Philipp Bartholomä: Freikirche mit Mission
Philipp Bartholomä: Freikirche mit Mission. Perspektiven für den freikirchlichen Gemeindeaufbau im nachchristlichen Kontext, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2019, Pb., 640 S., € 44,–, ISBN 978-3374061617
Der Theologieprofessor Philipp Bartholomä hat mit dem Buch „Freikirche mit Mission“ eine leicht überarbeitete Fassung seiner „Postdoctoral Thesis“, die 2018 an der Faculty of Religion and Theology an der Vrijen Universiteit Amsterdam angenommen wurde, veröffentlicht. 13 Jahre lang war er freikirchlicher Pastor im pfälzischen Landau und lehrt inzwischen Praktische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule in Gießen.
Die empirische Studie zum missionarischen Gemeindeaufbau will eine Brücke zwischen akademischer Reflektion, ekklesiologischem und missiologischem Sachverhalt und missionarischer Praxis in den Freikirchen im Kontext einer nachchristlichen Gesellschaft schlagen (9.) Der Autor will deshalb bewusst nicht nur Akademiker, sondern auch (frei-)kirchliche Verantwortungsträger erreichen. Bartholomä hat dafür den Johann-Tobias-Beck-Preis des Arbeitskreises für evangelikale Theologie erhalten.
Das Buch umfasst neun Kapitel. In der Einleitung stellt der Autor die Freikirchen als Forschungsgegenstand dar. Dabei lautet die Ausgangsthese, dass sich auch die Freikirchen in einer „Krise der Mission“ (38) befinden. Laut Statistik wachsen die Freikirchen kaum oder gar nicht. Wobei der Fokus im Wesentlichen auf den klassischen bzw. größeren Gemeindeverbänden liegt (30). So werden beispielsweise die russlanddeutschen Gemeinden mit über 1000 Freikirchen, die die größte Bewegung der Freikirchen in Deutschland bilden, nur rudimentär erwähnt, wobei dies dem Umstand geschuldet sein könnte, dass sich solche Gemeinden kaum erfassen und empirisch untersuchen lassen. Ziel der Studie ist „den Herausforderungen als auch der tatsächlichen missionarischen Praxis von Freikirchen in Deutschland angesichts der nachchristlich-säkularen Rahmenbedingungen auf den Grund zu gehen“ (52).
Mit dem zweiten Kapitel wird eine ekklesiologische Identität der Freikirchen aus der Entstehungsgeschichte skizziert. Freikirchen sind im Kontext und als Konterpart zur Volkskirche in Deutschland entstanden. Dieses Kapitel bietet einen hervorragenden Überblick und Einblick für Kirchengeschichtsinteressierte, die bisher die freikirchliche Landschaft nicht gekannt haben. Der Nährboden für die Entstehung der Freikirchen seien einerseits die erwecklichen Strömungen innerhalb der Volkskirchen und andererseits der Antagonismus zu den etablierten Kirchen gewesen. Der große gesellschaftliche und kirchliche Druck auf die Freikirchen habe zu „einem widersprüchlichen Spektrum zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Elitebewusstsein“ (89) geführt. Die zunehmende Entchristlichung und Entkirchlichung haben den missionarischen Eifer freikirchlicher Strömungen als Antityp und Alternative zur Volkskirche begünstigt. Dennoch seien die Freikirchen in Deutschland immer in der Minderheit geblieben und in der Regel auf dem Boden christlich-kirchlicher Vorprägung durch den landeskirchlichen Einfluss auf die Gesellschaft gewachsen. Dem Autor stellt sich in seinen Implikationen die Frage, wie sich diese zunehmend fehlende Prägung auf die Mission der Freikirchen auswirken wird.
Deshalb widmet er sich in seinem nächsten Kapitel der Theorie einer sozialen Identität, damit die Prozesse der Differenzierung zwischen Eigen- und Fremdgruppen einen Verständnisrahmen für die heutigen Freikirchen bilden (149). Freikirchen seien aufgrund des kontextuellen Rahmens heute herausgefordert nicht nur in Abgrenzung und aus der Opposition heraus zu agieren. Sie müssten, wie im vierten Kapitel mit Hilfe aktueller Studien und empirischer Ergebnisse dargestellt, dem religiösen Pluralismus und der fortschreitenden Säkularisierung etwas entgegenhalten und anbieten können. Der kanadische Philosoph Charles Taylor habe festgehalten, dass die westliche Gesellschaft sich nicht im Zeitalten des „wachsenden Unglaubens“, sondern im „veränderten Glaubens“ befindet (231). Bartholomä hält fest: „Und schließlich stehen Freikirchen vor der Frage, wie ein missionarischer Gemeindeaufbau in Zukunft aussehen muss, wenn er im vielgestaltigen, pluralistischen Klima der Postmoderne einerseits den Befindlichkeiten der Menschen zugewandt und dennoch theologisch verantwortet und nicht kulturell beliebig sein will.“ (232).
In Kapitel fünf werden einige neuere Konzepte des Gemeindeaufbaus vorgestellt. Dazu gehören das Konzept des „sucherorientierten Gottesdienstes“ von Willow Creek, die Bewegung der emergent-missionalen Konversation, die Fresh-X-Bewegung, die Konzepte der Church after Christendom und Center Church. Dem Autor ist es bewusst, dass er selektiv nur einzelne Vertreter vorgestellt hat. Als Leser kann man weitere Modelle wie die Saddleback Church mit Rick Warren oder LifeChurch mit Craig Groeschel vermissen.
Im zweiten Teil des Buches ab Kapitel 6 werden nach der analytischen Forschung die empirischen Ergebnisse vorgestellt und ausgewertet. Das Mixed-Method-Design der explorativen Studie eignet sich hervorragend als Forschungsdesign und liefert verlässliche Ergebnisse, die wegweisend für eine missionarische (Frei-)Kirche im 21. Jahrhundert sein können. Mit der notwendigen Akribie werden im siebten Kapitel die Ergebnisse einer quantitativen Onlinebefragung von Mitgliedern freikirchlichen Gemeinden vorgestellt. Das Ergebnis ist erhellend. Freikirchen erreichen überwiegend Menschen mit einer christlich-kirchlichen Vorprägung. Der attraktive Gottesdienst erleichtert es den Mitgliedern, Gäste mitzubringen. Auch das Zueinander von Bezugsperson und der Veranstaltung in der Gemeinde sind für Außenstehende relevant.
Anhand von zwei freikirchlichen Beispielen nach der Methodik des Case Study Research werden im achten Kapitel Möglichkeiten einer missionarischen Gemeindeaufbauarbeit im nachchristlichen Kontext vorgestellt. Eine Gemeinde befindet sich im Westen Deutschlands, die andere ist eine junge Gemeindegründung im Osten Deutschlands. Beide Gemeinden werden anonym unter der Bezeichnung „Kirche für Andere“ und „Kirche für die Stadt“ besprochen. Hilfreich ist nicht nur die Darstellung, sondern auch insbesondere die 16 fallübergreifenden Ergebnisse und Implikationen. Hier liefert der Forscher ein hilfreiches Instrument für jede Gemeinde, die sich missionarisch engagieren will. Eine konservative theologische Haltung ist dabei nicht hinderlich. Gefragt sind unter anderem persönliche und freundschaftliche Beziehungen zu Nichtchristen, eine einladende und offene Gemeindekultur und ein evangelistischer Gottesdienst.
Im letzten Kapitel formuliert Bartholomä zusammenfassende Reflexionen auf dem Weg zu einer missionarischen Ekklesiologie für Freikirchen und bringt sein Anliegen auf den Punkt. Freikirchen müssen sich im nachchristlichen Zeitalter aus sozialpsychologischer und identitätstheoretischer Perspektive neu definieren und positionieren und positive Handlungsstrategien für ihre missionarischen Ziele formulieren. Ein wichtiger Bestandteil neben den persönlichen Beziehungen ist ein ansprechender Gottesdienst. Außerdem bedarf es eines kontextuell unterfütterten Mentalitätswandels in dem das missionarische Anliegen nicht gedacht, sondern auch gelebt wird.
Abschließend lässt sich sagen: Wer diese Studie mit Interesse und aufmerksam gelesen hat, wird nicht nur gut informiert, sondern auch motiviert Mission nicht nur als Krise, sondern auch und erst recht als Chance im 21. Jahrhundert sehen. Deshalb wäre es empfehlenswert, wenn Freikirchen dieses Buch auf Pastorentagungen gemeinsam diskutieren und ihrem Kontext adaptieren würden. Ich wünsche diesem Buch eine weite Verbreitung, nicht nur im akademischen Kontext.
Dr. Heinrich Derksen, Schulleiter am Bibelseminar Bonn, Köln