Praktische Theologie

Johannes Zimmermann: Gemeinde, Mission und Transformation

Johannes Zimmermann: Gemeinde, Mission und Transformation. Beiträge zur Gemeindeentwicklung, BEG 30, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2020, Pb. 212 S., € 45,–, ISBN 978-3-7887-3441-1


Johannes Zimmermann, seit 2017 Professor an der Ev. Hochschule Tabor in Marburg, legt mit diesem Band 12 Beiträge zum missionarischen Gemeindeaufbau vor. Neben grundsätzlichen Überlegungen zum Gemeindeverständnis bedenkt er immer wieder die Postmoderne und ihre Folgen für sein Themenfeld. Dabei werden wichtige Aspekte der aktuellen Debatten um die Pluralitätsfähigkeit der Gemeinde, Inkulturation, fresh expressions of church, Kurse zum Glauben, Gesellschaftstransformation, Migration und Strukturanpassungen aufgrund des Mitgliederrückgangs der Kirche in biblisch-reformatorischer Perspektive diskutiert. Zimmermann will über die „empirische Expertise“ hinaus „theologische Orientierung“ bieten (15). Die häufig bereits veröffentlichten Aufsätze wurden bearbeitet und durch einleitende und querverweisende Anmerkungen stärker miteinander verwoben. Dadurch werden Redundanzen weitgehend vermieden und rote Fäden durch die verschiedenen Themen deutlicher sichtbar als bei reinen Aufsatzsammlungen. Die „Beiträge zur Gemeindeentwicklung“ zeichnen sich dadurch aus, dass sie bei aller wissenschaftlichen Dignität keine rein akademischen Diskurse bedienen, sondern in konkreten kirchlichen Aufgabenstellungen verwurzelt und durch Erfahrungen des Verfassers geerdet sind. Seine Tätigkeiten im Greifswalder „Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung“ und als württembergischer Pfarrer werden hier spürbar.

Im ersten Abschnitt bedenkt Zimmermann „Gemeinde als Gemeinschaft“. Darin entfaltet er „1. reformatorische und biblische Impulse zum Verständnis von Gemeinde“, die er von Jes 55,10f her als creatura verbi (21) und mit CA VII (22) als „Versammlung der Gläubigen“ definiert. Von da aus legt er mit guten biblischen Argumenten großen Wert darauf, dass Gemeinde immer auch „Gemeinschaft“ ist (24ff) und diese Koinonia im Gemeindeaufbau zu gestalten ist (26ff).

Wie dies unter den Bedingungen der Postmoderne geschehen kann, entfaltet Zimmermann im 2. Kap. unter Rückgriff auf seine Habilitationsschrift, vor allem wenn es um das Verhältnis von „Sozialität und Individualität“ geht (41ff), die er nicht gegeneinander, sondern in „unentflechtbarer Wechselwirkung“ (54) stehen sieht.

In Abschnitt B geht es im 3. Kap. vor allem um das Grundverständnis von „Mission“, „Evangelisation“ und „Diakonie“ und ihr Verhältnis zueinander. „Evangelisation ist die Verkündigung des Evangeliums als Teilbereich der Mission und zugleich das Herzstück der Mission: Die auf die Resonanz des Glaubens zielende Kommunikation des Evangeliums die auch Umkehr und Konversion einschließt“ (62). Den Ursprung der Diakonie verortet er nicht nur theoretisch-theologisch in der missio Dei, sondern konkret im Gottesdienst der Gemeinde (63).

Im 5. Kap. nimmt Zimmermann die missionarischen Impulse der anglikanischen Kirche auf („church planting“, „fresh expressions of church“ im Rahmen einer „mixed economy“). Dabei legt er darauf Wert, dass neben die notwendige und in diesen neuen Gemeindeformen auch gelebte Inkulturation des Evangeliums (78f) auch die „Konter-Kulturation“ tritt, so „dass die jeweilige Kultur vom Evangelium her neu gestaltet und verändert wird“ (80). Dieser Aspekt, den Zimmermann im Anschluss an G. Wegner auch für den Milieubezug kirchlicher Praxis entfaltet (81), scheint mir in den bisherigen milieuorientierten Konzepten zu wenig beachtet zu sein.

Im 6. Kap. werden „Kurse zum Glauben“ in ihrer geschichtlichen Entwicklung systematisiert und auf ihre gegenwärtige Relevanz befragt. Zimmermanns Optimismus aus dem Jahr 2014, dass „Kurse zum Glauben“ „so selbstverständlich wie Konfirmandenunterricht“ werden (98f), kann ich Mitte 2020 leider nicht mehr teilen.

Die beiden Beiträge im Abschnitt C knüpfen an die innerevangelikale Debatte um die Notwendigkeit einer „Gesellschaftstransformation“ durch die christliche Gemeinde an. Diese stellt Zimmermann im 7. Kap. in den ökumenischen Horizont befreiungstheologischer Ansätze der 1960er Jahre (hier: in Süditalien). Dabei weist er eine rein funktionale Ekklesiologie („nur für andere“) zurück, weil die Kirche als „Ort der Gegenwart der Herrschaft Gottes“ auch einen Selbstzweck hat (120). Insofern gehören für ihn Reich Gottes, Volk Gottes und der einzelne Gläubige zu den sich ergänzenden Dimensionen von Gemeindeaufbau, Diakonie und Evangelisation (123).

Danach nimmt Zimmermann im 8. Kap. „Impulse von und Anfragen an die Transformationstheologie“ auf, die er in einen weiten politischen, ökumenischen und Lausanner Diskurs um politische Weltveränderung zur „Befreiung der Unterdrückten“ (128) einzeichnet. Er sieht den „Sitz im Leben“ der neueren innerevangelikalen Debatte in einer „christlichen Subkultur“ (134), die den diakonischen Auftrag Jesu zurecht wieder neu entdeckt (143), allerdings in der Gefahr steht, „Vorletztes“ und „Letztes“ (138) bzw. die beiden Regierweisen Gottes in Kirche und Staat (139) nicht mehr zu unterscheiden und sich sowohl praktisch als auch theologisch in seinen Möglichkeiten zu überschätzen (138.141).

In Abschnitt D wird im 9. Kap. die „Migration als Herausforderung für die Zukunft christlicher Gemeinde“ bedacht. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegung der letzten Jahre diskutiert Zimmermann u. a. das Verhältnis von Integration und Selbständigkeit fremdsprachiger bzw. kulturell anders geprägter Christen. Seine Grundüberzeugung: „Die Zusammengehörigkeit und Identität in Christus übersteigt geschlechtliche, nationale und kulturelle Identitäten“ (161).

Während bisher unterschiedliche Gemeindeformen unter missionarischen Gesichtspunkten in den Blick kamen, geht es nun in Abschnitt E um „Profilgemeinden“ (Kap. 10) und um „die Parochie … ergänzende Formen“ in landeskirchlichen Strukturdiskussionen und Veränderungsprozessen, die seit „Kirche der Freiheit“ (2006) an Dynamik gewonnen haben (Kap. 11). „Kirche bei Gelegenheit“ (Nüchtern) oder „Kirchliche Orte“ (Pohl-Patalong) heißen die Schlagworte, ergänzt durch das Personalgemeindemodell der Bremischen Kirche und postmodere Impulse zu netzwerkartigen Kirchengebilden, die Zimmermann in Relation zu den Stärken und Schwächen der Parochie (179f, 182f) und auf ihre Praktikabilität für den Gemeindeaufbau hin befragt. Wie an vielen anderen Stellen plädiert er für ein „sowohl als auch“, da er mit CA VII und 1Kor 3,11 die Treue zum Evangelium und zum Bekenntnis als notwendiges Kontinuum der Gemeinde sieht (178), der eine Vielfalt an Formen gegenübersteht, die „daran zu messen [sind], ob sie dem Gemeindeaufbau dienen“ (179).

Im 12. Kap. will Zimmermann „pastorale Impulse zum Umgang mit der derzeitigen, eher durch ‚Rückbau‘ als durch Aufbruch gekennzeichneten Situation“ (18, 165) der Großkirchen geben, die praktisch auf die Chancen regionaler Zusammenarbeit verweisen und theologisch (mit B. Krause) an den Verheißungscharakter des Evangeliums erinnern, wonach „die Gemeinschaft des Glaubens, die Kirche, nicht ohne sichtbare Anzeichen der in ihr schöpferisch wirksamen Verheißungen Gottes sein“ kann (197).

Insgesamt bietet Zimmermann eine gute Übersicht über aktuelle Herausforderungen des missionarischen Gemeindeaufbaus und sehr abgewogene biblisch-reformatorische Einschätzungen. Weil er den jeweiligen Fragen auf den Grund geht, bieten seine Lösungswege auch dann noch Orientierung, wenn sich die Aktualität der praktischen Probleme verschoben hat.


Dr. Wolfgang Becker, Vorstand der Stiftung Hensoltshöhe, Gunzenhausen