Helge Stadelmann / Peter Zimmerling (Hg.): Johann Jakob Rambach (1693–1735)
Helge Stadelmann / Peter Zimmerling (Hg.): Johann Jakob Rambach (1693–1735). Praktischer Theologe und Schriftsteller, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2019, Pb., 230 S., € 38,–, ISBN 978-3-374-06220-1
Der hier vorliegende Tagungsband ist Ergebnis eines Symposiums an der FTH Gießen vom Oktober 2018, zu dem Helge Stadelmann (FTH Gießen) und Peter Zimmerling (Uni Leipzig), mit dem Ziel einluden, auf den noch wenig erforschten Gießener Theologieprofessor (1731–1735) Johann Jakob Rambach aufmerksam zu machen. Durch Beiträge sowohl zu Rambachs theologiegeschichtlichen Wurzeln als auch zu deren Ausformungen auf dem Feld der Hermeneutik, Homiletik, Katechese, Moraltheologie und Hymnologie sollten das Wirken und die Persönlichkeit Rambachs als Teil der pietistischen Reformbewegung an Konturen gewinnen.
Frank Lüdke (EH Tabor/Marburg) gibt im ersten Beitrag einen Überblick über die damalige deutsche Universitätslandschaft, wo neun von 22 theologischen Fakultäten pietistisch geprägt waren. Ulrike Treusch (FTH Gießen) stellt anhand von Rambachs Vorreden zu eigenen Luthereditionen heraus, dass es ihm vor allem darum ging, Luther als Bibelausleger und Glaubenszeugen zur Sprache zu bringen. Rambachs Wurzeln bei Johann Arndt widmet sich der Beitrag von Athina Lexutt (Uni Gießen). Auch sie untersucht Vorreden Rambachs, allerdings zu Arndt-Editionen. Darin verteidigt er Arndt zunehmend verklärter. Er sieht die teilweise Berechtigung mancher Vorwürfe, rechtfertigt Arndt aber als wichtigen Erneuerer der Kirche, indem er lutherisches Erbe, die Früchte des Glaubens und eine gelebte praxis pietatis miteinander verknüpfte. Zur theologiegeschichtlichen Einordnung gehört auch Rambachs Stellung zur Frühaufklärung. Im Beitrag zu Rambach und den Sozinianern von Ralf-Thomas Klein (FTH Gießen) wird dargelegt, dass Rambach sich zeitlebens in beachtlichem Umfang mit der Abgrenzung zum Sozianismus beschäftigt hatte, insbesondere mit der Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung. In der Frühaufklärung sah Rambach einen Angriff auf den Kern des lutherischen Glaubens, die Schriftautorität. Hier ganz in der lutherischen Orthodoxie verwurzelt, geht Rambach aber über diese hinaus, indem er der Vernunft eine größere Bedeutung beimisst. Die biblische Offenbarung stehe zwar über der Vernunft, sie dürfe aber nicht gegen die Vernunft gebraucht werden. Rambach verweigerte sich einem „unvernünftigen“ Biblizismus.
Nach diesen theologiegeschichtlichen Einordnungen widmen sich die weiteren Beiträge einzelnen Themenfeldern Rambachs als „Praktischen Theologen“, so auch der Untertitel des Buches. Stadelmann untersucht Rambach als biblischen Exegeten und Hermeneut. Auf breiter Quellenbasis werden Rambachs Schritte in der Predigtvorbereitung entfaltet, so dass Zimmerling im folgenden Beitrag anerkennen muss: „Rambachs Homiletik enthält fast sämtliche Arbeitsschritte, die auch heute noch im homiletischen Seminar im Rahmen der wissenschaftlichen Ausbildung von Theologiestudierenden üblich sind (115).“ Stadelmann charakterisiert Rambach nicht nur als homiletischen Gelehrten, sondern auch als in der Bevölkerung beliebten Prediger: „Chrysostomus dieses Zeitalters“ (86) und würdigt Rambachs allerorts gepflegte diverse „collegia“, die auf die breite Bevölkerung zielten. In Zimmerlings Gegenüberstellung der Homiletik Rambachs und Zinzendorfs ragt Rambach als homiletischer Gelehrter heraus, während Zinzendorf der begnadetere und ausdifferenziertere Praktiker war. Wie überhaupt dieser Beitrag stärker Zinzendorfs als Rambachs Leistungen zu würdigen scheint, dem „Vollender und Überwinder des Pietismus“ (99), was gut und gern Gegenstand eines weiteren Symposiums sein könnte. Rambach als Pastoraltheologen widmet sich Klaus vom Orde (Sächsische Akademie der Wissenschaften, Leipzig). Er hatte im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus u. a. einen Auszug aus Rambachs Einführungsvorlesungen für Theologiestudenten in Gießen 1731/32 herausgegeben und entfaltet in seinem Beitrag über die Spiritualität im Theologiestudium, wie Rambach darin den Studenten gleichsam als spiritueller Meister anhand von Luthers oratio, meditatio und tentatio den Weg in die Tiefen geistlicher Erfahrungen weist und sich als Moraltheologe qualifiziert. Andreas J. Beck (Ev. Theol. Fakultät Leuven/Belgien) sieht denn auch in der nach Rambachs Tod 1738 veröffentlichten Moraltheologie eines seiner Hauptwerke, in dem er allerdings seine Gefahr einer zum Perfektionismus neigenden Heiligungslehre offenbart.
Rambachs Wirken als Katechet untersucht schließlich Stefanie Pfister (Uni Münster) anhand seines „Erbaulichen Handbüchleins für Kinder“ von 1734. Auch wenn Pfister hier durchaus eine Weiterentwicklung bisheriger Katechismen erkennen kann, kritisiert sie, dass Rambach hinter eigenen religionspädagogischen Forderungen und Franckes Applikationskonzept zurückbleibt. Schließlich untersucht die Marburger Musikwissenschaftlerin Daniela Wissemann-Garbe zwei von Rambach herausgegebene hessische Gesangbücher, die sich aber nicht durchsetzen konnten. Beachtung verdient die breite dogmatisch ausdifferenzierte Gestaltung der Liedauswahl. Die detaillierte Bestandsaufnahme überlässt es allerdings dem Leser herauszufinden, dass Rambach gegenüber dem Halleschen Gesangbuch Freylinghausens wieder verstärkt reformatorisches, aber auch in Hessen populäres Liedgut aufnahm. Als Entschädigung dafür, dass hier keine der 183 eigenen Dichtungen Rambachs eingehender untersucht werden, darf sich der Leser auf den letzten Beitrag freuen, wo der Uwe Swarat (TH Elstal) fragt, warum das bekannte Tauflied „Ich bin getauft auf deinen Namen“ sowohl in den Volkskirchen als auch in Kirchen mit ausschließlich praktizierter Erwachsenentaufe verbreitet und beliebt ist. Er führt es schließlich auf die Tauftheologie des Liedes zurück, in der Rambach die Taufe als gegenseitigen Bund von Gott und Mensch deutet.
Der Tagungsband gibt einen Einblick in das Leben und Werk Rambachs. Auf zahlreiche von Rambachs 119 Schriften und einige seiner 51 Editionsprojekte wird hier zumindest exemplarisch eingegangen. Die theologiegeschichtlichen Wurzeln bei Luther, Arndt und in Abgrenzung zur Frühaufklärung werden deutlich. Seine Hauptwurzel, der Hallesche Pietismus, klingt bei einigen Beiträgen zwar an, wird aber nicht eingehender thematisiert. An biographischen Untersuchungen hat Stadelmann einiges zusammengetragen, aber Rambachs Stellung innerhalb der pietistischen Bewegung in Halle, Jena und Gießen, sein Wirken als Herausgeber einer theologischen Zeitschrift u. v. m. bleiben noch weiteren Untersuchungen vorbehalten. Dass kein Beitrag den gegenwärtigen Forschungsstand zu Rambach skizziert oder eine Bestandsaufnahme zu leisten vermag, markiert ein Desiderat nicht nur dieses Bandes, sondern der Forschungslage insgesamt. Indem der Band in die Tiefe der Gedanken und Spiritualität eines kirchlichen Reformers einführt, macht er neugierig und schlägt zugleich Schneisen für zukünftige Untersuchungen.
Dr. Christoph Rymatzki, Pfarrer in Jena