Neues Testament

Peter J. Williams: Glaubwürdig

Peter J. Williams: Glaubwürdig. Können wir den Evangelien vertrauen?, Neuried: CVMD, 2020, Pb., 157 S., € 11,90, ISBN 978-3-9817729-3-7


„Klein, aber oho.“ So oder so ähnlich könnte man Peter Williams’ Buch umschreiben, das auf die fundamentale Frage eingeht, inwiefern die biblischen Evangelien überhaupt glaubwürdig sind (engl. Can We Trust The Gospels?, Crossway, 2018). Zwar ist dies keine neue Fragestellung, doch greift der Autor neben klassischen Gründen auch neuere Perspektiven auf und kombiniert unterschiedliche Argumentationslinien. Als Direktor des Tyndale House, mit drei Abschlüssen der Universität Cambridge, Gastdozent ebendort, mit Forschungsbeiträgen sowohl in der Alttestamentlichen als auch in der Neutestamentlichen Wissenschaft, zählt Williams außerdem zum Übersetzungskomitee der Englisch Standard Version und leitet das International Greek New Testament Project.

Im Vorwort erläutert der Theologe sein Anliegen, einer breiten Leserschaft ein fundiertes und kompaktes Plädoyer für die Zuverlässigkeit der Evangelien zu liefern. In der Einleitung definiert er dann näher, was er mit Vertrauen meint; dieses kann auf soliden Indizien beruhen, ohne dass es in eine kurzsichtige Naivität abrutscht. Noch bevor die Leser den weiteren Ausführungen folgen, empfiehlt Williams, die Evangelien zunächst direkt einmal zu lesen.

Das erste Kapitel behandelt zunächst relevante außerbiblische Quellen, die man mit den biblischen Texten abgleichen könnte. Dass die Evangelien von Befürwortern des christlichen Glaubens geschrieben wurden, muss nicht automatisch ein Kritikpunkt sein. Dennoch wirken nichtchristliche Schreiber zunächst unproblematischer. So wertet Williams drei potenzielle Zusatzquellen aus: (1.) Cornelius Tacitus, dessen Schriften v.a. zeitgenössische Informationen, einen chronologischen Rahmen und geografische Informationen bieten. (2.) Plinius der Jüngere, ein römischer Legat, der mit Kaiser Trajan über den strafrechtlichen Umgang mit Christen korrespondierte. Zudem (3.) der jüdische Historiker Flavius Josephus, der nähere Einblicke in die Umstände der Frühen Kirche bietet.

Im zweiten Kapitel geht es konkreter um die christlichen Quellen und darum, was die Evangelien als besondere Textsammlung auszeichnet. Der quantitative und qualitative Vergleich mit antiken Quellen, z. B. mit jenen über den Kaiser Tiberius (mit Blick auf ihre Wortanzahl, frühesten Abschriften und Originalsprache), Aspekte der synoptischen Frage, Korrelationen innerhalb der Evangelien sowie Datierungsfragen weisen darauf hin, „dass die Evangelien aus der ersten Generation der Christen stammen und dass dies gut zu den traditionellen Ansichten über ihre Verfasserschaft passt.“ (48).

Besonders detailreich ist das dritte Kapitel: Williams analysiert anhand zahlreicher Tabellen, wie gut sich die Autoren der Evangelien mit den Gegebenheiten vor Ort auskannten und Zugang zu Informationen aus erster Hand hatten. Dazu gehören die verschiedenen Namen und Bezeichnungen von Städten und Dörfern, Regionen, Gewässern, lokalen Örtlichkeiten, Straßen, Personennamen (inkl. sogenannte Vereindeutigungen), botanische Begriffe, Geld, lokale Sprachen, antike Sitten, und weitere kulturelle Faktoren. Ein punktueller Abgleich mit späteren Evangelien (Thomas, Philippus, Judas, Maria) wird ebenfalls geboten.

Das vierte Kapitel wiederum nimmt subtile, indirekte Informationen der Evangelien in den Blick und geht den sogenannten unbeabsichtigten Übereinstimmungen (nach John J. Blunt) als relevantem Authentizitätsmerkmal nach: „Bei einer ungeplanten Übereinstimmung stimmen Autoren auf eine Weise überein, bei der es schwer vorstellbar ist, dass sie diese Übereinstimmung bewusst herbeigeführt hätten, um ihre Darstellung authentisch wirken zu lassen.“ (87). Williams deutet diese Detailbeobachtungen als zutreffende Schilderungen tatsächlicher Ereignisse, die einander ergänzen und dennoch jeweils ein „Teil eines größeren Ereigniszusammenhangs“ (97) sind.

Während Williams in seinem fünften Kapitel fragt, ob die Evangelien die Worte Jesu tatsächlich zuverlässig wiedergeben, und dabei auf den kumulativen Effekt der Argumente setzt, hat das sechste einen textkritischen Schwerpunkt. Hier erörtert er, inwiefern die Evangelientexte zuverlässig überliefert wurden und sich etwaige Änderungen zurückverfolgen lassen. Das siebte Kapitel ist recht knapp gehalten und hat eine eher hermeneutische Perspektive. Dabei geht der Autor anhand ausgewählter Beispiele formalen, absichtlichen Widersprüchen und nur augenscheinlichen Gegensätzlichkeiten in den Evangelien auf den Grund.

Im achten Kapitel bringt Williams die Fäden der vorigen Kapitel noch einmal zusammen und spricht sich angesichts der Einzelbeobachtungen für die einfachste Lösung aus: Die vier Evangelien sind in der Tat vertrauenswürdig, aber nicht nur auf der formalen Ebene. So nennt er weitere Gründe für die inhaltliche Glaubwürdigkeit der Evangelien und geht erneut auf potentielle kritische Anfragen ein. Zuletzt rückt der Autor die Person Jesu, die Inhalte seiner Lehre und seine Stellung innerhalb der biblischen Storyline in den Mittelpunkt. Dabei malt Williams seinen Lesern die logischen Folgen vor Augen, was wäre, wenn Jesus tatsächlich und noch immer der Christus ist. Die Endnoten mit über 180 Literaturhinweisen, Quellenbelegen und Anmerkungen runden das Paperback ab.

Eine definitive Stärke des Titels ist die Kombination von didaktisch kompakter Darstellung, argumentativer Prägnanz und inhaltlichem Tiefgang. Denn der Autor baut seinen Gedankengang stringent und anregend, kompetent und nachvollziehbar auf. Obwohl sich die Seitenzahl in Grenzen hält und der Schreibstil wenig fachspezifisch daherkommt, liegt dem Titel eine solide, wissenschaftliche Forschung zu Grunde. Williams‘ konservativer Ansatz kommt hier weder oberflächlich noch polemisch daher; er lässt Gegenargumente und kritische Forscher fair zu Wort kommen, deren Begründungen er teils entkräftet, teils nutzt oder umgeht, wenn sie wenig an seinem jeweiligen Kernargument ändern.

Anzumerken ist: Williams hat seinen fachlichen Schwerpunkt vor allem in der Textforschung, in den Sprachwissenschaften und anverwandten Gebieten. Diese Kompetenz nutzt er voll aus, um seine Leser auf eine spannende Detektivarbeit mitzunehmen. An manchen Stellen hätte eine dezidiert theologische Argumentation das Buch aber sicherlich noch bereichert und zeitgenössische Anfragen aufgefangen. So wirkt auch das letzte Kapitel mit seiner finalen Einladung zur Jesusnachfolge recht thetisch, zu nüchtern und mit Blick auf die vorigen Kapitel nicht ganz aus einem Guss.

Nichtsdestoweniger ist Glaubwürdig ein hervorragendes, konstruktives Buch für eine breite Leserschaft. Doch nicht nur Skeptiker und fragende Christen, auch haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter in Kirchen und Gemeinden werden von dem Titel profitieren und auf viel Material zum Weiterdenken stoßen.

Theologiestudenten und Bibelschüler wiederum stoßen hier auf einen hilfreichen Überblick zu zentralen Fragestellungen, aber auch zu klassischen und neueren Argumentationslinien der Evangelienforschung. Theologische Lehrkräfte hingegen könnten das Paperback z. B. als Diskussionsgrundlage in Seminaren oder als Einführung in den Unterricht nutzen, bevor sie spezifischere Themen dieses weiten Forschungsfeldes anderweitig vertiefen.


Daniel Vullriede, M.A., Dozent am Bibelseminar Bonn