Praktische Theologie

Michael Domsgen: Religionspädagogik

Michael Domsgen: Religionspädagogik, LETh 8, Leipzig: Evangelische Verlags­anstalt, 2019, geb., XVI+589 S., € 48,–, ISBN 978-3-374-05490-9


Das vorliegende Buch Religionspädagogik von Michael Domsgen, Prof. für ev. Religionspädagogik der Martin-Luther Universität in Halle-Wittenberg, ist Bestandteil des insgesamt zehnbändigen Lehrwerks Evangelische Theologie, welches Theologie- und Lehramtsstudenten sowie einer an Theologie interessierten Leserschaft „gegenwartsbezogenes theologisches Grundwissen“ (v) vermitteln möchte. Dem Anspruch+ eines klar strukturierten Aufbaus und einer Sprache, „bei der Fachterminologie und gutes Deutsch zusammenfinden“ (V) wird das vorliegende Werk vollständig gerecht. An entsprechenden Stellen werden Fachbegriffe erläutert und Sachverhalte anhand von Schaubildern verdeutlicht. Für den interessierten Leser bieten die weiterführenden Literaturangaben am Ende eines jeden Kapitels sowie die 50seitige Bibliografie Informationen zum Weiterstudium. Inhaltlich beschreibt Domsgen sein Werk als „kontextuelle Religionspädagogik“ (XV) mit dem Ziel, „gegenwärtige Entwicklungen sensibel wahrzunehmen, vor dem Hintergrund klar zu definierender Kriterien zu deuten, um handlungsorientierende Impulse geben zu können“ (XV).

Im ersten Kapitel werden zunächst wichtige Inhalte und Begriffe geklärt und Religionspädagogik als „die Theorie religiösen Lehrens und Lernens im Modus von Bildung, Erziehung und Sozialisation in evangelischer Perspektive im Horizont christlich motivierten Empowerments“ (16) vorgestellt. Religionspädagogik ist für Domsgen ein „theoriegeleitetes Praxisfach, insofern sie als wissenschaftliche Reflexion auf eine herausfordernde Praxis Bezug nimmt (Wahrnehmung), sie interpretiert (Deutung) und mit dieser Theorie diese Praxis anleiten und verbessern will (Handlungsorientierung)“ (21).

Im zweiten Kapitel entfaltet Domsgen einen problemgeschichtlichen Überblick über die Entstehung und Entwicklung religionspädagogischer Gedanken und Ansätze in ihrem jeweiligen historischen Bezug. Ziel ist nicht einfach Wissensvermittlung, sondern vor dem Hintergrund der Geschichte, „gegenwärtige Entwicklungen und Herausforderungen besser zu verstehen und so für wesentliche Fragen und Themen sensibilisiert zu werden“ (25). Beginnend bei den alt- und neutestamentlichen Formen religiösen Lernens, zeigt er die wichtigsten Entwürfe christlichen Lernens bei den Kirchenvätern, im Mittelalter, der Reformation bis hin zur Entstehung der Religionspädagogik als eigenständige Forschungsdisziplin im 20. Jh. auf. Einen besonderen Schwerpunkt erhalten die unterschiedlichen Entwicklungen der Religionspädagogik nach der Ablösung der dialektischen Theologie in der BRD und DDR bis zur Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990. Besonders zu würdigen sind die fokussierenden Zusammenfassungen nach jedem Abschnitt.

In einem dritten Kapitel stellt Domsgen zunächst aktuelle Konzepte und Ansätze der Religionspädagogik dar, und deutet sie jeweils in Zuordnung und als Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen. Damit erschließt sich dem Leser ein Verständnis über die inhaltliche Darstellung hinaus für das Warum‘ und ‚Wozu‘ eines jeden Ansatzes. Angesichts der Gesamtkonzeption dieses Bandes und vor dem Hintergrund einer auf den Lernort ‚Gemeinde“ ausgerichteten Handlungsperspektive vermisst man hier den Blick auch auf gemeindepädagogische Ansätze. In einem zweiten Teil dieses Kapitels liefert Domsgen unter den Stichworten Optionsgesellschaft, Säkulare Gesellschaft und Mediengesellschaft hilfreiche Kategorien zur Kulturanalyse. Bemerkenswert ist, dass hier u. a. das Werk von Charles Taylor A Secular Age für die Religionspädagogik fruchtbar gemacht wird. Als wichtige „Neujustierungen“ in der RP beschreibt Domsgen abschließend die Aufgabe, Heterogenität wahrzunehmen, Inklusion zu ermöglichen und Relevanz aufzuzeigen.

In Kapitel 4 folgen systematische Überlegungen, die nach „Inhalt, Ziel und Aneignungsmodus christlich motivierter Lernprozesse“ (245) fragen. Inhaltlich dient ihm die Kurzformel „Kommunikation des Evangeliums“ als geeigneter Leitbegriff, die „Kontur“ christlicher Lerninhalte zu beschreiben (255). Dabei ist „Evangelium“ für Domsgen nicht ‚material‘ zu fixieren, sondern als ‚Ereignis‘ zu beschreiben, in welchem Kommunikation eine konstituierende Rolle spielt (257). Damit ergibt sich für die Religionspädagogik: „Die Inhalte christlich motivierten Lehrens und Lernens liegen nicht ein für alle Mal fest, sondern sind immer mit Blick auf bestimmte lebensgeschichtliche Situationen und kontextuelle Herausforderungen zur profilieren“ (263). In Hinblick auf die Zielperspektive christlichen Lernens und Lehrens dient ihm der in der Religionspädagogik etablierte Begriff von ‚Bildung‘, der im Unterschied zu Erziehung und Sozialisation, „die selbstreflexive und intrinsische Seite von Lernprozessen betont“ (268). In der Frage nach dem Modus werden dem Leser signifikante Impulse aus der Lerntheorie, Entwicklungspsychologie und Sozialisationstheorie erschlossen. Besonders hervorzuheben sind hier die unter Bezugnahme auf Büttner / Dieterich (2012) dargestellten Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie, die einen Paradigmenwechsel beschreiben, der in der Religionspädagogik weitreichende Beachtung verdient.

Besonders an Domsgens Verständnis von Religionspädagogik ist die Verknüpfung mit dem Gedanken von ‚Empowerment‘ (Kap 5). Diesen ‚neuen‘ Leitbegriff sieht er nicht „in Opposition zum Bildungsbegriff, sondern vielmehr als erweiternde Perspektive“ (346). Er ist für Domsgen zurückzuführen auf den Gedanken des Priestertums aller Gläubigen (362) und bietet die Möglichkeit innerhalb der Religionspädagogik „sowohl die grundlegenden Perspektiven aufzunehmen, die mit dem Bildungsbegriff theologisch wie pädagogisch beschrieben werden können, als auch über die damit verbunden Begrenzungen herauszuführen und erhellend für gegenwärtige Herausforderungen zu sein“ (343). Inhaltlich macht er damit deutlich, „dass christlich motivierte Lernprozesse ‚transformierende Prozesse‘ sind, die letztlich auf die Bewältigung des Lebens ausgerichtet sind“ (366). Als Modi des Lernens greift der Autor die Kategorien des Lehrens und Lernens, des gemeinschaftlichen Feierns und des Helfens zum Leben aus, wie sie von Grethlein (2004) entfaltet werden.

Die handlungsorientierten Perspektiven (Kap 6) stellen mit insg. 140 Seiten einen erheblichen Teil dieses Lehrwerkes dar. Inhaltlich bezieht sich dieses Kapitel auf die klassischen Lernorte Familie, Gemeinde und Schule. Inhaltlich geht es nicht um „bloße Anwendung vorab fixierter Grundsätze“ (380), sondern um eine handlungsorientierte Theoriebildung, die von einer bestimmten Praxis her denkt und in zirkulärer Anwendung der Schritte Wahrnehmen, Urteilen, Handeln auf deren Verbesserung zielt (381). Zu allen drei Lernorten werden dem Leser grundlegende und aktuelle Inhalte präsentiert, die für die Praxis bedeutsame Anregungen liefern.

Da für Domsgen Religionspädagogik eine Disziplin ist, die sich nicht nur als Wahrnehmungswissenschaft versteht, sondern „als Handlungswissenschaft immer auch der Anregung und Verbesserung von am Evangelium orientierten Lernprozessen verpflichtet“ (8) weiß, wäre dieser Religionspädagogik zu wünschen, dass sie sich als Standardwerk in der die evangelischen Bildungsarbeit etabliert. In klar evangelischer Ausrichtung schärft diese Veröffentlichung den Blick für die religionspädagogische Praxis und liefert hilfreiche Kategorien diese wahrzunehmen, zu beurteilen und so zu einer verbesserten Praxis zu kommen.


Judith Hildebrandt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Theologischen Hochschule Gießen