Praktische Theologie

Peter Zimmerling: Mitten im Gelärm das innere Schweigen bewahren

Peter Zimmerling: Mitten im Gelärm das innere Schweigen bewahren. Aspekte mystischer Spiritualität im Protestantismus, Herrenalber Forum Band 79, 2. erweiterte Auflage, Karlsruhe: Evangelische Akademie Baden, 2019, Pb, 116 S., € 11,–, ISBN 978-3-89674-595-8


Mit seinem Vortrag bezüglich der aktuellen Diskussion um die Mystik wurde der Leipziger Theologe Peter Zimmerling mit dem 2014 Bad Herrenalber Akademiepreis gewürdigt, welcher das Gespräch zwischen Theologie und Gesellschaft fördern will. Anlässlich der Preisverleihung hielt Zimmerling einen Festvortrag, dessen Thema die unabwendbare Verbundenheit zwischen der innerlichen und äußerlichen Mystik betonte. Die beiden Beiträge, die er während seines Festvortrages geliefert hat, liegen jetzt in der Reihe „Herrenalber Forum“ vor, und werden in der jetzigen erweiterten Neuauflage des Bandes durch zwei weitere Beiträge ergänzt. Das Buch ist nicht nur einladend und überzeugend für diejenigen, die ohnehin schon ein Interesse an christlicher Mystik haben und sie zu schätzen wissen, sondern es ist auch gut geeignet als eine übersichtliche Orientierungshilfe für den christlichen Mainstream, der sich zunehmend nach vertiefter Spiritualität sehnt.

Im ersten Hauptteil stellt Pfarrer Max nach einer kurzen biografischen Zusammenfassung von Zimmerlings Leben dar, dass es in der evangelischen Kirche eine implizite Ablehnung gegenüber der Mystik gibt. Eine solche Einstellung wäre ein großes Defizit, weil Mystik nicht nur zum gelebten Glauben gehört, sondern diese Art von „Spiritualität könnte ein Beitrag sein zu einem guten Miteinander über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg“ (10). Im Sinne von einer wissenschaftlich begründeten und existenziell wichtigen Wiederherstellung einer Betonung der christlichen Spiritualität, unterstreicht er, wie nennenswert der langjährige Beitrag von Zimmerling bezüglich dieses Themas ist.

In seinem ersten Beitrag zeigt Zimmerling, dass obwohl der Alltagsbezug des Glaubens zum wahren Leben ein konstitutives Merkmal des Protestantismus schon immer gewesen war, es trotzdem eine eingewurzelte Skepsis gibt, in welcher, „die Beziehung zwischen Mystik und Protestantismus lange Zeit als Problemgeschichte“ sichtbar wird (17). Zimmerling betrachtet eine Trennung des Protestantismus von der Mystik als ausgeschlossen, da nach seiner Definition die Mystik die „erfahrungsbezogene Seite der Theologie“ ist (18). Er erklärt weiter, dass das Ziel der Mystik sich essenziell mit der Erfahrung und Begegnung Gottes beschäftigt, dabei notwendigerweise innerhalb einer gelebten, konfessionell bestimmten Religion verortet ist, und sich grundsätzlich am biblischen Wort und an der Person Jesu Christi orientiert (19–23).

Ohne eine tiefgreifende biblisch normierte theologische Reflexion mystischer Erlebnisse stehe man in der Gefahr, das rationalistische Unbehagen und die Kritik bezüglich der Glaubwürdigkeit und Authentizität einer subjektiv-emanzipierten Gotteserfahrung zu rechtfertigen. Dennoch. Der Schwerpunkt ist und bleibt es, den theoretischen Inhalt der christlichen Theologie praktisch zu erfahren, eine Gewissheit der Nähe Gottes zu lernen, und sich dann von dieser Erfahrung persönlich verändern zu lassen. So ein Ansatz hat den Vorteil die, „von Sehnsucht nach Erlebnissen geprägten Postmoderne“ (36) effektiv ansprechen zu können, sowie die, „die den Glauben nicht länger bloß denken, sondern mit allen Sinnen spüren wollen“ (37). Natürlich ist es sinnvoll achtsam damit umzugehen die Rolle von Erfahrung bezüglich einer privaten geistlichen Verwirklichung nicht zu übertreiben (39). Abschließend hebt Zimmerling hervor, dass die gewünschte Auswirkung einer gesunden mystischen Spiritualität zu einer Reife und Demut führt, weil in der Gegenwart Gottes uns seine „Fremdheit und Ferne“ bewusst wird (48).

Der dritte Hauptteil beschäftigt sich mit dem ehemaligen schwedischen Generalsekretär der UNO, Dag Hammarskjöld (1905–1961). Nach einer interessanten biografischen Skizze bringt Zimmerling vier Aspekte seiner persönlichen Spiritualität, die auch in die Gegenwart übertragbar seien, hervor. Erstens, Hammarskjöld, wie viele Mystiker vor ihm, praktizierte eine bewusste Strategie, weil es nur so möglich sei, „die leise Stimme Gottes zu hören, die sonst vom Lärm des Tages übertönt wird“ (80). Zweitens, betonte Hammarskjöld, dass Gott nur im Inneren des Menschen erfahrbar wäre (81). Drittens, der Höhepunkt dieser angestrebten Gotteserfahrung könne potenziell eine Einheitserfahrung mit Gott sein. Viertens, die Vollendung des mystischen Weges von Hammarskjöld kann auch das Martyrium zur Folge haben. Zum Abschluss bietet Zimmerling zwei bereichernde Impulse, die man von Hammarskjöld ableiten kann. Zum Ersten, schlägt Hammarskjöld eine notwendige Brücke zwischen einer abstrakten, dogmatischen Christologie zu einem verständlicheren und zugänglicheren Christusbild (87). Zum Zweiten gelingt es Hammarskjöld durch Worte und Taten eine Hingegebenheit des ganzen Lebens widerzuspiegeln, die eine notwendige Korrektur evangelischer Spiritualität repräsentiert (89).

Im vierten und letzten Hauptteil des Bandes fokussiert sich Zimmerling auf Martin Luther als Vater der evangelischen Mystik. Es wird deutlich, dass Luther die Mystik nicht abgelehnt hat, sondern im Gegenteil, er war ein tief von der Mystik geprägter Theologe (94). Aufgrund seiner Rechtfertigungslehre nimmt das Verständnis der Mystik bei Luther eine besondere reformatorische Gestalt an, welche sämtlichen Elitismus, sowie den Verdienst des Menschen ablehnt. Für Luther ist die Kluft zwischen Mensch und Gott nur durch Gottes barmherziges Handeln überwindbar. Die Betonung bei Luther liegt auf dem neuentdeckten Gottesbild vom nahen und liebenden Gott, der für alle Christen zugänglich geworden ist. Infolgedessen argumentiert Zimmerling abschließend, „dass Martin Luther mit Recht als Vater der evangelischen Mystik bezeichnet werden kann“ (112). Insgesamt bietet dieses kleine Buch als Einstieg in das Feld der Mystik, welches als ein tief im Christentum verwurzeltes Thema zu sehen ist, einen durchaus empfehlenswerten und geeigneten Einblick besonders für Leser, bei denen solche Überlegungen (noch) nicht auf der Tagesordnung stehen.


Dr. Dejan Aždajić, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Theologischen Hochschule, Gießen