Historische Theologie

Udo Sträter / Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Claudia Drese / Klaus vom Orde (Hg.): Philipp Jakob Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1685

Udo Sträter / Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Claudia Drese / Klaus vom Orde (Hg.): Philipp Jakob Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1685. Band 6: 1682–1683, Tübingen: Mohr Siebeck, 2019, Ln., XXXIII+924 S., € 209,–, ISBN 978-3-16-156679-0


Die Briefe Philipp Jakob Speners (1635–1705) aus seiner Frankfurter (1666–1686), Dresdner (1686–1691) und Berliner Zeit (1691–1705) sind längst als wichtige Quellen für die Anfänge des lutherischen Pietismus und dessen Ausbreitung sowie für das pietistische Netzwerk anerkannt. Der hier zur Besprechung vorliegende sechste Band der Edition der Briefe aus Speners Frankfurter Zeit enthält 203 Briefe aus den Jahren 1682–1683; zwei weitere Briefbände zur Frankfurter Zeit werden noch folgen.

Angesichts der bereits vorliegenden Editionsbände ist es an dieser Stelle kaum nötig, Anlage und Aufbau des Bandes zu besprechen. Wie in den vorausgehenden Bänden sind die Briefe nach einem klaren Schema sehr gut erschlossen und ediert. Nach Vorwort (Udo Sträter) und Einleitung (Klaus vom Orde) sowie Abkürzungen und Siglen von Quellen und Literatur wird die Edition jedes Briefs eingeleitet mit Angaben zu Adressat, Abfassungsort und -zeit, Inhalt und Überlieferung. Zwei Anmerkungsapparate, Textvarianten und Kommentar, ergänzen die Edition der deutsch- und lateinischsprachigen Briefe. Besonders hilfreich ist der Kommentar, der (wie gewohnt) nicht nur Informationen zum Adressaten des Briefs und den darin erwähnten Personen liefert, sondern auch Bibelstellen nennt, Wort- und Begriffserklärungen bietet, die Volltitel zeitgenössischer Quellen und Hinweise zur Forschungsliteratur ergänzt. Hier zeigt sich die große Leistung der Editoren, und nur ganz vereinzelt kommt es zu kleinen Irritationen des Lesers, wo sich Erklärungen wortgleich wiederholen (z. B. „Epikuräer“, 244 Anm. 9 und 336 Anm. 28) oder z. B. die „Verurteilung der Protestanten durch das Konzil von Trient (1545–1563)“ etwas irreführend mit der „Bulle exsurge domine“, der Bannandrohungsbulle vom Juni 1520, belegt wird (234 Anm. 9). Im Anschluss an die Edition folgen ein Verzeichnis der Fundorte (893–896) sowie umfangreiche Register zu Personen, Orten und Bibelstellen (897–924).

Von den 203 Briefen stammen 113 aus dem Jahr 1682, weniger also aus dem nachfolgenden Jahr 1683, was vermutlich zwei Gründe hatte: Spener hatte im Frühjahr 1683 eine längere Krankheitsphase zu erleiden und verfasste zudem im Winter 1682/83 die umfangreiche Schrift „Evangelische Glaubensgerechtigkeit“, seine fast 1600 Seiten umfassende Darlegung der lutherischen Rechtfertigungslehre. Beides spiegelt sich in seinen Briefen wider, die einen bisher noch wenig bekannten Einblick in die späteren Frankfurter Jahre Speners geben. Zwar begegnen dem Leser viele Korrespondenzpartner Speners aus den vorausgehenden Jahren wieder, aber im Jahr 1682 korrespondiert Spener z. B. erstmals mit Freiherr Nicolaus von Gersdorf, dem Großvater von Nikolaus von Zinzendorf. Theologisch musste Spener in dieser Zeit seine eigene Rechtgläubigkeit und die der pietistischen Bewegung verteidigen und sich zugleich mit separatistischen Tendenzen in seinem Frankfurter Freundeskreis auseinandersetzen. Speners Briefe zeigen aber auch, dass ihn die Geschehnisse in Europa, insbesondere die Gefahr eines politischen Katholizismus im Elsass und in der Stadt Straßburg, seit 1681 unter französischer (katholischer) Vorherrschaft, beschäftigten. Auch das Verhältnis zu den Juden ist ein wiederkehrendes Thema der Briefe aus diesen beiden Jahren.

„Das alles überragende und in alle Teilaspekte hineinragende Thema Speners ist die ‚Verbesserung der wahren evangelischen Kirche‘“ (Klaus vom Orde, XV), wie er sie in den Pia Desideria (1675) gefordert hatte. In dieser Perspektive lassen sich die vielen Themen, die Spener in den Briefen anspricht, als zusammengehörig verstehen: systematisch-theologische Fragen (Rechtfertigung und Heiligung, biblische Hermeneutik, Kontroverstheologie) und Fragen zur kirchlichen Praxis (Taufe, Abendmahl, kirchliche Trauung, Beichte, Konfirmation), Fragen zur Besetzung von Pfarrstellen und theologischen Professuren, seelsorgerliche Ermahnungen, Ratschläge und Lektüre-Empfehlungen für Amtsbrüder und Theologiestudierende, aber auch seine Haltung zum Görlitzer Mystiker Jakob Böhme, zur Pest und zu den Juden.

Zwei Themen aus der kirchlichen Praxis sollen exemplarisch herausgegriffen werden, da sie das Bild des Pietismus nachhaltig prägten: die Collegia pietatis und der Katechismusunterricht. Bereits seit 1670 gab es das Frankfurter Collegium pietatis als Versammlung in den privaten Räumen Speners. Im Frühjahr 1682 erhielt Spener die Erlaubnis, das Collegium öffentlich in der Frankfurter Barfüßerkirche zu halten, was Spener freudig begrüßte: „nun [hat] nach meinem vierjährigen verlangen hiesiger Rath ihren Obrigkeitlichen consens dazu gegeben, daß ich künfftig mein in dem hauß gehaltenes collegium dürffe in offentlicher kirche halten […] Dem Herrn seye danck“ (Brief an Herzogin Sophie Elisabeth von Sachsen-Zeitz, 24. März 1682, Nr. 29, Z. 111–114). In mehreren Briefen erwähnt er nicht nur die Verlegung des Collegiums in die Öffentlichkeit, sondern auch, dass er in Frankfurt nun weitere Collegia für Studenten plane und sich auch in Essen ein Collegium pietatis konstituiert habe.

Als Instrument zur Verbesserung der Kirche lag Spener ebenso der Katechismusunterricht vor Konfirmation und Abendmahlsteilnahme am Herzen. Dafür legt Spener in mehreren Briefen dar, wie er selbst in Frankfurt den Unterricht gestaltet, und verfasst auch einen Stoffplan in 95 Einheiten als Unterrichtshilfe (Tabulae Catecheticae). Speners Anliegen war es, dass die (jungen) Menschen nicht nur den Katechismus auswendig lernen (recitare), sondern auch theologisch verstehen sollten: „ut non verba solum nostra recitare, sed res ipsas intelligere discant auditores“ (Brief Nr. 34, Z. 39f), wie er am 11. April 1682 gegenüber Johann Heinrich Schellenbaur, zu dieser Zeit Erster Diaconus der Stuttgarter Stiftskirche, betonte.

Obwohl die Briefe sehr gut, v. a. durch den Kommentar im zweiten Apparat, aufbereitet sind, ist der Band doch allein seines Umfangs, Gewichts und Preises wegen kein Leseband, sondern ein Studienbuch und eine Edition, die wissenschaftlich am Pietismus Interessierte ansprechen wird. Doch auch wer nur Aussagen Speners zu einem bestimmten Thema oder einer konkreten Person, wie z. B. Jakob Böhme, sucht, wird dank der ausführlichen Register schnell fündig. Einsteiger in die Spener-Briefe seien noch auf die von Markus Matthias herausgegebenen Lesebände in der Edition Pietismustexte (Die Anfänge des Pietismus in seinen Briefen, 2016; Nicht von dieser Welt? Positionen eines Pietisten, 2019) hingewiesen. Für die Kenner ist zu ergänzen, dass Band 7 der Edition, die Briefe aus den Frankfurter Jahren 1684–1685, jüngst erschienen ist.


Dr. Ulrike Treusch, Professorin für Historische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen