Altes Testament

G. Geoffrey Harper: „I Will Walk Among You“

G. Geoffrey Harper: „I Will Walk Among You“. The Rhetorical Function of Allusion to Genesis 1–3 in the Book of Leviticus, BBRSup 21, University Park, PA: Eisenbrauns, 2018, geb., 312 S., $ 73.00, ISBN 978-1-57506-973-9


Geoffrey Harper, Lehrbeauftragter für Altes Testament am Sydney Missionary and Bible College, legt mit dieser Monografie eine Studie vor, die mit seiner Dissertation zur rhetorischen Gestalt des Buches Levitikus im Pentateuch vorgespurt ist. Gegenstand sind die Verbindungen ausgewählter Kapitel (11, 16 und 26) von Lev zu Gen 1–3. Das Buch ist in zwei Teile à drei Kapiteln gegliedert. Der erste Teil führt ein in methodische und hermeneutische Fragen, der zweite Teil widmet sich dann den Texten.

Der wichtigere und innovativere Teil des Buches ist der zweite Teil. Im ersten Teil verortet Harper seine Studie methodisch solide anhand der einschlägigen Literatur und unter Berücksichtigung der neueren Forschung und arbeitet seine Fragestellung und seine Herangehensweise heraus. Seine Studie ist im Wesentlichen synchron angelegt und befasst sich insbesondere mit Fragen der Intertextualität und der Rhetorik. Für die Frage der rhetorischen Konzeption verweist er immer wieder auf den Kommentar zu Lev 1–10 von James Watts (HCOT, 2013), dessen Zugang zum Text besonders von rhetorischen Fragestellungen geprägt sind. Die Hauptfragestellungen für Harper sind, ob das Levitikusbuch in seiner vorliegenden Gestalt auf Gen 1–3 anspielt und, wenn ja, welche rhetorischen Ziele mit diesen Bezugnahmen verfolgt werden. Für die Beantwortung der Fragen sind zunächst lexikalische und syntaktische Parallelen herauszuarbeiten (der Appendix des Buches enthält eine sehr detaillierte Zusammenstellung), sodann konzeptuelle Parallelen. Stets ist die Frage zu stellen, ob die Parallelen spezifisch oder allgemein sind, ob die Annahme ihrer Intentionalität plausibel ist. Schließlich, wenn sich die Parallelen bestätigen, ist nach ihrer rhetorischen Funktion im jeweiligen Textabschnitt und schließlich im Buchganzen zu fragen. Um insbesondere die Verortung im Buchganzen zu ermöglichen, führt Harper im dritten Kapitel in Struktur, Botschaft und Rhetorik des Levitikusbuches ein und vertritt die These, dass das Buch rhetorisch auf viele verschiedene Situationen zugeschnitten ist: „In fact, the book seems purposely designed to transcend the limits of time and space“ (104). Da das Buch in eine vormonarchische, monarchische, exilische oder nachexilische Situation sprechen kann, rät er zur Vorsicht, von der Botschaft des Buches auf dessen historischen Ursprung zurückzuschließen.

Nach einer kurzen Einführung, in der die Auswahl der Kapitel 11, 16 und 26 aus dem Gesamtbuch begründet wird, folgen im zweiten Teil dann die eigentlichen Textuntersuchungen. In Lev 11 geht es um die Unterscheidung von zur Speise erlaubten und verbotenen Tieren. Lexikalisch gibt es Bezüge zu Genesis 1 insbesondere bezüglich des Unterscheidens an sich (בדל + בין – „unterscheiden“ + „zwischen“: Gen 1,14.18; Lev 11,47; mit בדל im inf. cs. nur 5× im AT) wie auch bei der Beschreibung der Tierarten und der ihnen zugewiesenen Elemente (darunter Übereinstimmungen auch in seltenen Wörtern wie רמשׂ, שׁרץ, מקוה, מין). Zu Gen 2–3 betreffen die Parallelen insbesondere das Verbot des Berührens (נגע) und Essens (אכל) bestimmter Speise (Gen 3,3; Lev 11,8; in 2. P. m. Pl. qal yiqtol Form im AT sonst nur noch in Dtn 14,8 [par. Lev 11,8]) und die „auf dem Bauch wandelnde“ (הלך על גחון) Schlange (Gen 3,14; Lev 11,42). Formulierungen wie כל נפשׁ החיה הרמשׁת („jede lebende Seele, die wimmelt“; Gen 1,21; Lev 11,46) oder במימים („in den Meeren“; Gen 1,22; Lev 11,9–10) finden sich nur an diesen Stellen. Die Bezüge zu Gen 1 machen deutlich, dass die Unterscheidung zwischen rein und unrein Gottes Unterscheidungen bei der Schöpfung spiegelt und damit Teil der Gottesebenbildlichkeit ist. Die Bezüge zu Gen 2–3 zeigen dagegen, dass unreine Israeliten effektiv von JHWHs Heiligtums-Gegenwart ausgeschlossen sind: „The penalty for eating proscribed food thus functionally separated Israelites from YHWH in a manner analogous to Adam and Eve’s banishment as consequence for a similar infraction“ (134). Da sich zahlreiche lexikalische, syntaktische und konzeptuelle Bezüge zu Gen 1–3 finden, darunter seltene Lexeme und Formulierungen, die sich nur in Gen 1–3 und Lev 11 finden, ist eine intentionale Anspielung sehr wahrscheinlich.

Die lexikalischen und syntaktischen Parallelen von Lev 16 zu Gen 1–3 sind deutlich geringer. Harper weist besonders auf das Verbot hin, am siebten Tag, bzw. im siebten Monat (am Zehnten des Monats) Arbeit zu tun (עשׂה + מלאכה + שׁביעי; Gen 2,2.3; Lev 16,29), was in Verbindung mit „Sabbat“ (Lev 16,31) insgesamt neun Belege hat (Gen 2,2.3; Ex 12,15–16; 20,10; 31,15; 35,2; Lev 16,29–31; Dtn 5,14). Dazu kommen die Verbindungen מים + מקום („Ort“ + „Wasser“; Gen 3,9; Lev 16,24; sonst nur Num 19,9; 20,5), לבשׁ + כתנת („Leibrock“ + „kleiden“; insgesamt zehn Belege, im Pentateuch neben Gen 3,21 stets in Bezug auf priesterliche Kleidung: Ex 29,5.8; 40,14; Lev 8,7.13; 16,4), sowie אחד + עולם („andauernd“, „ein“ [Zahlwort]; Gen 3,22; 16,34; sonst nur Num 15,15; 2Chr 5,13). Neben diesen lexikalischen Parallelen sieht Harper darin konzeptuelle Parallelen, dass Lev 16 auf die rituelle Wiederaufrichtung der kosmischen Ordnung abziele: Zum ersten Mal seit Gen 3 sei ein fortdauernder Eintritt eines Menschen in die heilige Zeit (Sabbat) und den heiligen Ort (Allerheiligstes) realisiert. Aaron sei eine Adam-Figur: „The parallel between Lev 16:4 and Gen 3:21 may suggest that on the Day of Atonement, clothed in a tunic as Adam was when he was removed from the Garden, Aaron approached God representing an excluded humanity“ (167).

Levitikus 26 mit seinen Segensverheißungen und Gerichtsandrohungen hat eine ganze Reihe von lexikalischen Bezügen zu Genesis 1–3. Mit der Kombination von פרה + רבה (fruchtbar sein + zahlreich sein; Gen 1,22.28; Lev 26,9), פרי + עץ + ארץ („Frucht“, „Baum“, „Land“) in Verbindung mit נתן („geben“; Gen 1,29; Lev 26,4.20; sonst nur noch Ez 34,27), der Rede von Gott (als Subjekt), der „wandelt“ (הלך; Gen 3,8; Lev 26,12; im Pentateuch sonst nur Dtn 23,14, im restlichen AT noch 2 Sam 7,6–7; 1 Chr 17,6; Hi 22,14) und der Rede von „Brot essen“ (אכל + לחם; Gen 3,19; Lev 26,5.26, darüber hinaus sehr oft belegt), malt Lev 26 Segen und Fluch bei der Schöpfung und der ersten Übertretung des „gebotenen Gebotes“ (צוה + מצוה; Gen 2,16; Lev 26,3) vor Augen. Lev 26 sei „worded in such a way as to allude to the conditions that existed at creation“ (201). Zustimmend zitiert Harper Cynthia Edenburg (und verweist dabei auch auf einen Aufsatz von Hendrik Koorevaar in JETS 57 [2014]): „One could argue with justification that Gen 2–4 deliberately evokes Lev 26. Otherwise, the reverse is more than likely; namely that the author of Lev 26 echoed motifs and expressions in Gen 2–4“ (206). Durch diese Sprache wird eine Verbindung von Eden zu Kanaan geschaffen: Kanaan ist ein neues Eden, wo Gott inmitten seines Volkes „wandelt“. Doch wie Adam empfängt auch Israel göttliche Gebote und wird durch das Bewahren der Gebote am Segen Edens Anteil haben, bei Brechen der Gebote aber aus dem Land vertrieben werden.

Interessant wäre ein weiterführendes Kapitel, das danach fragt, ob nicht alle drei untersuchten Texte letztlich in einem übergeordneten Rahmen, der auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, auf Toratreue und Bundesbruch, Landbesitz und Segen oder Landverlust und Fluch abzielt, Bezug nehmen auf Gen 1–3. Die großen Themen und Bögen scheinen in allen drei untersuchten Texten, wenn auch in unterschiedlichen Zusammenhängen, dieselben zu sein. Die große Stärke der Studie Harpers ist es, die Bezüge in einer bisher nicht gegebenen Gründlichkeit herauszuarbeiten und auch konzeptionell auszuwerten. Der rhetorische Ansatz gibt m. E. nicht so viel her und trägt wenig Überraschendes oder Neues bei. Obwohl Harper nicht groß auf diachrone Fragen und Fragen der Pentateuchkomposition eingeht, wirft seine Studie doch die Frage auf, ob die dominierenden Modelle, die allesamt diachron zwischen Gen 1 und Gen 2–3 trennen, den Befund zu erklären vermögen, dass Lev 11; 16 und 26 unterschiedslos auf Gen 1–3 anspielen. Meiner Einschätzung nach stellt die Studie Harpers entweder die diachrone Unterscheidung von Gen 1 und 2–3 infrage, oder aber die Zugehörigkeit von Lev 11, 16 und 26 zur Priestergrundschrift, da diese Kapitel die Verbindung von P und nicht-P bereits voraussetzen. In jedem Fall liefert diese sehr zu empfehlende Studie viel Stoff für weiteres Nachdenken über die Theologie und die Komposition des Pentateuchs. Und sie lädt dazu ein, für dieses Nachdenken konventionelle Bahnen zu verlassen.


Dr. Benjamin Kilchör, Professor für Altes Testament an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel