Altes Testament

Matthias Armgardt / Benjamin Kilchör / Markus Zehnder (Hg.): Paradigm Change in Pentateuchal Research

Matthias Armgardt / Benjamin Kilchör / Markus Zehnder (Hg.): Paradigm Change in Pentateuchal Research, BZAR 22, XXIII+365 S., € 86,–, Wiesbaden: Harrassowitz, 2019, ISBN 978-3-447-11170-6


Der Sammelband ist das Ergebnis einer internationalen Tagung an der STH Basel, die vom 16.–18. März 2017 durchgeführt wurde. 16 Tagungsbeiträge werden durch einen Aufsatz von Hendrik Koorevaar ergänzt. In der Einführung der Herausgeber finden sich nicht zu knappe Zusammenfassungen aller Artikel (VIII–XXII), für die der Leser dankbar sein wird. Jeder Artikel hat eine eigene Bibliografie. Stellen- und Namensregister erschließen den Band.

Die ersten vier Beiträge sind einführender und methodologischer Art. Georg Fischer (Innsbruck) eröffnet den Band programmatisch mit „Time for a Change! Why Pentateuchal Research is in Crisis“ (3–20). Fischer sieht die Ursachen für die Pentateuchkrise u. a. im rationalistischen Ansatz der Aufklärung. Der Pentateuch sei aber als komplexe Einheit überliefert, die eine Rekonstruktion älterer Schichten und Traditionen nicht erlaube. Die Kriterien zur Quellenscheidung seien zu vage, was am Trend ablesbar sei, alles, was traditionell dem „Jahwisten“ zugeordnet wurde, als „nicht-priesterlich“ zu bezeichnen. Zudem stünden sich synchrone und diachrone Ansätze unversöhnlich gegenüber. Zum anderen müssten auf alten und neuen Wegen Alternativen für die Textanalyse geboten werden. Analogien für die Komplexität der biblischen Texte ließen sich in der bildenden Kunst finden, wo mehrere Perspektiven verschmelzen, ebenso in der Musik und Architektur.

Richard E. Averbeck (Trinity), „Reading the Torah in a Better Way. Unity and Diversity in Text, Genre, and Compositional History“ (21–43) fokussiert auf die Überlieferung der Genealogien und die Bedeutung der literarischen Gattungen in der Genesis. Er plädiert dafür, bei der Lektüre dieser Texte stärker die literarischen Konventionen seiner antiken Autoren zu berücksichtigen, statt von modernen Voraussetzungen auszugehen. Eine stärkere Beachtung des nomadischen historisch-kulturellen Hintergrundes würde beispielsweise die vermeintlichen P-Genealogien nicht von den Narrativtexten isolieren, da sich beides gegenseitig bedingt. Nach Averbeck bildeten die zunächst mündlich überlieferten Genealogien mithilfe der Toldedot-Formeln den literarischen Rahmen für die Erzähltexte der Genesis.

Joshua Berman (Bar-Ilan) untersucht in „The Limits of Source Criticism. The Flood Narrative in Genesis 6–9“ (45–57), die biblische Sintflutgeschichte, die neben der Schöpfungsgeschichte Mustertext der Literarkritik ist. Er wirft der quellenkritischen Herangehensweise neun methodische Mängel vor. Die biblische Sintflutgeschichte werde besser erklärt, wenn man von einer Bearbeitung der mesopotamischen Flut-Tradition des Gilgamesch-Epos (Tafel XI) ausgeht.

Koert van Bekkum (Leuven und Kampen), „The Divine Revelation of the Name. Warranted and Unwarranted Confidence in the Literar-Critical Analysis of Exodus 3 and 6“ (59–76), geht zwei weiteren Kernstellen der Dokumentenhypothese nach, nämlich der Offenbarung des Gottesnamens in Ex 3 und 6. Die verschiedenen Ausprägungen der Literarkritik und Redaktionsgeschichte führen zu unnötigen thematischen Spannungen und oft zu einer Fragmentierung des Materials. Im Kontext des übergreifenden Narrativs von Gen–2Kön fungieren die beiden Texte aber als wichtige Brücken zwischen Genesis und Exodus.

Die folgenden vier Beiträge befassen sich mit der Geschichte des Gesetzes. Matthias Armgardt (Konstanz), „Why a Paradigm Change in Pentateuch Research is Necessary“ (79–91), stellt im Anschluss an Kenneth Kirchen u. a. dar, dass die Parallelen der Gesetzescodices der Tora nähere strukturelle und inhaltliche Parallelen zu altorientalischen Texten des 2. Jahrtausends als des 1. Jahrtausends aufweisen. Er plädiert dafür, das Wellhausen-Paradigma aufzugeben und bei einer historischen Rekonstruktion an die entsprechende externe Evidenz anzuknüpfen.

Guido Pfeifer (Frankfurt), „The Pentateuch Paradigm and Ancient Near Eastern Legal History. A Look Back from the Environment“ (93–100), skizziert die Funktionen und Voraussetzungen altorientalischer Gesetzestexte.

Benjamin Kilchör (STH Basel), „Wellhausen’s Five Pillars for the Priority of D over P/H. Can They Still Be Maintained?“ (101–113), nimmt die beiden wichtigsten Säulen von Wellhausens Dokumentenhypothese unter die Lupe: der Ort des Gottesdienstes sowie Priester und Leviten. Sie hält einer Überprüfung anhand der relevanten Texte nicht Stand. Kilchör sieht das Wellhausen-Paradigma so lange auf dem Holzweg, wie an der exilisch-nachexilischen Datierung von P festgehalten wird.

Markus Zehnder (Biola University), „Leviticus 26 and Deuteronomy 28. Some Observations on Their Relationship“ (115–175), steuert den längsten Beitrag bei und legt eine gründliche philologische Untersuchung der beiden Segens- und Fluchtexte im Pentateuch vor. Er versteht das Wort קְרִי „entgegen(stehen)“ als Leitwort in Lev 26. Ein Vergleich von Lev 26 und Dtn 28 ergibt große thematische, aber kaum lexikalische und phraseologische Verbindungen. Bei zahlreichen prophetischen Abschnitten lasse sich eine Abhängigkeit von Lev 26/Dtn 28 feststellen. Dies sei für die Datierung relevant, da viele der prophetischen Abschnitte vorexilisch angesetzt werden. Schließlich führt auch ein Vergleich mit altorientalischen Texten zum Ergebnis, dass die beiden Texte gut in die vor-neuassyrische Zeit passen.

Drei Beiträge drehen sich um die Beziehung zwischen Tora and Propheten. Eckart Otto (München), „Deuteronomy as the Legal Completion and Prophetic Finale of the Pentateuch“ (179–188), versteht das Dtn entsprechend der Überschrift 1,1–5 als mosaische Interpretation der Sinai-Tora in Ex und Lev. Zudem versteht er das Buch als bewussten Abschluss des gesamten Pentateuch. Verschiedene Stellen im Dtn verleihen dem Pentateuch einen prophetischen Abschluss.

Kenneth Bergland (Andrews University, Berrien Springs), „Jeremiah 34 Originally Composed as a Legal Blend of Leviticus and Deuteronomy“ (189–205), untersucht die intertextuellen Beziehung von Jer 34,8–22 zu den Sklavengesetzen in Lev 25 und Dtn 15. Jer 34 war für Wellhausen ein Schlüsselttext für die zeitliche Relation der Propheten zum Pentateuch. Bergland argumentiert hingegen, dass Jer die Texte aus Lev und Dtn voraussetzt und der jüngste der drei Texte ist.

Carsten Vang (Aarhus), „The Non-Prophetic Background for the King Law in Deut 17:14–20“ (207–223), sieht weder die prophetische Königskritik noch die dtr Salomokritik als Hintergund des dtn Königsgesetzes. Der Abschnitt füge sich gut in das altorientalische Königsideal und passe chronologisch am besten in die vormonarchische Zeit.

Die letzten sechs Artikel behandeln chronologische Fragen. Hendrik J. Koorevaar (ETF Leuven), „Steps for Dating the Books of the Pentateuch. A Literary and Historical Canonical Approach“ (227–242), verfolgt vor allem methodologische Aspekte. Wie lassen sich Bücher und Buchgruppen abgrenzen? Und anhand welcher Kriterien lassen sich diese dann in historisch-kanonischer Perspektive datieren?

Lina Petersson (Uppsala), „The Linguistic Profile of the Priestly Narrative of the Pentateuch“ (243–264), geht in ihrem historisch-linguistischen Ansatz im Anschluss an A. Hurvitz und R. Polzin empirisch und diachron vor. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die verbale Syntax der priesterlichen Erzähltexte dem Standard-Hebräischen und nicht dem späten Bibelhebräischen entspricht. Ein archaisierender Sprachgebrauch sei so gut wie ausgeschlossen.

Jan Retsö (Göteborg), „The Tabernacle and the Dating of P“ (265–286), gelangt zu einer anderen Rekonstruktion der priesterschriftlichen Stiftshütte (Ex 25–40) als die traditionelle Deutung, die sich stark am Salomonischen Tempel anlehnt. In Analogie zu Heiligtümern der Levante sei eher an eine Art Baldachin aus vier Säulen zu denken, die mit einem Tuch überspannt sei und in deren Mitte ein Block aus Stein oder Metall die Gottheit repräsentiere. Die kapporet sei nicht Deckel einer Truhe, sondern ein stehendes Objekt in Form einer Platte mit zwei Keruben. Da derartige Formen des Heiligtums von den biblischen Autoren ab etwa 600 v. Chr. verurteilt werden, müsse die priesterschriftliche Konzeption in die vorexilische Zeit angesetzt werden.

John S. Bergsma (Steubenville), „A ,Samaritan‘ Pentateuch? The Implications of the Pro-Northern Tendency of the Common Pentateuch“ (287–300), setzt sich mit dem neueren Forschungstrend auseinander, die mutmaßliche priesterliche Endredaktion des Pentateuch unterstütze gegenüber den Samaritanern die Legitimität des Jerusalemer Tempel. Der Pentateuch habe weder Traditionen des Nordreichs aufgenommen noch sei er ein Kompromisspapier, sondern passe am besten in die vorexilische Zeit.

Sandra Richter (Wheaton), „What’s Money Got to Do with It? Economics and the Question of the Provenance of Deuteronomy in the Neo-Babylonian and Persian Periods“ (301–321), beleuchtet das ökonomische System Israels in neubabylonischer und persischer Zeit. Dies lasse sich nicht mit den Angaben im „Urdeuteronomium“ vereinbaren, das deshalb besser in die Übergangszeit von Eisenzeit I und IIA (spätes 2. Jahrtausend) anzusiedeln sei.

Pekka Pitkänen (Gloucestershire, Cheltenham), „Reconstruction the Social Contexts of the Priestly and Deuteronomic Materials in a Non-Wellhausian Setting“ (323–338), analysiert die sozialen Kontexte von Gen–Jos, um zu einer alternativen Rekonstruktion der Entstehung zu gelangen. Er geht von einem priesterlichen Autoren für Gen–Num und einem deuteronomistischen für Dtn–Jos aus, der aus levitischen Kreisen stamme.

Die Autoren sind sich dessen bewusst, dass sie Minderheitspositionen vertreten und nicht auf einen grundlegende Wende im Mainstream der Forschung hoffen dürfen. Sie sind sich in der Ablehnung der klassischen Literarkritik einig und brechen für die Frühdatierung biblischer Texte eine Lanze. Die Gefahr besteht, gegen Strohmänner zu kämpfen, weil das klassische Wellhausen-Modell vielfach modifiziert wird (wie verschiedentlich eingeräumt wird) und der Priesterschrift durchaus die Aufnahme alter Traditionen zugestanden wird. Die nächsten Schritte wären eine Einleitung in den Pentateuch und eine positive Darstellung, wie die Entstehung des Pentateuch alternativ vorstellbar ist, einschließlich einer noch konkreteren Datierung und einer Diskussion der Verfasserschaft. Der vorliegende Band liefert hierfür wertvolle Bausteine.


Dr. Walter Hilbrands, Dekan und Dozent für Altes Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen