Altes Testament

Siegbert Riecker: The Old Testament Basis of Christian Apologetics

Siegbert Riecker: The Old Testament Basis of Christian Apologetics. A Biblical-Theological Survey,Eugene/OR: Wipf & Stock, 2018, Pb., XV+124 S., US$ 19,–, ISBN 978-1-5326-7262-0


„Das AT kennt ein intensives apologet. Bemühen, die Einzigkeit des Jahwe-Glaubens gegenüber anderen Religionen u. Glaubensweisen abzugrenzen u. durchzusetzen sowie die gesch. Erfahrungs-Grdl. des Glaubens Israels gg. den Vorwurf willkürl. Fiktion od. Mythenbildung zu verteidigen.“ (Paul Gerhard Müller, LThK3 1 (1993), Apologetik II. Biblisch, 836). Mehr ist anscheinend nicht zur Apologetik im Alten Testament bekannt. Siegbert Riecker arbeitet gegen diese Vernachlässigung (vii–viii) an. Er entfaltet und vertieft dabei seine Untersuchung „Alttestamentliche Grundlagen der Apologetik. Ein biblisch-theologischer Entwurf“ (ZThK 138 (2016): 1–27). Für das hier vorliegende Ergebnis seiner Forschungen bin ich sehr dankbar:

In„What Do We Understand by Apologetics?“(1–18) diskutiert Riecker zuerst etymologische, historische und systematische Antworten, unter anderem in kritischer Auseinandersetzung mit Schleiermacher und Barth, und definiert:„Apologetics is the dispute of Christian truth with (1) extrinsic, (2) contemporary truth claims, (3) while accounting for content and method. (4) Furthermore, apologetics operations defensively and offensively, and thereby referring to one’s own system and to the opponent’s.“ (17).

Kapitel 2, „Apologetics and Biblical Theology“ (19–29), zeigt, dass Apologetik im AT nicht nur Polemik ist, sondern alle Texte umfasst, die Überzeugungen angreifen oder verteidigen. Aufbauend auf den wenigen bisherigen Untersuchungen (B. Ramm, Y. Amit, H. D. Preuß) führt eine Dreiteilung des AT-Kanons zu drei Klassen von „apologetischen Argumentationsstrategien“ (Riecker 2016, 8): narrative, prophetische und Weisheitsapologetik. Dazu kommen ohne Schwerpunkte in einzelnen Kanonteilen zitierende und beispielgebende Apologetik (28–29).

Kapitel 3 (30–35) beschäftigt sich mit „Genesis 1:1–2:3 Between Polemics and Apologetics“. Neun „indirekte“ Fälle von Polemik werden in der Forschung wegen Beziehungen des Schöpfungstextes zu altorientalischen Mythen diskutiert. Die apologetische Absicht des Textes steht für Riecker insgesamt nicht infrage (35).

Kapitel 4 (36–46) behandelt „Narrative Apologetics: Apologetic Reflections on History“, in der die Herrschaftsansprüche Gottes mit menschlicher Überheblichkeit, fremden Göttern und individuellem und staatlichem Versagen kollidieren. Letzteres zwingt zu einer „Vorläuferfrage der Theodizee“ (36). Es begegnen aber auch gläubige Nichtisraeliten (Ex 18,10–12) und alternative historische Erklärungsmodelle (Jeremia 44,17–18). Theologische Interpretationen der Geschichte haben große Überzeugungskraft und formen Identität und Verhalten (46).

Kapitel 5, „Prophetic Apologetics: YHWH as Apologist“ (47–59), untersucht den direkten Angriff Gottes gegen fremde Götter durch die Propheten. Thematisiert werden Schöpfungskraft, Handlungsfähigkeit, figurale Repräsentation, Vorhersage, moralisches Fehlverhalten, Gericht und Nützlichkeit des Glaubens.

Kapitel 6 (60–69) stellt „Wisdom Apologetics“ als „Interpretation of Life and Praise of God“ dar. Der Weisheitskanon verarbeitet die Polemik gegen fremde Götter zu öffentlichem Lob, Bekenntnis und Erzählung. Reflektiert werden auch das eigene Denken und der Wert des Glaubens in Auseinandersetzung mit „praktischem Atheismus“ (64).

Kapitel 7 (70–85) widmet sich den überraschend häufigen Zitaten von abweichenden Meinungen im Alten Testament als „Citatory Apologetics“. Derartige „antithetische Verkündigung“ (Wolff, 70) begegnet vom Zitat der Schlange (Gen 3,1) bis in alle drei Teile des AT-Kanons.

Kapitel 8, „Exemplary Apologetics“ (86–87), lenkt den Blick auf die Vielzahl von apologetischen Auseinandersetzungen. Diese Texte ermutigen Leserinnen und Leser, mit den vorgestellten Argumenten und Beispielen furchtlos selbst in den Dialog mit Andersdenkenden zu treten um ihre Herzen zu beeinflussen.

Kapitel 9, „Apologetics as Challenge and Mandate“ (88–92), fasst zusammen: das AT begegnet zeitgenössischen Herausforderungen seines Weltbildes vielfältig und rational, logisch, anschaulich und verkündigend (89). Gewöhnliche Gläubige werden beauftragt, fremde religiöse Elemente abzuwehren, sich nicht zu fürchten und ihren Glauben auszudrücken. Sie legen sich auf zukünftige Handlungen fest: „The impact of a liturgical prayer of intention such as, ,Then I shall have an answer for those who taunt me … I will also speak of your decrees before kings‘ (Pss 119:42, 46), is in no way inferior to the commitment expressed in the New Testament locus classicus of 1 Peter 3:15.“ (92, vgl. 61–62).

Eine umfassende Bibliografie (93–106) und verschiedene Register (107–124) schließen das Buch. Und damit ist es viel zu kurz! Das Fazit des Autors überzeugt mich: Das Alte Testament verdient einen herausragenden Platz in der biblischen Theologie der Apologetik (92). Dieses Urteil begründet Riecker mit einem konzisen und umfassenden biblisch-theologischen Überblick, bei dem er gleichzeitig auf erstaunlich viele Bibeltexte eingeht. Seine Ergebnisse machen aber Lust, mehr zu erfahren:

Wieso lässt sich der Schöpfungsbericht nicht recht in die fünf einleuchtenden Klassen einordnen? Gibt es weitere gesamt-kanonische Klassen? Wie werden die AT-Argumentationsstrategien im NT fortgeführt (89)? Können sie in der praktischen Theologie aufgenommen werden? Kann die Sprechakttheorie weitere Ergebnisse liefern (90–92)? Wenn Apologetik „Auseinandersetzung“ mit „fremden Wahrheitsansprüchen“ ist, welche Untersuchungen zu konkreten biblischen Argumentationen und zum Verhältnis von Wahrheitsansprüchen zu ihren Begründungen fehlen? (Einige gibt es anscheinend bereits, z. B. A. Laati und J. Moor, Theodicy in the World of the Bible, 2003, oder J. Gericke, A Comprehensive Philosophical Approach to Qohelet’s Epistemology, 2015). Wo bleiben Studien zu einzelnen Büchern? Was finden wir, wenn die beispielgebende Apologetik mehr als zwei Seiten lang behandelt wird? Wie lässt sich dieser Ansatz auf die ganze Bibel anwenden? In Summe: viele lohnende Fragen warten, nicht nur auf den Autor, sondern auch auf die hoffentlich ebenso begeisterten Leserinnen und Leser dieses wichtigen Buches.

Hilfreich dabei wäre eine explizite „Apologie der Apologetik“. Riecker spricht vom „Old Testament as rationale of the discipline“ (xiii). Könnte sie darin bestehen, die Geschichtsdeutung (narrative Apologetik), die Überlegenheit Gottes gegenüber fremden Göttern (prophetische Apologetik), die Angemessenheit des Lobes Gottes auch im Leben (Weisheitsapologetik) überzeugend darzustellen – um Gläubigen und Gegnern zu helfen, Gott zu erkennen (41), zu ehren (43), mit ihm und verändert zu leben (46, 90) und mutig von Gott zu sprechen (61–62, 91–92)? Dabei wird klar, dass Apologetik sich nicht nur „to the outside“ richtet (18, 46, 22). „Doubt“ ist zwar kein Schlagwort in den vorliegenden Registern, aber Barmherzigkeit mit Zweifelnden gehört zur Begründung und Grundlage der Disziplin.

Mit diesen Zielen wird Apologetik vielen Gläubigen noch stärker einleuchten. Das vorliegende liefert dazu einen wertvollen und begeisternden Beitrag und eine tragfähige Grundlage.


Dr. phil. Christian Bensel, Referent Begründet Glauben, Weißkirchen, Österreich