Altes Testament

Erasmus Gaß: Die Landverteilung im Josuabuch

Erasmus Gaß: Die Landverteilung im Josuabuch. Eine literaturhistorische Analyse von Josua 13–19, Forschungen zum Alten Testament 132, Tübingen: Mohr Siebeck, 2019, Ln., VII+437 S., € 139,–, ISBN 978-3-16-156944-9


Die Freude an der Literarkritik zieht sich von der ersten bis zur letzten Seite dieser Sammlung von acht Aufsätzen zu Jos 13–19, welche auch unabhängig voneinander gelesen werden können. An der katholisch-theologischen Fakultät Trier betreut der Vf. zurzeit ein DFG-Projekt zu den Ortsangaben in Josua (Ergebnisse fließen ein in odb.bibelwissenschaft.de) und arbeitet an einem neuen Josua-Band in der ATD-Reihe. Promoviert hat er über Bileam (2001), seine Habilitation beschäftigte sich mit den Moabitern (2007). Sein bisheriger Forschungsschwerpunkt lag u. a. auf dem Richterbuch.

Einen knappen Überblick über die literarkritische Forschung seit Alt und Noth (2–15) bietet die Einleitung. Der Vf. ordnet sich in die Reihe der Autoren ein, welche gegen Noth eine priesterliche Prägung der Texte betonen. Er stellt den aufgeführten Modellen eines komplexen redaktionsgeschichtlichen Werdegangs (Cortese, Kratz, de Vos, Achenbach, Otto, Knauf, Frevel) seinen eigenen Entwurf zur Seite, welcher von einer priesterlichen Grundschicht ausgeht, die mit Ortslisten durch drei priesterlich geprägte Redaktionen zusammengearbeitet wurde. Diese ließen sich u. a. anhand der Zahl der berücksichtigten Stämme (sieben, zehn, zwölf) unterscheiden. Entstanden sei dieser Textkorpus in Verbindung mit dem Buch Numeri, getrennt von dem deuteronomistisch (dtr.) geprägten Rest des Josuabuchs. Die Verbindung mit Josua erfolgte nach dem Vf. erst spät durch eine dtr. Erzähl-Redaktion unter Eintragung verschiedener Erzählungen (u. a. Landgabe an Kaleb und Josua, Otniel-Achsa-Tradition). Schließlich erfolgten übergreifende priesterlich und dtr. geprägte Angleichungen. Seiner Ansicht nach ist die sog. dtr. Landeroberungserzählung (DtrL) nicht wie traditionell von Dtn 1 bis Jos 22, sondern nur bis Jos 12* verlaufen (371–382).

In Fragen konkreter Datierung und religionsgeschichtlicher Verortung der Schichten zeigt der Vf. Zurückhaltung. Im Hinblick auf die Argumentationslogik fällt jedoch auf, mit welcher Gewissheit er eine frühe Datierung von Jos 13–19 ausschließt, trotz zahlreicher moderner Vertreter und mittel- und spätbronzezeitlicher Parallelen (17–19). Zur Begründung wird auf „die neueren sozialgeschichtlichen und archäologischen Erkenntnisse“ verwiesen (15). Die im Folgesatz mit Spannung erwartete Begründung, welche archäologischen „Erkenntnisse“ das Zeugnis der archäologischen Funde so grundlegend entkräften könnten (oder wenigstens ein Verweis auf weiterführende Literatur), entfällt leider ersatzlos.

Dem sichtbar geringen Interesse an synchroner Forschung ist es möglicherweise geschuldet, dass der Vf. die grundlegende Bedeutung des vierteiligen Modells von Hendrik Koorevaar, De Opbouw van het Boek Jozua,Heverlee: Centrum voor Bijbelse Vorming, 1990 für Howard, Pitkänen und die anglo-amerikanische Josua-Forschung insgesamt übersieht. Koorevaar wird mit einem späteren Beitrag auf S. 15, Anm. 75 zwar erwähnt, fehlt jedoch in der Bibliografie.

Der Aufbau der acht Aufsätze erfolgt meist so, dass nach textkritischen Bemerkungen ein Hauptteil mit „sprachliche Beobachtungen“ zu einer Textstelle (Auffälligkeiten in Einzelversen, Querbezüge zu anderen Büchern) gefolgt wird von einem knappen Überblick über redaktionsgeschichtliche Entwürfe anderer Autoren und schließlich einem eigenen Entwurf/Lösung.

Konkret behandelt werden in ungewöhnlicher Reihenfolge (vgl. dazu 20f) allerdings nur 96 der 218 Verse des Abschnittes: Kap. 13f und 16f vollständig, sowie die Abschnitte 15,13–19; 18,1–10; 19,49–51. Der erste Beitrag behandelt verstreute Bezüge in Josua 15–19 zu Num 34,2–12 und begründet eine der Hauptthesen dieses Buchs: Jos 15–19 sei ursprünglich als Anhang zum Numeribuch konzipiert worden und könne nicht vor Num 34 datiert werden. Hierbei argumentiert der Vf. mit dem „Idiolekt“, dem sprachlichen Fingerabdruck des Autors von Num 34, welcher sich in Jos 15–19 wiederfinde. Die literarische Abhängigkeit des Josuabuchs von Numeri lässt sich jedoch auch ohne redaktionskritische Umstellung im Rahmen der literaturhistorischen Theorie bzw. des hermeneutischen Programms des Josuabuchs selbst deuten: Die wörtlichen Bezüge auf Texte der Mosetora lassen die minutiöse Tora-Treue Josuas in einem noch größeren Glanz erstrahlen.

Hiermit sei angedeutet, dass der Rezensent die Notwendigkeit der literarkritischen Eingriffe des Vf. nicht immer nachvollziehen kann. Symptomatisch ist etwa der Zirkelschluss in den ersten Worten der Untersuchung: „Literarkritik und Redaktionsgeschichte haben derzeit einen schweren Stand, da beide Methodenschritte als subjektiv und spekulativ abgetan werden“, dennoch seien sie „unerlässlich“, denn feststehe, dass die „Texte eine längere Entstehungsgeschichte hinter sich haben“ und nicht von einem Autor stammen könnten (III). Ist diese angebliche Tatsache aber nicht vielmehr das Ergebnis des literarkritischen Ansatzes, welches seit nunmehr 50 Jahren gerade nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann? Folgt man dem Methodenbuch von Steck, Exegese des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 121989, 55, ist Literarkritik nur dann plausibel, wenn sich die Spannungen nicht zugunsten einer literarischen Einheitlichkeit erklären lassen. Die Plausibilität eines „spannungsreichen Endtextes“ auf synchroner Ebene ist jedoch für den Vf. nicht zufriedenstellend (118), die „störenden Dinge“ können doch so leicht auf unterschiedliche redaktionelle Schichten verteilt werden (137).

Wenn etwa Richard Nelson in seinem renommierten Kommentar die literarische Einheit von Jos 18,1–10 verteidigt und dabei sogar eine klare erzählerische Strategie aufzuzeigen vermag, tut der Vf. dies ab als ein geschicktes Umschiffen literarkritischer Probleme (106, Anm. 114). An solchen Stellen wird man den Eindruck nicht los, dass die Methode nicht nur den Weg, sondern auch das Ziel zu stark vorgibt: „Um es gleich vorwegzunehmen: Jos 18,1–10 geht vermutlich auf einen Grundtext zurück, der zwei Redaktionen und weitere Fortschreibungen erfahren hat“ (110). Ob eine so komplexe Konstruktion mit der Überzeugungskraft Nelsons konkurrieren kann, bleibt dahingestellt, lässt sich doch der subjektive Charakter der Argumentation nicht von der Hand weisen: Alleine in diesem kleinen – grundsätzlich im Ton überzeugter securitas-Sprache („vermutlich [..] tatsächlich“) formulierten – Fazit tauchen die Wörtchen „vermutlich“ und „offenbar“ insgesamt neunmal auf (110–115).

In der Gesamtschau besticht vorliegende Arbeit durch eine hervorragende Kenntnis des aktuellen literarkritischen Forschungsstandes. Vorbildlich ist auch das Bemühen um eine Einbettung der Septuagintaforschung in die Exegese, welche ein wenig an den Ansatz von Klaus Bieberstein in seiner Untersuchung zu Jos 1–6 erinnert. Beachtenswert ist zweifellos die abschließende Warnung davor, Schwierigkeiten im Rahmen der historischen Topografie vorschnell in den Bereich der Literarkritik abzuwälzen (371). Die intensive philologische Arbeit des Vf. an den Einzelversen und die Beobachtungen sprachlicher Zusammenhänge können für zukünftige Untersuchungen diachroner und synchroner Art gleichermaßen fruchtbar gemacht werden.


Dr. Siegbert Riecker ist Lehrer an der Bibelschule Kirchberg und External Instructor an der Evangelischen Theologischen Faculteit in Leuven.