Praktische Theologie

Gerhard Wegner: Wirksame Kirche

Gerhard Wegner: Wirksame Kirche. Sozio-theologische Studien (hg. vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2019, Pb., 428 S., € 30,–, ISBN 978-3-374-05630-9

Gerhard Wegner blickt als Gründungsdirektor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD in Hannover bilanzierend auf fast 15 Jahre Forschung zurück. Der Titel des Buches ist dabei Programm: Wegner treibt die Vision einer wirksamen Kirche an. Er beleuchtet Ergebnisse zahlreicher Studien – vornehmlich aus dem Sozialwissenschaftlichen Institut – und verbindet sie mit theologischen und organisationstheoretischen Überlegungen. Die meisten der dreizehn Beiträge beruhen auf früheren Publikationen des Autors. Sie sind in vier Gruppen (Wirksamkeit, Organisation, Religion / Mitglieder, Publikum, Plausibilität / Gemeinschaft, Kirchengemeinden, Netzwerke / Anstalt, Akteur, Vision) angeordnet, können aber auch gut einzeln sowie in anderer Reihenfolge gelesen werden. Hier sollen nun einige Themen angeführt werden, die sich durch das Werk hindurchziehen.

Kirche ist ein von Gott gewirktes Geschehen (18) und entsprechend unverfügbar (39f). Zugleich sollen aktiv Ziele angestrebt und nach der Wirksamkeit der Kirche – die sich in der Konkurrenz behaupten muss – gefragt werden. Passivität und Kreativität schliessen sich nicht aus (72, mit Bezug auf Eberhard Jüngel): Als von Gott „Ergriffene“ können Menschen Freiheit erleben und ihr emergierendes Handeln aus Liebe kann äußerst wirksam sein. (z. B. 66, 142, 329, 341f, mit Bezug auf Hans Joas).

Viel Raum gibt Wegner dem Diskurs zur fünften Kirchenmitgliedschafts­untersuchung der EKD (KMU V), in deren wissenschaftlichem Beirat er Mitglied war, und zeigt die Normativität darin auf. Die „vernetzte Vielfalt“ (Überschrift Berichtband KMU V) ist nicht ein Befund, sondern vielmehr ein Wunsch für die Kirche, den Wegner kritisch hinterfragt. Wenger selbst betont, dass sich die Kirche reproduzieren muss. Dies ist herausfordernd in einer Zeit, in der es „keine nichtreligiösen Gründe mehr gibt, sich zu einer Religion zu bekennen“ (124, 130 und 152, Niklas Luhmann zitierend). Das klassische liberale Paradigma, wonach Kirche dazu da sei, die Nachfrage von Personen zu decken, passt gemäss Wegner nicht zur Kirche in der heutigen Zeit. Vielmehr muss die Kirche heute das Bedürfnis nach sich selbst zuerst erzeugen. Sie muss Gelegenheiten dafür schaffen, dass Menschen mit der religiösen Atmosphäre in Berührung kommen (211). Diese erleben Menschen nicht primär intellektuell, sondern ästhetisch, leibhaft. Gemäß Studien spielen auch Begegnungen mit Pastor/innen oder weiteren Mitarbeitenden eine wichtige Rolle.

Die KMU V lässt die Bedeutsamkeit der Kirchengemeinden sichtbar werden. Personen, die enger mit Gemeinden verbunden sind, weisen eine erhöhte religiöse Kommunikation (Korrelationskoeffizient: 0.81. S. 268) auf und sind ein „Kernpotential der Kirche“ (411). Wegner benennt eine Stärke von Gemeinden: die Gemeinschaft. Zugleich weist er auf die Gefahr hin, die mit ihr verbunden ist: In der Zufriedenheit mit der starken Gemeinschaft in der Mitte der Gemeinde, kann die Kommunikation mit den Rändern und Außen vernachlässigt werden (260). Doch Gemeinden können ihren Sozialraum wahrnehmen und sich als „Caring Communities“ (299) an der Gemeinwesenarbeit beteiligen. Dabei wird das „Faith Capital“ (Glaube, der zu Engagement führt. S. 289 und 328. Begriff aus England übernommen) wirksam. Für die Inklusionsthematik hat die Kirche besondere Ressourcen, denn die Erfahrung des „kontingenten Handelns“ Gottes hilft, eigene Normalitätsvorstellungen nicht zu überhöhen (322). Das Skandalon des Kreuzes hat höchste Inklusionskraft (162). Das christliche Profil der Diakonie wird in der Art und Weise, wie Diakonie gelebt wird, sichtbar. Mitarbeitende können ihre Arbeit als Berufung, als „Gottesdienst im Alltag“ (196), erkennen und leben. Es soll eine Atmosphäre geschaffen werden, in der die „dritte Dimension“ (Gott) erfahrbar wird. Dass Menschen diese Triangulation vornehmen können, ist auch zentral für die Mitgliederbindung: Empirisch zeigt sich, dass die „Einstellung zu Religion und Glaube“ der Menschen der wichtigste Faktor für die Bindung und aktive Beteiligung in der Kirche ist (203). Ob Personen jedoch (religiöse) Erfahrungen christlich deuten, hängt stark von ihrer Sozialisation ab (144). Wesentlich für die Sozialisation sind die Eltern. Kirche soll entsprechend auch besonders in der Familienarbeit aktiv sein.

Wegner steht kritisch zum aktuellen Umbau der Kirche mit einer Ressourcenverschiebung von der Kirchengemeinde zur mittleren Ebene (Kirchenkreis). Unter anderem wird damit das ehrenamtliche Engagement geschwächt (382). Nachteilig auswirken würde sich auch, wenn die Kindertagestätten nicht mehr Teil der Gemeinden wären. Denn sie sind „Knotenpunkt[e] der Kommunikation“ zwischen unterschiedlich stark mit der Kirche verbundenen Personen (258. Vgl. 299). Wegner sieht in Kirchenkreisen durchaus unterstützendes Potential. Noch mehr Potential sieht er jedoch in der Arbeit in „Regionen“, die „von unten her“ gebildet werden (387). Die Innovationskraft will er jedoch nicht an einer Ebene festmachen, vielmehr seien einzelne „burning people“ Innovatoren (285).

Zum Abschluss des Werks provoziert Wegner mit einem Ansatz zur Strukturveränderung: Die Kirche als Anstalt ist hinderlich für die Reproduktion. Anzustreben ist vielmehr eine genossenschaftliche Kirche: Menschen sollen aktiv teilhaben und gemeinschaftlich Verantwortung übernehmen können. Wegner wagt dabei auch konkrete Vorschläge, wie beispielsweise, die Kirchensteuer in Genossenschaftsanteile umzuwandeln (422).

Fazit: Das Buch liest sich mit Gewinn. Dass soziologische und theologische Perspektiven zusammenkommen, ist eine besondere Stärke des Werks. Die nüchterne und positive Grundstimmung ermutigt zur Vision einer wirksamen Kirche. Die Beiträge regen zur Diskussion an. Auch gerade in der aktuellen Debatte um die „Zukunftsprozesse“ der EKD können sie interessant sein. Und das Buch inspiriert zum Weiterdenken. Ein weiteres Thema könnte beispielsweise die Rolle digitaler Kommunikation in einer wirksamen Kirche sein.

Das Werk ist allen zu empfehlen, die sich mit Kirchenentwicklung beschäftigen –insbesondere in der evangelischen Kirche in Deutschland, aber auch darüber hinaus.


Daniela Seibert lic. theol., Doktorandin Praktische Theologie, Universität Zürich