James W. Watts: Leviticus 1–10
James W. Watts: Leviticus 1–10, HCOT, Leuven: Peeters, 2013, Pb., XXX+567 S., € 74,–, ISBN 978-90-429-2984-5
Der zu besprechende Kommentar zu Levitikus 1–10, verfasst von James W. Watts, Professor für Religion an der Syracuse University in New York, ist schon einige Jahre alt, aber keineswegs veraltet.
Eine sehr informative Einführung führt auf rund 130 Seiten an den Text heran. Die Dreiteilung der Einleitung in Contents, Contexts und Rhetoric ist für den gesamten Kommentar bestimmend. Jede Perikope wird entlang dieser drei Kategorien eingeführt. Contents führt insbesondere in Übersetzungsfragen (besonders bei den Ritualen), den Text und die Textkritik, sowie in die Struktur und Form des Levitikusbuches ein. Context stellt vor allem die Frage nach der Performanz, wobei das Verhältnis von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit besonders bedacht wird und auch die rituelle Performanz des Textes und sein Platz im Ritual zur Sprache kommt. Nach Watts handelt es sich beim Levitikusbuch um einen Text, der für den mündlichen Vortrag konzipiert ist. Schließlich wird ausführlich auf die neuere Forschung eingegangen, wobei ganz unterschiedliche Forschungsfelder (Kompositionsgeschichte, Ritualtheorie, theologischer Symbolismus, Rezeptionsgeschichte, u. a.) kundig und prägnant eingeführt werden. Auch dies ist für den ganzen Kommentar charakteristisch: Er hat kaum Einseitigkeiten, sondern legt den Text durchgehend im Gespräch mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen aus, ohne sich in den Details zu verlieren. Eine große Stärke des Kommentars ist der Blick für das Wesentliche.
Der dritte Teil der Einleitung, die Rhetorik, ist die eigentliche Besonderheit des Kommentars. Die Frage nach der rhetorischen Funktion des Textes begleitet die ganze Kommentierung. Die Stärke dieser Fragestellung besteht darin, dass sie den Blick schärft für das, was der Text sagt, auch bedenkt, warum der Text gewisse Dinge nicht sagt, unter dem Strich dann aber hauptsächlich das kommentiert, was durch den Text gesagt ist, nicht das, was nicht gesagt ist. Dies zeigt sich immer wieder daran, dass Watts zwar verschiedene Positionen, was einzelne Elemente der Rituale (z. B. Opfer) in ihrer Symbolik bedeuten, vorstellt und diskutiert, selbst aber sehr zurückhaltend damit ist, eine Systematik in der Symbolik zu schaffen, die gleichsam eine Art „Geheimsprache“ suggerieren würde, in welcher jede Handlung eine bestimmte Bedeutung hat und sich in eine gesamte Handlungslogik einfügt. Vielmehr geht Watts davon aus, dass die verschiedenen Handlungen offen sind für mehrere Deutungsmöglichkeiten, dass im Vordergrund aber gar nicht die Bedeutung der Handlungen, sondern deren Vollzug, steht. Die Frage nach der rhetorischen Funktion des Textes führt auch weiter zur synagogalen und kirchlichen Wirkungsgeschichte des Textes, die durchgehend in die Kommentierung einfließt. Die Konzentration auf die rhetorische Funktion des Textes führt schließlich auch dazu, dass Watts den Text nicht in Kleinstteile zergliedert, sondern dessen übergreifenden Logik folgt. Literar- und redaktionskritische Theorien werden kurz, aber nachvollziehbar, anhand der wichtigsten Argumente vorgestellt und diskutiert, wobei Watts ihnen kaum je folgt, sondern wenig Grund findet, den Text in der vorliegenden Gestalt auf mehrere Stufen zurückzuführen. In weiten Teilen folgt er damit der Einschätzung von C. Nihan (From Priestly Torah to Pentateuch, 2007), ist aber noch zurückhaltender als dieser in redaktionskritischen Annahmen und hält z. B. dessen Argumente, Lev 10 für einen späteren Zusatz zu halten, für nicht tragfähig. Eine gewisse Schwäche des rhetorischen Ansatzes von Watts ist m. E. darin zu sehen, dass er Rhetorik sehr stark als ein Mittel zur Macht sieht und die Auslegung manchmal der Logik verhaftet ist, dass die priesterlichen Kreise die Texte vor allem als Mittel brauchen, um eine Wirkung zu erzielen, die ihren Status festigt. Dass die Rituale nicht nur dem Machtwillen der Priester dienen, sondern dass ihre Gestalt auch durch das, was Rudolf Otto „Das Heilige“ (1917) nannte, geformt werden, tritt in den Hintergrund. So geht es etwa in der Auslegung von Lev 10 weniger um die lebensgefährliche Begegnung des unvollkommenen Menschen mit dem heiligen Gott, sondern eher um die Frage, wer letztlich die rituelle Autorität hat. Der Tod der älteren Söhne Aarons soll dabei dem Volk kommunizieren, dass es ein gefährlicher und anspruchsvoller Dienst ist, den die Priester tun, was wiederum ihrem Status zugutekommt. Der Frage nach der rhetorischen Funktion des Textes scheint somit eine (nie explizit benannte) Hermeneutik des Verdachts zugrunde zu liegen. Dem Textverständnis kommt das nicht immer zugute und etwas mehr Gadamer’sche Horizontverschmelzung des Auslegers mit dem Text wäre stellenweise wünschenswert.
Der eigentliche Kommentarteil teilt den auszulegenden Text in die Abschnitte 1–7 und 8–10 ein und legt den Text dann in größeren Abschnitten aus. Jeder Abschnitt wird mit einer Übersetzung, einer kleinen Einführung nach dem Schema Contents, Contexts, Rhetoric und schließlich spezifischen Erörterungen (Exposition) eingeführt, bevor die Vers-für-Vers-Auslegung folgt. Die große Stärke der Auslegung besteht darin, dass sie stets am Text bleibt, dass man als Leser den Eindruck hat, dem Text zu folgen, dass man dabei aber fast beiläufig auch mit der Forschungs- und Rezeptionsgeschichte und somit mit den Fragen und Erkenntnissen, die der Text seit Jahrtausenden auslöst, vertraut gemacht wird. Es handelt sich somit im besten Sinne um einen Kommentar, der den Wald sieht, ohne die Bäume außer Acht zu lassen. Als wichtigstes Gegenüber dient der Großmeister der Levitikusforschung, Jacob Milgrom, der gerade dadurch, dass Watts oft Gegenpositionen einnimmt, den Kommentar stark beeinflusst.
Das Fazit fällt, mit Ausnahme der kleinen Kritiken, die ich angebracht habe, sehr positiv aus: Der Kommentar ist äußerst informativ, lehrreich, angenehm zu lesen, theologisch gehaltvoll und regt die eigene Arbeit am diesen Texten an, die ja durchaus nicht zu den beliebtesten Texten des Alten Testaments gehören. Auf die noch nicht erschienene Fortsetzung des Kommentars darf man sich freuen.
Dr. Benjamin Kilchör, Professor für Altes Testament an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel