Altes Testament

Heinz-Josef Fabry (Hg.): The Book of the Twelve Prophets

Heinz-Josef Fabry (Hg.): The Book of the Twelve Prophets. Minor Prophets – Major Theologies, BETL 295, Leuven: Peeters, 2018, Brosch., 558 S., € 105,–, ISBN 978-90-429-3612-6


Heinz-Josef Fabry gelingt es mit diesem Sammelband „The Book of the Twelve Prophets. Minor Prophets – Major Theologies“ nicht nur einen Berichtsband zum Colloquium Biblicum Lovaniense 2016 vorzulegen, der den Teilnehmern und denen, die nun „nur“ diesen Band lesen, einen guten Überblick über Fragen zu geben, die bei der Beschäftigung mit den zwölf kleinen Propheten oder dem sogenannten Zwölfprophetenbuch aufbrechen. Seine Einführung in den Sammelband (xi–xxiv) vermittelt auf kompakte Weise einen hilfreichen Überblick und bietet eine gute Orientierung, welche Beiträge bei der persönlichen Lektüre von besonderem Interesse sind. Sie weckt auf jeden Fall Vorfreude auf verschiedene Beiträge, die in ihrer Breite und Vielfalt eine bemerkenswerte Zusammenstellung von wichtigen Perspektiven darstellt. Hier seien nur die sogenannten „Main Papers“ zur Veranschaulichung angeführt: James D. Nogalski, „Preexilic Portions of the Book of the Twelve. Early Collections and Composition Models“ (33–51), Aaron Schart, „Das D-Korpus, eine Vorstufe des Zwölfprophetenbuches in der Exilszeit“ (53–78), Burkard M. Zapff, „Rückschlüsse aus der Entstehung der Michaschrift auf das Werden des Zwölfprophetenbuches“ (79–101), Peter Machinist, „Nahum as Prophet and as Prophetic Book. Some Reconsiderations“ (103–129), Judith Gärtner, „Die Völker und der Tag-JHWHs im Horizont des Jesaja- und des Zwölfprophetenbuches“ (131–156), Ibolya Balla, „The Book of Malachi and Wisdom in the Context of the Relationship of Prophetic and Wisdom Literature“ (157–182), Jutta Krispenz, „Das Zwölfprophetenbuch und die alttestamentliche Weisheit“ (183–212), Rainer Kessler, „Die soziale Botschaft des Zwölfprophetenbuches“ (213–229), Eberhard Bons, „La Septante du livre d’Amos: Traduction and interprétation“ (231–242) und Alberdina Houtman, „He Will Reveal His Messiah. Messianism in Targum Jonathan to the Twelve“ (243–258). Die Redner/innen der Hauptvorträge wurden ebenso vom Präsidenten bestimmt wie die der Seminare. Kritische Stimmen, die im Anschluss an beispielsweise Ehud Ben Zvi einer Rede von einem Zwölfprophetenbuch eher distanziert gegenüberstehen, kommen in den „Main Papers“ (33–258) etwas kurz, finden aber ihren Platz bei den „Seminar Papers“ (261–350) und bei den „Offered Papers“ (353–530). Diese Gewichtung mag auch damit zusammenhängen, dass der Herausgeber eine Parallele „zum Übergang der Psalmenexegese zur Psalterexegese,“ sieht, „deren wesentliche Initiale vom ehemaligen Präsidenten der CBL Prof. Erich Zenger angeregt worden ist“ (xiv) und drückt sich in der Voranstellung von Nogalskis und Scharts Beiträge aus.

Der Anspruch einen vierfachen Proporz in der Planung zu berücksichtigen mag der Quadratur des Kreises gleichkommen: Ausgewogenheit der Sprachgruppen, Geschlechter und Kontinente sowie ein angemessener Raum für den wissenschaftlichen Nachwuchs (xxiv). Deswegen wäre es zu einfach und unangemessen, einfach anzuführen, welche Perspektive hätte Raum finden müssen, aber in diesem umfangreichen Band dennoch nicht zu Wort kommen. Einige der Beiträge, ihre Zusammenstellung sowie der Sammelband als Ganzes vermitteln auf eine gewisse Weise „the state of the art“, wenn es um die akademische Diskussion dieser prophetischen Schriften geht. Ich schränke das nur deswegen ein, weil ich mir nicht sicher bin, ob das heute überhaupt noch in einem Sammelband gelingen kann, insbesondere wenn man das Ziel eines vierfachen Proporzes vor Augen hat. Im Rahmen dessen, was heute möglich erscheint, ist es dem Herausgeber und allen Beteiligten gelungen, die Vielfalt der Forschung am den kleinen Propheten und wesentliche Orientierung vorzustellen.

Die „presidential address“ des Herausgebers „,Gewalt über Gewalt‘. Die dunklen Seiten Gottes im Zwölfprophetenbuch“ (3–29) lädt zu einem neuen Zugang zu Gewalttexten in der Hebräischen Bibel ein, die Fabry rezeptionsästhetisch unter zwei Leitfragen stellt: „Was macht ein solcher Text mit mir?“ und „Worin besteht die so zwingende Leserlenkung eines solchen Textes, der auf die Leserin/den Leser eine Kraft ausübt, die sie/ihn zwingt, auch die eigene Position zur Gewalt zu bestimmen?“ (12ff). Er geht diese Fragen mit der heuristischen These an, dass „Texte im Buch der Zwölf (und nicht nur dort), die die Gewalt Gottes darstellen … inszenierte Texte [sind], die bei der Leserin/dem Leser ein Erleben (Performanz), d. h. eine bestimmte Empfindung und Wirkung hervorrufen sollen“ (14). Die behandelten Beispiele aus Zef 2,4–15 (19–23) und aus Nah 3,1–7 (24–27) sind eindrückliche Belege für die mögliche Wirkung dieser Texte, wenn man sie unter den genannten Fragestellungen betrachtet. Sie bringen damit unter anderem das göttliche Gewaltmonopol zum Ausdruck und „lehren uns aber auch, dass das, was uns heute vom Glauben an den einen mächtigen Gott abstößt, einst in Israel das probate Mittel war, den Glauben an diesen Gott [zu] festigen“ (29). Fabry bereitet in gewisser Hinsicht mit seiner Beitrag auch die Seminare von Helmut Utzschneider „Performanz als Exegese – Exegese als Performanz am Beispiel von Joel 1–2“ (261–303) und von Irmtraud Fischer „,Alles andere als zum Lachen‘. Das Jonabuch als Anleitung zur Traumatisierungsbewältigung“ (305–314) vor, in denen mancher Aspekt vertieft werden konnte.

Micha, Malachi, Jona und Joel zogen bei den Beiträgen besondere Aufmerksamkeit auf sich. Diese Beobachtung mag zufälligen Wert haben, aber sie mag auch auf einige interessante Aspekte verweisen. Sicherlich spielen Nogalskis These von der redaktionsgeschichtlichen Schlüsselbedeutung von Joel oder Zapffs Überzeugung, dass Micha ein redaktionsgeschichtlicher und theologischer Orientierungspunkt im Zwölfprophetenbuch ist, dabei eine wichtige Rolle. Darüber hinaus ist an die reiche intertextuelle Vernetzung an sich denken, die in diesen Fällen beobachtet werden kann, oder auch an der bemerkenswerten Stellung der Bücher in der Abfolge der zwölf Bücher, gerade wenn man die Reihenfolge in der Masoretischen und der Septuaginta-Tradition vor Augen hat. Kurzum, diese kleinen Propheten ziehen aufgrund bisheriger Forschung besondere Aufmerksamkeit auf sich und laden zu weiterem Nachdenken ein, was ihre Auslegung und ihre Bedeutung für das Zwölfprophetenbuch angeht, aber vor allem ob und inwiefern diese beiden Dinge zusammenhängen. Wer sich für dieses Zusammenspiel interessiert, dem sei insbesondere Zapffs Beitrag sehr empfohlen. Er hat m. E. eindrücklich veranschaulicht, dass man Micha nicht unabhängig von anderen Prophetenschriften lesen sollte. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob man all seinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen folgt. Die Gesamtschau fordert Leser der prophetischen Bücher heraus, sie in einen „größeren“ Kontext zu stellen. Eine Verortung im Zwölfprophetenbuch ist sicherlich ein erster Schritt. Allerdings mag die hermeneutische Frage offenbleiben, wie ein solches „Lesen zusammen mit“ anderen Schriften von einem mehr oder minder immer vorausgesetzten Vorwissen der Rezipienten zu unterscheiden. Aber vielleicht ist eine mögliche Antwort auf diese Frage auch gar nicht von weichenstellender Bedeutung für die Lektüre der Prophetenschriften.

In der Beschäftigung mit dem Zwölfprophetenbuch oder mit einem der kleinen Propheten sollte man diesen Band in die Hand nehmen, ob es sich nun um die Beschäftigung mit einzelnen Büchern geht wie der anregende Beitrag von Machinist zu Nahum oder zu übergreifenden Themen wie die methodisch und inhaltlich sehr wertvolle Studie von Kessler zur sozialen Botschaft des Zwölfprophetenbuches. Es warten vielfältige, anregende und wegweisende Fragestellungen und Perspektiven auf Leserinnen und Leser.


Heiko Wenzel, Ph. D. (Wheaton College), Professor für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen