Katharina Pyschny / Sarah Schulz (Hg.): Debating Authority
Katharina Pyschny / Sarah Schulz (Hg.): Debating Authority. Concepts of Leadership in the Pentateuch and the Former Prophets, BZAW 507, Berlin: de Gruyter, 2018, geb., 357 S., € 119,95, ISBN 978-3-11-054070-3
Mit einem grob skizzierten Forschungsüberblick beschreiben die Herausgeberinnnen, was mit diesem Band und den folgenden Bänden bearbeitet werden soll: „Debating Authority – Concepts of Leadership.“ Auf knappe und effektive Weise führen sie weichenstellende Fragen ein, wie guidance, power, authority und legitimacy (1). Die Fragestellung ist also ausgesprochen komplex, stellt eine Herausforderung bei der Definition von Schlüsselbegriffen dar und eröffnet damit ein weites Feld.
Der Sammelband arbeitet dabei mit einer breit angelegten Definition: „Leadership is understood as the power or ability to direct the actions of individuals and groups“ (4). Diese Leitung erfolgt durch soziale Interaktion und verfolgt damit ein Ziel. Es setzt asymmetrische Beziehungen voraus (also Über- und Unterordnung) und hat einen öffentlichen Charakter (auch wenn es keine institutionalisierte Struktur haben muss). Die Legitimität eines Führungsanspruches gründet sich auf Charisma, Gesetz oder göttliche Einsetzung und muss von „untergeordneten“ Personen mindestens teilweise anerkannt werden. Die Texte werden als „construed history“ verstanden, verschiedene Konzepte von leadership identifiziert, verortet und miteinander ins Gespräch gebracht (5). Die Identifizierung von leadership macht sich nicht von Begriffen abhängig, sondern befragt die Texte auf entsprechende Konzepte hin. Ein besonderes Augenmerk wird auf konzeptionelle Veränderungen gerichtet, ob sie nun ausdrücklich als solche gekennzeichnet werden oder implizit sich vollziehen. Als ob dies aber noch nicht genug an Herausforderung wäre, finden diese Fragen in der Hebräischen Bibel einen anregenden und vertiefenden Kontext, weil hier Macht- und Führungsansprüche gerne auf ihre Legitimität hin befragt und kritisch beleuchtet werden. Aktuelle Forschungen beschäftigen sich dabei mit der Frage von leadership auf dem Hintergrund von soziologischen, literarhistorischen und geschichtlichen Fragen (3).
Die Herausgeberinnen bieten einen kurzen, aber hilfreichen und anregenden, Überblick über wichtige Aspekte in den Büchern (Gen bis 2Könige), die in dem Band behandelt werden. Die gesamte Vielfalt und Breite der Fragestellung wird auf diese Weise anhand von einschlägigen Texten und Beobachtungen auf wenigen Seiten gut sichtbar (6–15).
Pyschny und Schulz gelingt es mit diesem Sammelband eine wichtige Fragestellung, vielleicht sogar einer der zentralen Fragestellungen des ATs, für den Pentateuch und die sogenannten Vorderen Propheten in seiner Vielfalt und in seiner Bedeutung eindrücklich vor Augen zu malen. Die Bedeutung liegt sicherlich nicht nur an der Oberfläche, wie sie in ihrer Einleitung zurecht vermerken: „Aspects of leadership … are profoundly embedded into the deep structure of the biblical texts“ (1). Vielleicht liegt die größte Herausforderung darin, dass (human) leadership an vielen Stellen in der Hebräischen Bibel eine wichtige Rolle spielt. Die Herausgeberinnen haben wohl recht, wenn sie sagen, dass „the number of relevant texts is nearly endless“ (6). Diese Beobachtung kann m. E. an sich schon zu einem Beitrag anregen und trifft dann auf eine interessante Bemerkung, nämlich dass einzelne Aspekte unseres Themas in der Genesis nur auf der Familienebene behandelt werden und mit dem Buch Exodus sich da Wesentliches ändert (6). Eine hermeneutische und theologische Reflexion zu diesen Beobachtungen wirkt verheißungsvoll. Der Sammelband beginnt mit Oswalds Beitrag zu Exodus und hinterlässt damit aber diese Lücke. Aber es ist ein Leichtes bei diesem Thema angesichts seiner Breite und Bedeutung „Lücken“ zu finden. Das kann keine Kritik an dem Band sein, sondern soll nur andeuten, dass die vorliegenden Anregungen beim Rezensenten bereits auf fruchtbaren Boden gefallen sind.
Einige Beiträge wie beispielsweise die von Oswald und Berner veranschaulichen eindrücklich, wie literarhistorische und Fragen nach leadership eng miteinander verwoben werden, was für die Behandlung beider Fragestellungen manche Fragen aufwerfen mag.
Eine aufmerksame Lektüre der Beiträge regt nicht nur zum Weiterdenken mit Blick auf die biblischen Texte, den Auslegungen und den Auswertungen der Verfasser der Beiträge an. Immer wieder stößt man auf bemerkenswerte Aussagen, die zu weiterführenden Reflexionen herausfordern. So halten die Herausgeberinnen fest, dass „authority and acting power need to combined in a leader“ (14). Warum soll das so sein? Schreiben da ungenannte Voraussetzungen, was erfolgreiche Leitungsverantwortung ausmacht, das Skript?
Sicherlich kann man der Aussage, dass „the legitimacy of leadership claims is (either explicitly or implicitly) linked to YHWH as basis of legitimation“ (2), als vereinfachende Regel zustimmen. Es ist bedauerlich, dass diese Regel aber weder in der Einleitung noch in den folgenden Beiträgen weiterführend auf ihre Voraussetzung(en) und Folgen hin befragt, erläutert oder reflektiert wird. Warum wird beispielsweise keine ethnologische Perspektive diskutiert? Das Thema „Sociology of Authority“ wird angerissen (3) und auf die Bedeutung von Max Weber für die Diskussion hingewiesen. Weber spielt auch in einigen Beiträgen eine wichtige Rolle. Aber damit ist maximal ein Teilgebiet abgedeckt. Vielleicht wird sogar die eine oder andere Teilfrage auf eine falscher Spur gesetzt, da bei vielen Theorien von etablierten Gesellschaften und Institutionen ausgegangen wird. Diese Fragen sollen weniger als (grundlegende) Kritik formuliert werden. Vielmehr unterstreichen sie die Aussagen der Herausgeberinnen in ihrer Einleitung: Es ist schlicht eine komplexe Fragestellung und das Feld ist recht groß. Vielmehr geht es vor allem darum den Faden aufzunehmen und viele gute Perspektiven und Anregungen weiterzudenken.
Ist es angemessen von „Konzepten“ von leadership zu sprechen, gerade wenn die Begrifflichkeit von Autorität, Macht, Legitimität ineinander übergehen? Die breite Definition von leadership „as the power or ability to direct the actions of individuals and groups“ (4) hilft m. E. nicht, sondern verstellt den Blick auf die vielfältigen Dimensionen. Die Definition reduziert die Fragestellung auf den Aspekt von Entscheidungen und den Taten derer, die unter dem Einfluss von leadership stehen. Was meint beispielsweise „direct“ in diesem Zusammenhang? Soll damit vielleicht sogar ausgesagt werden, dass man hier eine gewisse Kontrolle hat? Die folgenden Erläuterungen reduzieren dieses Problem, da mit „impact“ und der Frage nach der „basis of legitimation“ die Komplexität teilweise umschrieben wird. Aber sie bannen die Gefahr einer Verengung der Fragestellung m. E. nicht.
Also kurz gesagt, mit diesem Band liegt ein bemerkenswert anregendes Buch vor. Man kann nur auf die Beiträge in den folgenden Sammelbänden gespannt sein. Dieser erste Band hat sicherlich sein Ziel erreicht: „we hope that through the diversity and discursivity our volume will spark new critical impulses and, thus, provide a helpful contribution to recent scholarship on leadership concepts in the Enneateuch“ (15). Die Leser/innen sind den Herausgeberinnen zu Dank verpflichtet, dass sie dieses Projekt auf den Weg gebracht und mit diesem Sammelband einen sehr guten Start vorlegt haben.
Heiko Wenzel, Ph. D. (Wheaton College), Professor für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen