolemiken in Jes 40–48. In Kapitel 6 schließlich behandelt Bonfiglio das Wechselverhältnis von Bildern und Kultur. Er stellt dafür die Bildhermeneutik in Beziehung zu dem noch weiteren Feld der Kulturwissenschaften bzw. „cultural studies“ und votiert für eine Anwendung eines „visual culture approach“ auf die Religionsgeschichte Israels. Dafür führt er in die Arbeit von D. Morgan ein, insbesondere seine Arbeiten zur bildlichen Vermittlung von Glauben und die Konditionierung der Wahrnehmung durch Religion, und macht dies fruchtbar für die Debatte um die Rolle von Bildern im Gottesdienst des alten Israel und dessen Wesen.

In dem abschließenden Kapitel begründet Bonfiglio die Notwendigkeit der theoretischen Grundlegung für ikonographische Exegese als „visual hermeneutics“ und verteidigt sie gegen mögliche Anfragen bevor er aus den vorherigen Kapiteln 9 Prinzipien als orientierenden Rahmen für die Interpretation zusammenzufasst und in 4 Unterabschnitten charakterisiert.

Für manchen mag Thema und Titel der Arbeit wie ein Sonderthema von ein paar wenigen Spezialisten klingen. Und in der Tat ist der Umfang an herangezogenen, unterschiedlichen Theorien aus Kulturwissenschaft, Semiotik, Philosophie und Religionswissenschaft erheblich und fordert die Leser heraus. Aber Bonfiglio gelingt es, auch schwierige Theorien verständlich zu vermitteln in einem wirklich ansprechenden und gut lesbaren Stil (allein die sich an der Bildmetaphorik orientierenden Überschriften sind wohlgewählt; für den Lesefluss störend waren lediglich zwei Stellen, an denen ein ganzer Abschnitt bzw. mehrere Zeilen dupliziert waren). Wer immer sich mit dem Verhältnis von Altem Testament und Altem Vorderen Orient, von Text und Bild, mit bildhafter Sprache, Metaphorik und Anthropomorphismen sowie auch spezifischer mit dem Bilderverbot und Formen des Gottesdienstes im alten Israel beschäftigt, sollte an diesem Buch nicht vorübergehen und wird „Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik“ neu und mit manch weiteren Aha-Erlebnissen betrachten.

Prof. Dr. Torsten Uhlig, Professor für Altes Testament an der Evangelischen Hochschule Tabor, Marburg