Altes Testament

Wolfgang Köhler: Die Verstocktheit Israels im Jesajabuch

Wolfgang Köhler: Die Verstocktheit Israels im Jesajabuch. Studie eines theologischen Motivs, Berlin: LIT, 2019, Pb., IX+314 S., € 44,90, ISBN 978-3-643-14490-4


Wolfgang Köhler widmet sich in seiner von Prof. Manfred Oeming betreuten und an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommenen Dissertation den Texten im Jesajabuch, die sich auf den sogenannten „Verstockungsauftrag“ (Jesaja 6,9–10) beziehen oder für das Verständnis des damit verbundenen Themas besonders relevant sind. Er möchte dabei einerseits das ganze Buch im Blick behalten, es andererseits aber in seiner redaktionsgeschichtlich differenzierten Entstehungsgeschichte ernst nehmen.

Dazu arbeitet Köhler zunächst im 2. Kapitel schön die Probleme um die Verwendung der Begriffe von „Verstockung“ (Prozess oder Handlung) bzw. „Verstocktheit“ (Zustand) im Deutschen heraus, die die Breite der Lexeme im Hebräischen nicht abbilden. Leider hat Köhler um der Konventionen willen sich entschlossen, diese Unterscheidung in seinem Buch nicht durchgehend zur Anwendung zu bringen. Sie hätten einen enormen Gewinn sprachlicher Präzision gebracht – in Bezug auf das Thema im Jesajabuch, wie auch im weiteren Verlauf des 2. Kapitels zur Diskussion der Lexeme und Verben für Verstocken im Alten Testament und zur Verstockung des Pharao.

Im 3. Kapitel stellt Köhler einige Forschungsarbeiten zur Verstockung im Jesajabuch vor und es wird gut die Berechtigung für eine erneute Beschäftigung herausgearbeitet: Er möchte die theologische Bedeutung erschließen; in Jes 1–39 verdienen weitaus mehr Texte genauere Betrachtung; es bedarf einer intensiveren Korrelation von diachronen und synchronen Fragen.

Im 4. Kapitel skizziert Köhler unter Bezug auf einige wenige, aber gewichtige redaktionsgeschichtliche Arbeiten seine Sicht auf die Entstehung des Jesajabuches: demnach sind die Kapitel Jes 40–66 auf jeder Stufe ihrer Entstehung als Fortsetzung zu Jes 1–39 konzipiert, wobei auch Jes 40–55 nicht einheitlich sind, sondern in einem mehrstufigen Prozess entstanden. Für die weitere redaktionsgeschichtliche Arbeit am Jesajabuch stellt dieser Vorschlag einen beachtenswerten Beitrag dar, auch wenn Köhler keine genaue Bestimmung zu Umfang und theologischer Konzeption der jeweiligen Redaktionsschichten liefert.

Nach Begründungen zur Auswahl der Texte (Kapitel 5) untersucht Köhler im Hauptteil (Kapitel 6) folgende Texte: Jes 1,2–9; 6; 8,11–20; 20,9–24; 32,1–8; 35; 40,1–11; 42,18–25; 55,6–13; 57,14–19; 59,1–21; 63,7–64,11. Dabei folgt er weitgehend den Schritten: Übersetzung, Textkritik (z. T. mit Ausführungen zu umstrittenen Wortbedeutungen und Übersetzungen), Struktur und Textabgrenzung, Synchrone Analyse, Diachrone Analyse und Theologischer Ertrag. Daraus ergibt sich für Köhler, dass Verstockung im Jesajabuch Teil des Gerichtsvollzugs für die „unreinen Lippen“ des Volkes (Jes 6,5) ist: Gott wirkt sie temporär, um zu einer tiefgreifenden Reflexionsphase zu nötigen, die zur Umkehr führen soll. Mit Jes 8,17 hatte der Prophet Hoffnung für sein Volk über das Gericht hinaus. Des Weiteren zeigen die nachexilischen Ergänzungen in Jes 29,17–34 und Jes 35,1–10, dass Verstockung nicht Verwerfung bedeutet. Der möglicherweise von Jesaja stammende Jes 32,1–5 zeigt zudem, dass vor allem die Armen und Benachteiligten Nutznießer der angesagten Umkehrung von Verstocktheit sind. Auch in Jes 40–55 gilt das Volk als verstockt; doch hier ist es eine menschliche, keine von JHWH verursachte Verstocktheit.  In Jes 59 und Jes 63–64 scheitert eine Gruppe innerhalb des Volkes an der Verstocktheit der Mehrheitsgesellschaft, die nur Gott selbst beenden kann. Damit lässt sich nach Köhler keine einlinige Entwicklung von „Sünde – Verstockung – Vergebung – Aufhebung der Verstockung“ in den Texten erkennen, sondern Verstocktheit ist ein immer wiederkehrendes Problem, das nicht abgeschlossen ist, was nach Köhler an Jes 57,14–19 erkennbar wird.

Daran schließen sich ein hilfreiches Fazit (Kapitel 7) und ein Ausblick zur Verstockung im Neuen Testament (8.) sowie Literaturverzeichnis, Abkürzungsverzeichnis und Bibelstellenregister an.

Auf die durchgehend erkennbare Auseinandersetzung mit der Arbeit des Rezensenten zum Thema kann hier nicht eingegangen werden. Vielmehr sollen hier bedenkenswerte Ergebnisse der Arbeit herausgestellt werden.

1. Zu begrüßen ist das durchgehende Bemühen um die Erschließung der theologischen Bedeutung der Thematik. Dazu trägt auch die Ausweitung auf die Rezeption des Themas im Neuen Testament bei.

2. Die Arbeit zeigt, welch hohe Relevanz das Thema der Verstockung für die redaktionsgeschichtlichen Fragen zum Jesajabuch hat und verstärkt den Chor der Stimmen, die Jes 40ff als konzeptionell bedingte Fortschreibung von Jes 1–39 ansehen.

3. Als besonders wichtiges Ergebnis steht, dass in Jes 29, Jes 32 und Jes 35 die Umkehrung von Verstockung insbesondere den Armen und Benachteiligten gilt. Damit hat sich eine zentrale Aufgabenstellung der Arbeit – weitere Texte in Jes 1–39 zur Verstockungsthematik zu berücksichtigen – als wirklich weiterführender Beitrag erwiesen.

4. Mit der Begrenzung der einbezogenen Sekundärliteratur auf einige wichtige Stimmen gelingt eine Fokussierung auf wesentliche Fragen und macht die Arbeit zugänglich für einen Leserkreis über speziell an der Jesajaforschung interessierte hinaus.

Sodann regt die Arbeit zu einigen Fragen an:

1. Dass in Jes 40–66 von „menschlicher Verstocktheit“ die Rede sei, die dem Volk angesagt wird, damit es sich aus dieser löst, lässt fragen: Ist damit der Zusammenhang zu Jes 6 richtig wahrgenommen? Ist der absolute Gebrauch der Verben, die auf eine Unmöglichkeit der Wahrnehmung und des Verstehens als Prozess verweisen, hinreichend berücksichtigt? Inwieweit wird hier das spezifische Verstockungskonzept im Jesajabuch als einer Verunmöglichung von Kommunikation (was Köhler zu Jes 6 durchaus auch so interpretiert) hin zu Verstockung als Halsstarrigkeit verändert?

2. Da sich in Jes 59 und 63–64 die Sprechenden ausdrücklich selbst in die Verstockung und Unfähigkeit, Gott zu fürchten (Jes 63,17), mit einbeziehen, überzeugt Köhler’s Interpretation der Verstocktheit als Zustand des Volkes, von dem sich die Sprechenden unterscheiden, nicht.

3. Die zentrale These, dass Verstocktheit ein immer wiederkehrendes Problem ist, ruht wesentlich auf der Interpretation von Jes 57,14–19; hier bleiben Fragen zu den textkritischen Problemen in Vv.17–18 sowie der Bestimmung der Zeitform der darin begegnenden Verben.

4. Zu den diachronen Bestimmungen würde man sich etwas ausführlicher wünschen, wie sich Köhler die anwachsenden Texte vorstellt: Gab es Niederschriften zu Teiltexten von Jes 1–39, die erst einmal parallel existierten? Wo lag z. B. Jes 1,2–9 vor, bevor es an diese Stelle am Anfang des Buches gestellt wurde (die Arbeiten von M. Sweeney, Isaiah 1–4, Berlin 1988 u. a. oder H. Williamson, Isaiah 1–5, London; New York 2006 u. a. dazu werden leider nicht referiert)? Was gehörte in Jes 40–48 nicht zur Grundschicht und was bedeutet dies für das Verstockungsthema? Insbesondere: wie ist Jes 48,1–11 darin zu verorten?

5. Wonach richtet sich, was unter synchrone Arbeitsschritte zu zählen ist? Warum bezieht Köhler Beobachtungen zu Rednerwechsel, Gattungselementen und inhaltlichen Aspekten ein und anderes (Struktur, poetologische Aspekte) nicht?

Insgesamt bereichert jedenfalls die Arbeit mit den Überlegungen zur Entstehungsgeschichte des Jesajabuches, der theologischen Fokussierung und der Erhellung der Rolle marginalisierter Personengruppen in den Verstockungstexten die Forschung zum Verstockungsthema im Jesajabuch und erweist mit der Ausweitung des Blickes ins Neue Testament auch deren gesamtbiblische Bedeutung.


Prof. Dr. Torsten Uhlig, Professor für Altes Testament an der Evangelischen Hochschule Tabor, Marburg