Christian Hofreiter: Making Sense of Old Testament Genocide
Christian Hofreiter: Making Sense of Old Testament Genocide. Christian Interpretations of Herem Passages, Oxford Theology and Religion Monographs. Oxford: Oxford University Press, 2018, geb., X, 282 S., £ 83,– (ca. € 96,–), ISBN 978-0-19-881090-2
Das Verhältnis von Religion und Gewalt hat Konjunktur. Spätestens seit dem 11. September 2001 – vielleicht auch schon mit der Iranischen Revolution oder mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien – bewegt das Thema viele Menschen. Der Krieg in Afghanistan und im Irak, IS oder Anschläge in Pakistan – immer wieder werden Islam und Gewalt in einem Atemzug genannt. Schnell sind die Rollen dann verteilt: Islam als eine Religion der Gewalt und Christentum als die Religion des Friedens. Das ist beileibe keine moderne Perspektive. Der Islamwissenschaftler W. Montgomery Watt trägt einige bemerkenswerte Überzeugungen des mittelalterlichen Westens über den Islam zusammen (Der Einfluß des Islam auf das europäische Mittelalter, 99ff). Dabei haben Leser die Wahl, ob sie sich mehr von dem Ausmaß der Unkenntnis über den Islam oder von dem getrübten Selbstbild des Westens überraschen lassen. Diese vereinfachende Rollenverteilung hat eine gewisse Überzeugungskraft, wenn man eine Reihe von Bibelstellen, einige historische Ereignisse und das Machtstreben westlicher Mächte in Vergangenheit und Gegenwart auf umfassende Weise ignoriert. Die meisten dieser Bibelstellen finden sich im Alten Testament. Manche würden sagen, dass sie auf das AT begrenzt sind, was sich dann gut in die Rollenverteilung einfügt: „Das Thema Gewalt ist im AT genauso problematisch wie im Islam.“ Diese Behauptung wurde mir, nicht zuletzt, weil ich Alttestamentler und Islamwissenschaftler bin, schon häufiger entgegengehalten. Ich hatte dann die Wahl, ob mich mehr die Selbstverständlichkeit überrascht, mit der auch Christen dies behaupten, oder die damit zutage tretende Souveränität über eine so große Menge an Texten und Traditionen ein so vereinfachendes und wertendes Urteil zu fällen.
Christian Hofreiter beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der Auslegungsgeschichte einiger einschlägiger Stellen im AT, und zwar denen, die von einem Bann (herem) sprechen. Von der Anlage her ist es also eine historische und rezeptionsorientierte Untersuchung, wie christliche Ausleger mit diesen herausfordernden Stellen umgegangen sind. Außerdem spielen systematisch-theologische Perspektiven eine wichtige Rolle, da er sich vor allem der moralischen und hermeneutischen Herausforderung für fromme Leser (9) stellt. Er beschreibt die Herausforderung anhand von vier Aussagen, die seines Erachtens nicht alle vier gleichzeitig wahr sein können „(1) God is good. (2) The Bible is true. (3) Genocide is atrocious. (4) According to the Bible, God commanded and commended genocide.“ Sie werden widersprüchlich, wenn zu der folgenden Aussage verbunden: „A good being, let alone the supremely good Being, would never command or commend an atrocity.“
Bei der Auswahl der Ausleger legt Hofreiter ein besonderes Augenmerk auf fromme Leser, die den ersten beiden Aussagen zustimmen, auch wenn er sich darauf nicht begrenzt. Außerdem konzentriert er sich vor allem auf frühe und einflussreiche Auslegungen: „I have attempted to review all potentially relevant patristic sources and have aspired to a similar level of comprehensiveness only for the medieval crusades; on other respects I have focused on particularly influential or illuminating readings.“ (15).
Die Rezeption der Herem-Texte ist bis zur Moderne in der Regel unkritisch und kann im Wesentlichen drei Richtungen zugeordnet werden. Zum einen werden die Texte oft im übertragenen Sinne verstanden und behandeln dann die geistlichen Kämpfe und Herausforderungen, vor denen Christen stehen, was eng mit Origines verbunden ist (vgl. 57–87). Die Auseinandersetzung mit Marcion (und anderen kritischen Stimmen), der das AT und Teile des NTs ablehnte, weil hier von einem anderen, gewalttätigen Gott die Rede sei, mag dabei eine Rolle gespielt haben (vgl. 42–56). Eine andere einflussreiche Auslegung, „Divine Command Theory“ nach Hofreiter, hat in Augustinus einen wichtigen Vertreter. Die göttliche Anweisung zur Vernichtung ist demnach in der Schuld der Völker Kanaans begründet und spricht Israel in der Ausführung dieses göttlichen Gerichts von Schuld frei. Schließlich wurden die Texte auch immer wieder zur Legitimierung von Krieg und Gewaltanwendung herangezogen (160–213). Viele Auslegungen seit der Aufklärung können ebenso einer dieser drei Richtungen zugeordnet werden (214). Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Texten gewinnt aber in der Moderne immer mehr an Bedeutung. Matthew Tindal (1657–1733) spielt hier eine wichtige Rolle (219–225).
Zuletzt bleiben viele Fragen offen, wie auch Hofreiter abschließend unumwunden zugesteht: „There is therefore, in my view, no simple solution to the challenge these texts pose for pious readers, including Christian pious readers. That, obviously, is not at all the same thing as saying that there is no solution at all. One thing, which, in my view, all readers should affirm with uncompromising clarity is that any use of these texts to justify massacre, injustice and oppression is not a reading that is pleasing to God, but blasphemous.“ (251). Sein Buch bietet allerdings einige sehr wertvolle Einblicke in die Frage, wie christliche Ausleger durch die Jahrhunderte mit den einschlägigen Stellen umgangen sind. Seine differenzierte Darstellung und ausgewogenen Überlegungen sind ebenso hilfreich wie seine aufmerksame Frage, ob potenzielle oder postulierte Argumentationsmuster wirklich identifizierbar sind. Darin liegt ein wertvoller Beitrag von Hofreiters Buch. Außerdem kommen viele wichtige Aspekte zur Sprache – wenn auch manchmal notwendigerweise nur recht knapp – die zum Weiterdenken anregen. „Finally, beyond the matter of hermeneutical tension for ‚insiders‘ and criticism by ‘outsiders’, there is the question of imitating what one reads, in other words the question of whether these texts have been read in ways that inspired, condoned, or justified violence in the respective readers’ present.” (10) Nicht zuletzt dieser Frage lohnt es sich über das Buch und über seine Fragestellung hinaus weiter nachzugehen.
Heiko Wenzel, Ph. D. (Wheaton College), Akkreditierungsprojekt Campus Danubia, Wien