Erich Bryner (Hg.): „Den wahren Gott recht erkennen und anrufen“
Erich Bryner (Hg.): „Den wahren Gott recht erkennen und anrufen“. Der älteste Schaffhauser Katechismus von Johann Konrad Ulmer 1568/69, mit einem Beitrag von Jan-Andrea Bernhard, Zürich: TVZ, 2019, Pb., 198 S., € 23,90, ISBN 978-3-290-18205-2
Ein Katechismus ist ein Gebrauchsbuch (vgl. 167), das seit den Zeiten der Reformation Grundzüge der evangelischen Lehre in der Sprache der Zeit einprägen und einen selbständigen Glauben im Herzen entzünden und fördern soll. Wenn aber ein solcher Katechismus nach 450 Jahren neu herausgegeben wird, wem soll diese Neuedition dienen?
Die Frage wird durch den Inhalt des Buchs beantwortet: Im 16. Jahrhundert wurde mit dem Katechismus Lesen und Schreiben gelernt (9). So sind diese unscheinbaren kleinen Bücher nicht nur erste Summarien des evangelischen Glaubens, sondern auch wichtige Dokumente der lokalen Schulbuchgeschichte. Wenn ein Katechismus wie der vorliegende dreiundsiebzig Jahre lang in verschiedenen Auflagen gebraucht und erst 1642 vom Heidelberger Katechismus abgelöst wurde, dann haben sie eine besondere Bedeutung für die Kirchen und Schulen der Stadt und der Landschaft Schaffhausen, in der er benutzt wurden: „Sie dienten auch dem Unterricht im Lesen und Schreiben und dürften somit gleichzeitig die ältesten noch erhaltenen Schaffhauser Schulbücher sein“ (9).
Den einleitenden Abschnitt des Buchs über den Katechismus als protestantische „Laienbibel“ hat Privatdozent Pfr. Dr. Jan-Andrea Bernhard, Reformationsexperte und Titularprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich, verfasst (12–25). In Verbindung mit der im Schulunterricht verwendeten Abecedarien beginnt die Katechismusgeschichte in den deutschsprachigen Ländern (12–19). Besonders die Katechismen von Luther, Jud und Brenz wirken sich auf ganz Europa aus, doch dürfen auch die oberdeutschen Texte und Werke in der Tradition Calvins nicht vernachlässigt werden (20). Durch die „Laienbibeln“ wurde der evangelische Glaube im Volk verbreitet. Bernhard versteht sie deshalb auch als einen Wegbereiter der Konfessionalisierung des europäischen Protestantismus im 16. Jahrhundert (25).
Der Herausgeber Erich Bryner stellt den Katechismustexten einen kurzen Lebenslauf mit theologischen Schwerpunkten des Schaffhauser Reformators Johann Konrad Ulmer (1519–1600) voran (26–37). Der gebürtige Schaffhausener wirkte nach theologischen Studien in Basel, Straßburg (Bucer, Calvin) und Wittenberg (Luther, Melanchthon) zuerst 22 Jahre lang in Lohr am Main und wechselte 1566 in seine Heimatstadt – nicht ohne vorher seine Rechtgläubigkeit in der Abendmahlsfrage auf der Basis des Consensus Tigurinus dargelegt zu haben (32–37). In Schaffhausen versah er dreißig Jahre lang bis ins hohe Alter verschiedene kirchliche Ämter (30). Vom Schaffhauser Abendmahlsgespräch zeugt der erste, bisher ungedruckte Ulmer-Text „Katechetische Fragen und Antworten zum Abendmahl“ (38–40) mit einem knappen Kommentar des Herausgebers (41f).
Darauf folgt der eigentliche Katechismus („Kinderbericht“) von 1568 (43ff) mit einer Einleitung über den Schaffhauser Katechismusstreit (49–63); dem lateinischen („Brevis et succinta, syncera tamen Catechismi forma, in usum parvulorum Christi conscripta, in schola et ecclesia Scaphusiana“, 64–73) sowie dem deutschen Text („Summarischer Und in Gottes Wort gegründter Kinderbericht, für einfältige Hausvätter und Kinder in Fraag und Antwort gestellet“, 74–88, Kommentar 89–102). Ulmer wollte mit seinem Amtsantritt in Schaffhausen 1566 den Katechismusunterricht wieder aufnehmen, denn die ihm noch bekannte Kinderlehre nach dem Anhang zu Leo Juds Kürzerem Katechismus („Dies sind Fragen für die gar jungen Kinder“) war inzwischen eingeschlafen (45). Ulmers Katechismustext führte jedoch zu einem theologischen Streit, weil er angeblich in der Abendmahlsfrage unklar blieb und sprachlich zu hochdeutsch klang (50f). Als Kompromisslösung entstand eine zusammengearbeitete Druckfassung, in der Ulmers Text bis auf das Kapitel über das „Schlüsselamt“ übernommen (vgl. 149) und mit längeren Passagen aus Leo Juds „Fragen“ ergänzt wurde (59). Heinrich Bullinger stimmte dem Inhalt zu und brachte ihn persönlich zum Druck in die Offizin von Christoph Froschauer (60f).
Der gedruckte katechetische Konsenstext von 1569 ist das umfangreichste Dokument des Bandes (103–142), die aus Leo Juds Vorlage übernommenen Abschnitte sind durch Kursivdruck kenntlichgemacht. Nicht nur Beispielgebete, sondern auch Choräle zu den Katechismusthemen (121–142) sind den klassischen Hauptstücken in einem Anhang beigegeben worden.
Der Herausgeber Erich Bryner legt in seinem Kommentar (143–165) Wert darauf, dass das von Ulmer gedichtete Lied über das „Schlüsselamt“ gedruckt wurde, auch wenn der entsprechende Abschnitt keinen Eingang in den Katechismustext fand (162f).
An den Kommentar schließen sich Informationen zu den Katechismusdrucken von 1579, 1591 und 1596 an (166–172). Der Liedteil entfiel, weil es jetzt ein separates Schaffhauser Gesangbuch gab (166). In den außergewöhnlich kalten und unfruchtbaren Jahren der „Kleinen Eiszeit“ gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden zusätzlich Gebete aufgenommen (167–170). Überlegungen zu den katechetischen Elementen in den Schaffhauser Gesangbüchern von 1579 und 1596 (173–180) zum Sprachproblem in Ulmers Katechismustexten und seinen sechs weiteren Übersetzungen (181–190) sowie eine Zusammenfassung (191–197) beschließen den Band.
Nachdem Frank Jehle 2017 den St. Galler Katechismus von 1527 neu herausgegeben hat, ist diese Edition des Schaffhauser Katechismus von 1568/69) ein wertvoller Beitrag zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Schweiz. Vielleicht hofft nicht nur der Rezensent, dass durch diese Veröffentlichung die katechetische Praxis neuen Aufwind erhält.
Pfarrer Dr. Jochen Eber, Margarethenkirche Steinen-Höllstein