Andreas Käser: Literaturwissenschaftliche Interpretation und historische Exegese
Andreas Käser: Literaturwissenschaftliche Interpretation und historische Exegese. Die Erzählung von David und Batseba als Fallbeispiel, WMANT 211, Stuttgart: Kohlhammer, 2016, 298 S., € 95,–, ISBN 978-3-17-031492-4
Andreas Käsers Monografie, die Überarbeitung seiner Tübinger Dissertation von 2007, zeichnet sich durch ihren didaktischen und doch nie simplifizierenden Anspruch aus, der sie so lesenswert macht. In sehr kluger Auswahl von Sekundärliteratur, sowohl methodisch-hermeneutischer Grundlagentexte als auch Kommentaren, wird hier deutlich, was alles im Spiel ist, wenn biblische Erzähltexte von uns neuzeitlichen Lesern wahrgenommen werden. Käser macht vieles explizit, was manchem verborgen bleibt, der hermeneutisch uninformiert oder wenig selbstwahrnehmend an biblischen Texten arbeitet.
Das erste Drittel des Buches ist der Darstellung und Reflexion der methodischen Ansätze früherer und aktueller literaturwissenschaftlicher Ansätze in der Exegese gewidmet. Der Umfang dieses Teils mag erstaunen, ist jedoch gerechtfertigt und an Stellen wünschte man sich noch mehr Begleitung durch Käsers geschultes Auge bei der Wahrnehmung dieser oft wenig zugänglichen Theoriemodelle. Doch dadurch, dass sich der Autor bei der Beurteilung der hermeneutischen und praktischen Konsequenzen des jeweiligen Ansatzes über die Schulter schauen lässt, kann man sein eigenes Auge schulen und kritische Kompetenz erweitern. Käsers Ziel ist immer wieder das Herausarbeiten des jeweils zugrundeliegenden Textverständnisses, den Modellen der Produktion, Kommunikation und Rezeption von Texten – eine Perspektive, die den Blick auf die fundamentalen Ähnlichkeiten und Unterschiede der literaturwissenschaftlichen Zugänge eröffnet. Eine umfassende Forschungsgeschichte bietet Käser nicht, dafür aber eine wohl kuratierte Auswahl, die klare Schneisen schlägt. Zielpunkt seiner Analyse ist die Feststellung, dass die biblischen Texte allesamt Mitteilungsliteratur sind, d. h. einen klaren kontextuellen kommunikativen Anspruch haben, und dass sie Traditionsliteratur (im Gegensatz zu moderner Autorenliteratur) sind, die sich dagegen wehrt, punktgenau mit viel Kontext zu Entstehungssituation und Autor(en) festgelegt zu werden. Zentral ist für Käser die Beobachtung, dass die Bestimmung eines Textes als „Literatur“, wie es bei den neueren literaturwissenschaftlichen Ansätzen üblich ist, nicht automatisch Fiktionalität impliziert.
Die David-Batseba und die David-Nathan Erzählungen (2Sam 11f) sind mit Bedacht als *exemplum* gewählt, wie bereits die kurze Übersicht zu paradigmatischen Ansätzen historischer Auslegung und der Bewertung der theologischen bzw. kommunikativen Zielrichtung der Thronfolgeerzählung (2Sam 9–1Kön 2) zeigt (106–120).
Käser geht in der folgenden detaillierten Bearbeitung der beiden Kapitel (121–263) gleichermaßen methodisch und didaktisch klug vor. Den Anfang nimmt jeweils eine eigene Übersetzung mit textkritischen Erklärungen. Diesen folgt eine narratologische Analyse verschiedener literarischer Elemente des Textes (szenische Gestaltung, Zeit, Poetologie und Personencharakterisierung). Diese gründliche Textarbeit bildet die Basis für die vergleichende Bewertung von einflussreichen exegetischen Bearbeitungen der letzten Jahrzehnte. Hier nimmt Käser sowohl klassische literarkritische Ansätze als auch diverse literaturwissenschaftlichen Ansätze kommentierend auf. In diesen sehr instruktiven Kapiteln macht Käser seinen Lesern in aller Gründlichkeit vor, wie die teils sehr unterschiedlichen Ergebnisse dieser Exegeten zustande kommen, welche Erklärkraft sie haben und wo ihre Grenzen sind. Instruktiv ist hier besonders der Verweis auf die konkreten Auswirkungen der unterliegenden Text(vor)verständnisse der referierten und diskutierten Zugangsweisen, welche er vor dem Hintergrund seines vorangestellten Theorieteils expliziert. So kann Käser am konkreten Textbeispiel aufzeigen, wie textangemessene Exegese aussehen kann, aber auch, wie stark die exegetischen Ergebnisse von außerweltlichen Vorentscheidungen des Exegeten abhängig sind. An diesen methodischen und hermeneutischen Vorentscheidungen entscheidet sich grundlegend das Ergebnis konkreter Textarbeit.
Angesichts der Pluralität der Auslegungen, ob nun literarkritisch oder literaturwissenschaftlich, bleibt man ernüchtert zurück und hofft, dass die offensichtliche Arbitrarität der eigenen exegetischen Ergebnisse doch nicht alles sein kann. Wer kann von sich behaupten, dass man das eine gültige bzw. angemessene Textvorverständnis habe? Andererseits bleibt man erfreut zurück, da man erlebt hat, wie vielfältig, spannend und ergebnisträchtig eine gründliche Textarbeit sein kann. Wer einen konkreten Überblick zur aktuellen Auslegung der David-Batseba-Nathan Episode sucht, der wird auf jeden Fall fündig und hat viel Material zur Hand, informiert zu einer eigenen Auslegung zu kommen.
Mich hat es tief beeindruckt, Käser bei seiner Arbeit am offenen Herzen des Bibeltextes zu beobachten und möchte mir von ihm seinen scharfen kritischen Blick auf die Hintergründe der exegetischen Arbeit anderer – aber vor allem der eigenen exegetischen Arbeit abschauen. Nur im Diskurs über unsere diversen Auslegungsversuche werden uns die Augen geöffnet werden für die uns oftmals unbewussten Vorentscheidungen unserer Kernarbeit, der reflektierten Beschäftigung mit den biblischen Texten.
Ich halte diese knapp 300 Seiten für eine sehr gewinnbringende Lektüre für alle, die bereit sind sich selbst in ihrer Arbeit zu hinterfragen und alle, die das Handwerkszeug guter und zeitgemäßer Exegese zu lernen – sicher nicht nur der Exegese von Narrativtexten.
Dr. Stefan Kürle, Professor für Biblische Theologie am Theologischen Studienzentrum Berlin