Udo Sträter in Zusammenarbeit mit Claudia Neumann (Hg.): Philipp Jakob Spener, Briefwechsel mit Adam Rechenberg
Udo Sträter in Zusammenarbeit mit Claudia Neumann (Hg.): Philipp Jakob Spener, Briefwechsel mit Adam Rechenberg. Band 1: 1686–1689, Tübingen: Mohr Siebeck, 2019, Ln., XXXVI+736 S., € 199,–, ISBN 978-3-16-156678-3
Das große Projekt der Edition der Spenerschen Briefe ist mit dem vorliegenden Band um einen besonderen Briefwechsel erweitert, die Korrespondenz zwischen Philipp Jakob Spener (1635–1705) und Adam Rechenberg (1642–1721), Professor an der Universität Leipzig und seit Herbst 1686 auch Speners Schwiegersohn. Knapp 1150 (erhaltene) Briefe haben beide in den Jahren 1686 bis 1704 gewechselt, davon ca. 700 von Spener an Rechenberg und mehr als 400 von Rechenberg an Spener. Damit ist dieser Briefwechsel nicht nur die umfangreichste Korrespondenz, die Spener mit einer Person führte, sondern sie bietet auch einen bedeutsamen Einblick sowohl in Speners private Angelegenheiten als auch in sein kirchliches Wirken als Oberhofprediger in Dresden und später als Propst in Berlin.
Bisher lagen die Briefe als Autografen in der Leipziger Universitätsbibliothek vor. Mit der mit diesem Band begonnenen, auf sechs Bände angelegten Edition werden sie nun einem größerem Fachpublikum zugänglich gemacht. Im ersten Band sind 199 Briefe aus den Jahren 1686–1689 veröffentlicht mit einer Besonderheit: Für diese Jahre liegen bis auf einen Brief nur die Briefe Speners vor, nicht die Rechenbergs. Der Aufbau des Bandes entspricht weitgehend dem Aufbau der bisherigen Spener-Briefbände: Der Edition vorangestellt sind eine knappe, hilfreiche Einleitung (von Claudia Neumann), editorische Vorbemerkungen und Hinweise zu Abkürzungen und Siglen (XIII–XXXVI); nachgestellt finden sich Register der Personen, Orte und Bibelstellen (715–736). Die Briefe werden in chronologischer Abfolge und ungekürzt abgedruckt mit vorangestelltem Regest, Überlieferungshinweis, textkritischem Apparat und umfangreichen kommentierenden Anmerkungen. Der Bearbeiterin Claudia Neumann gebührt für die klaren Inhaltsangaben und v. a. die Erläuterungen von Personen, Orten, Zitaten, Sachverhalten und zeitgenössischen Buchtiteln höchstes Lob und große Anerkennung. Diese Erläuterungen machen viele Briefe erst verständlich, waren doch Spener und Rechenberg mit ihrem jeweiligen Thema vertraut und bedienten sich nicht nur eines „Telegrammstils“ (XIII), sondern erwähnten z. B. auch ihnen beiden bekannte Personen oft nur mit Vornamen oder abgekürzt oder verzichten auf die Namensnennung.
Was darf inhaltlich von diesem Briefwechsel erwartet werden? Auch wenn sich hier Schwiegervater und (künftiger) Schwiegersohn schreiben, so ist die persönliche Seite, das private Leben im Haushalt Speners in Dresden und Rechenbergs in Leipzig, nur ein Aspekt. Vor allem korrespondieren hier zwei Akademiker und Theologen, die beide wichtige öffentliche Ämter im Kurfürstentum Sachsen bekleiden. Der Dresdner Oberhofprediger Spener und Rechenberg, Professor für Griechisch, Lateinisch und Historische Wissenschaften (ab 1699 Professor der Theologie) an der Leipziger Universität und zeitweise deren Rektor, tauschen sich mit wachsender Vertrautheit und Intensität (14 Briefe im Jahr 1686, 77 Briefe im Jahr 1689) über „Fragen der Personal-, Kirchen- und Universitätspolitik wie auch das Wirken Speners am Dresdner Hof“ (XV) und über vielfältige theologische und kirchenpolitische Konflikte in diesen Jahren aus.
Für die private, häusliche Seite des Briefwechsels steht z. B. Speners Brief vom 10. August 1686, in der er Rechenberg über das Zögern seiner ältesten Tochter Susanna Katharina (1665–1726) angesichts des Heiratsantrags von Rechenberg informiert (Brief Nr. 2). Als Grund nennt Spener die Entfernung zwischen Susannas Elternhaus in Dresden und Leipzig. Seine Tochter stimmte nach kurzem Zögern jedoch der Heirat zu und vermählte sich im Oktober 1686 mit dem 23 Jahre älteren Rechenberg, für den es nach dem Tod von drei Ehefrauen die vierte Eheschließung war. Spätere Briefe erwähnen das Einleben Susanna Katharinas in Leipzig, ihre beschwerliche Schwangerschaft und gegenseitige Besuche. Kirchenpolitische Aspekte des Briefwechsels sind z. B. der Versuch Speners, auf den frühaufklärerischen Juristen Christian Thomasius (1655–1728) mäßigend Einfluss zu nehmen, wozu er auch seinen Schwiegersohn Rechenberg auffordert (Brief Nr. 85), der zuvor in zweiter Ehe mit einer Schwester von Thomasius verheiratet gewesen war. Auch das schwierige Verhältnis zwischen Spener und dem Kurfürsten im Jahr 1689 (Brief Nr. 136) und die pietistischen Unruhen in Leipzig (Brief Nr. 167) werden ausführlich angesprochen. Angesichts der Leipziger Unruhen spricht Spener auch die „altbekannte“ Bezeichnung als Pietisten an: „Pietistarum vetus nomen est“ (Brief Nr. 162, Z. 3). Spener hatte diesen Begriff in einem Brief 1680 als gegnerische, negativ konnotierte Bezeichnung abgelehnt und steht ihr auch 1689 noch kritisch gegenüber (Brief Nr. 166), als sich im Kontext der Leipziger Unruhen die Bezeichnung „Pietisten“ für die Bewegung um August Hermann Francke und seine erbaulichen Collegia zu etablieren beginnt.
Diese wenigen inhaltlichen Hinweise zeigen, dass der Briefwechsel Spener-Rechenberg ein bedeutendes Quellenkonvolut ist und bereits die ersten Briefe aus der Frühphase der Korrespondenz (1686–1689) vielfache, auch neue Einblicke geben in Speners Dresdner Zeit und ebenso in das noch wenig erforschte Wirken Adam Rechenbergs. Indem die Briefe Leben und Wirken, Theologie und Denken sowie Netzwerke Speners und Rechenbergs erhellen, sind sie eine wichtige Quelle für die Pietismus- und Aufklärungsforschung, für die Kirchen- und Wissenschaftsgeschichte des 17. Jahrhunderts und nicht zuletzt für die Geschichte des Kurfürstentums Sachsen. Die angekündigten noch folgenden fünf Editionsbände versprechen weitere neue Erkenntnisse und Einsichten.
Dr. Ulrike Treusch, Professorin für Historische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule Gießen