Altes Testament

Klaas Spronk: Judges

Klaas Spronk: Judges, Historical Commentary on the Old Testament, Leuven u. a.: Peeters, 2019, Pb., XXXII+550 S., € 84,–, ISBN 978-90-429-4035-2, eISBN 978-90-429-4036-9


Auffälligstes Merkmal des vorliegenden Kommentars zum Buch der Richter (rezensiert wird die Print-Ausgabe) ist die gründliche und sachliche Exegese des MT in seiner Endgestalt mit zahlreichen Verweisen auf die unterschiedlichen Ausgaben der LXX, – meist missbilligenden – Bezugnahmen auf Emendationsvorschläge der BHK, BHS und BHQ sowie modernen Auslegungen. Spronk bietet dafür für die beiden Einleitungen, jede Erzählung und die beiden Schlüsse des Richterbuches jeweils eine eigene, seine Auslegung widerspiegelnde Übersetzung, eine ausführliche Literaturliste, eine Übersicht über die Erzählung mit kurzer Skizzierung ihrer Interpretationsgeschichte anfangend von jüdischen Quellen über die Kirchenväter und das Mittelalter bis in die Neuzeit und eine gründliche vers- oder abschnittsweise Auslegung. Letztere geschieht im regen Dialog mit modernen Auslegern ab dem 19. Jh. Semantische und grammatikalische Erklärungen folgen einem synchronen Ansatz; Spronk bleibt dabei stets nüchtern historisch und er kann narrativen Auslegungsmerkmalen wie etwa Ironie nur in Einzelfällen etwas abgewinnen.

Den historischen Hintergrund der Richtererzählungen lokalisiert Spronk im Israel des 12.–10. Jh., hält ihre Niederschrift im spätmonarchischen Israel des 8.–6. Jh. für wahrscheinlich (25–30) und setzt die letzte hellenistische Bearbeitung und Herausgabe des Richterbuches unter vielfachen Übernahmen von Motiven aus der hellenistischen Literatur (19–22) als Einleitung in die Geschichte der Könige Israels im 3. Jh. v. Chr. an (22). So postuliert Spronk zahlreiche Übernahmen aus den Psalmen sowie aus Homers Iliad und Aischylosʼ Die Perser (161–178) in das Lied Deboras und Baraks und nimmt die Fabel Jotams trotz eigener Bedenken als von Aesop übernommen an (275–276). Dagegen bleibt er bei der Übernahme griechischer Literatur in die Erzählung über Jeftas Tochter (343–344) oder in die Simsonerzählung (394) bemerkenswert vage. Literarkritische Textrekonstruktionsversuche finden sich eher selten, am häufigsten noch bei der Interpretation der Simsonerzählung, welcher Spronk dafür jegliche Historizität abspricht (394). Meist erfasst Spronk aber die genaue und kohärente Einfügung der Perikopen in das Richterbuch und hält dann eigens für das Richterbuch verfasste Erzählungen für am wahrscheinlichsten (so ausdrücklich zu Ri 1,5–7 [55–57], Schamgar [121–124], Jotams Fabel [276] und der Simsonerzählung [391–394]). Zusammen mit der überwiegend synchronen Exegese des Textes erhält Spronk „a combination of […] both the diachronic and the synchronic approach“ (265) als methodische Grundlage seines Kommentars. Wer dabei seinen diachronen Ansatz nicht teilt, kann entsprechende Ausführungen gleichwohl ohne großen Wertverlust übergehen.

Einmal an die Ausführlichkeit der grundtextnahen versweisen und buchkontextuellen Exegese gewöhnt, vermisst der aufmerksame Leser an einigen Stellen die Darstellung versübergreifender literarischer und theologischer Zusammenhänge. Hierzu trägt wohl auch die etwas abgehackt daherkommende Übersetzung bei, in welcher Spronk das waw consecutivum regelmäßig unübersetzt lässt. Ist Baraks Zögern (Ri 4,8) etwa nur eine literarische Pointe einer spätmonarchischen Erzählung, welche Barak nicht Sauls Fehler machen lassen möchte (151–152) oder ist es nicht vielmehr Ausdruck seines fehlenden Vertrauens auf Jahwe, welcher die Feinde in seine Hand gegeben hat (Ri 4,7)? Da auch dieser Kommentar begrenzt ist, kann der Leser überdies nicht Stellungnahmen zu allen Problemen des Textes und Buches erwarten. Dies ist jedoch selbst in einem Kommentar einer dem Historischen verpflichteten Reihe besonders dann schmerzhaft, wenn das Buch diese Themen dominant anspricht. So behandelt Spronk etwa den bereits in der Einleitung in das Richterbuch angesprochenen theologischen Konflikt zwischen Jahwe und Baal (Ri 2,11–23) nur vers- und abschnittsweise (so z. B. zu Ri 6,36–40 [221–222]). Auch zur in der Literatur vieldiskutierten Sicht des Richterbuches auf das – historische! – Königtum argumentiert Spronk nur allgemein und perikopenbezogen, dass das Richterbuch die Samuel- und Königsbücher prophetisch präfiguriere (16–19), die Richter und die Schlusserzählungen die späteren Könige vorausschatteten (299, 457, 496, 541), Gideon sich nicht zum König, sondern zum Priester mache (246–249) und Abimelech als Beispiel eines schlechten Königs gelte (259). Lediglich bei der Kommentierung der Schlusskapitel des Richterbuches wird Spronk ein wenig ausführlicher. Diese verträten eine bedingt positive Sicht auf das Königtum (245, 259, 463), indem sie einen Anführer ungleich Saul forderten, welcher das Rechte in den Augen Jahwes täte (468) und – so sein Schlusssatz – „accepts that Israel’s real king is YHWH“ (541). An anderen Stellen schießt Spronk aufgrund seiner hermeneutischen Voraussetzungen auch über das Ziel hinaus. Muss man etwa aufgrund des „polemically with the vowels of בֹּשֶׁת“ vokalisierten תֹּמֶר (4,5 [149]) eine anonyme Totenbeschwörerin nach dem Vorbild von 1Sam 28 annehmen, welche unter der so bezeichneten Palme „the venerated spirit of a dead person called Deborah“ anruft (150), wenn doch das noch Jer 10,5 mit selber Vokalisation gebrauchte Substantiv semantisch als Anspielung auf das im Kontext dreimalige וַתֹּאמֶר Deboras als „Spruchpfeiler“ Deboras interpretiert werden kann und Debora in der Erzählung ganz leibhaftig als Prophetin Jahwes auftritt, Barak zum Kampfgeschehen begleitet und mit ihm zusammen ein Lied singt?

Bei aller exegetischen Wissenschaftlichkeit bleibt der Kommentar leicht und flüssig lesbar, was jedoch durch vereinzelte Unachtsamkeits- und Rechtschreibfehler etwas geschmälert wird. So fehlt beispielsweise in der Übersetzung zu Ri 11,34 die wichtige Negation neither („he had beside her [neither, אֵין] son nor [אוֺ] daughter“ [307, 345]), auf S. 472 (Z. 1) sollte die Referenz statt Ri 13,25 Ri 13,21 lauten und auf S. 281 (Z. 22) statt fünfzig siebzig Söhne Jerubbaals gezählt werden. Statt „to makes“ wäre „to make“ (242, Z. 14), statt „are indicates“ „are indicated“ (413, Z. 24) und statt „his guest are“ „his guests are“ (512, Z. 7) zu lesen, und statt „Richteren“ sollte es im deutschsprachigen Zitat „Richterin“ heißen (148, Z. 41).

Nichtsdestotrotz hat es der Rezensent sehr genossen, diesen Kommentar zum Richterbuch durchzuarbeiten. Er kann ihn jedem empfehlen, der einen Kommentar synchroner Ausrichtung sucht, das Richterbuch semantisch vers- und abschnittsweise verstehen möchte und sich dabei von diachronen Erörterungen auf Grundlage einer sehr späten Datierung nicht abschrecken lässt, der eine beachtliche Einführung in die aktuelle Diskussion zur Auslegung des Richterbuches erhalten möchte und der die dargestellten Parallelen aus der klassischen griechischen Literatur als bereichernde Hinweise auf ähnliche Ideen in unterschiedlichen Kulturen annehmen kann.


Dr. Wolfgang Bluedorn, Neuwied