Johann Arndt: Vier Bücher von wahrem Christentum
Johann Arndt: Vier Bücher von wahrem Christentum (1610). Buch 1. Kritisch herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Johann Anselm Steiger unter Mitwirkung von Thomas Illg, Philipp Jakob Spener, Schriften. Sonderreihe Texte – Hilfsmittel – Untersuchungen, Bd. VII.1, Hildesheim, Zürich, New York: Olms 2020, € 198,–, ISBN 978-3-487-15893-8
Nachdem in der Reihe „Ph. J. Spener, Schriften. Sonderreihe V.1–3“ (= Johann Arndt-Archiv, Bd. II.1–3) im Jahr 2007 die erste Gesamtausgabe von Arndts „Von Wahrem Christenthum“ (1610) als Reprint erschienen war, folgt nun in der gleichen Reihe als Bd. VII.1 (= Johann-Arndt-Archiv IV.1) das erste Buch des „Wahren Christentums“ als neu gesetzte historisch-kritische Ausgabe, herausgegeben und bearbeitet von Johann Anselm Steiger und Thomas Illg – ersterer als erfahrenem Editor von Texten aus dem 17. Jahrhundert (z. B. Johann Gerhard), letzterer auf Grund seiner Promotion zu Johann Arndts Verständnis der Imitatio Christi als ausgewiesenem Kenner dieses bedeutenden geistlichen Schriftstellers. Im Sinne einer Doppelausgabe als Reprint und Neusatz wird dann auch der Begriff „Hybridedition“ (im Nachwort, S. 467) zu verstehen sein, der ansonsten eher als Terminus für eine Ausgabe in Druck- und Digitalversion verwendet wird. Das durch zahllose Auflagen und Übersetzungen in viele andere Sprachen überaus wirksame „Wahre Christentum“ (467–471) ist es wert, endlich auch in wissenschaftlicher Manier vorzuliegen, und es ist zu hoffen, dass die noch ausstehenden Bücher 2 bis 4 in absehbarem Zeitraum folgen werden.
Eine inhaltliche Vorstellung des Arndtschen Werkes kann hier unterbleiben, so dass die vorliegende Edition in das Zentrum der Besprechung treten soll.
Dem eigentlichen Text sind als Anhang I die Vorrede zur zweiten Auflage von Buch 1 (1606), zusammen mit den Varianten der Urausgabe (1605), und als Anhang II die Beschreibung und notwendige Verzeichnisse der vorliegenden kritischen Ausgabe beigegeben.
Die Entstehungsgeschichte des ganzen Werkes Johann Arndts, vor allem aber des ersten Buches, ist reichlich kompliziert. Sie wird im Nachwort nachgezeichnet (475f). Die „Urausgabe“ (Frankfurt a. M.: Jonas Rosa 1605) liegt nach der Auskunft der Herausgeber heute nur noch in zwei Exemplaren vor, die ausführlich beschrieben werden. In der zweiten Auflage (Braunschweig 1606) hatte Arndt schon den Plan für sein Gesamtwerk dargelegt (abgedruckt: Nachwort 482) und auch die Gelegenheit wahrgenommen „seinem Erbauungsbuch einen stärker lutherischen Duktus zu verleihen“ (480). Noch im gleichen Jahr wurde eine veränderte Fassung dieser Braunschweiger Ausgabe herausgegeben, in der weitere Änderungen vorgenommen werden, womit „Phrases, so ich aus den alten Lehrern eingeführet“ (aus einem Brief Arndts vom 13.6.1606) erklärt oder korrigiert werden könnten (484). Diese zweite Braunschweiger Auflage ist jedoch eng mit der ersten verwandt, wie die Authentifizierung einiger identischer Druckbögen aufweist. Die Titelblätter der hier genannten Auflagen (1605 und 1606), sowie der weiteren Auflagen bis 1610 werden im vorliegenden Band jeweils als Faksimile vorgelegt. Insgesamt stellt das Nachwort die älteste Geschichte von Buch I des „Wahren Christentums“ schlüssig zusammengefasst dar.
Abgeschlossen wird die Ausgabe durch ein Bibelstellen- und ein Personenregister (unterteilt in „biblische“ und „sonstige“ Personen). Anstatt auf die entsprechenden Seiten der vorliegenden Ausgabe zu verweisen, beziehen sich die Einträge „auf die Paginierung bzw. Foliierung der Vorlagen“ (503). Für die Erstellung des Manuskripts mag dies eine Hilfe gewesen sein, weil zur finalen Registererstellung nicht auf den abschließenden Seitenumbruch gewartet werden musste. Für den Leser ist es aber eher mühsam, die zu suchenden Stellen zu finden. Insbesondere für das Auffinden von Registereinträgen, die auf den Abdruck der „Vorrede zur zweiten Auflage“ (Anhang I, S. 413–428) verweisen, trifft dies zu. Die Angabe der ursprünglichen Paginierung führt durchaus noch zu weiteren Unsicherheiten. Dass der im Personenregister mit einem Verweis auf die Seitenangabe der Ausgabe des „Wahren Christentums“ von 1605 aufgeführte Herausgeber des deutschen Sprichwörterlexikons K. F. W. Wander nicht bei Arndt erwähnt sein kann, ist noch leicht einzusehen. Anders hingegen ist es mit Plinius, der sehr wohl im Text von 1605 auftauchen könnte, aber in der vorliegenden Ausgabe lediglich in der erklärenden Fußnote erscheint (im Register jedoch mit dem Verweis auf die Seite der Ausgabe von 1605). Weitere Beispiele ließen sich anführen. Es wäre für die Herausgeber überlegenswert, in den noch ausstehenden Bänden dieser Edition die Referenzierung in den Registern zu ändern.
In „Anhang II“ (431–465) finden sich eine Beschreibung der „der Edition zugrunde gelegten Drucke“ (431–437), ein Verzeichnis der (von den Herausgebern vorgenommenen) Emendationen (439–448), ein „Quellen- und Literaturverzeichnis zur Edition“ (449–458) und schließlich ein „Editorischer Bericht“ (459–465), in dem Hinweise zur Textkonstituierung und -darbietung, zum Leittext sowie zur Darstellung der Varianten und zur Kommentierung gegeben werden.
Zum Schluss seien noch einige Bemerkungen zur Darstellung des Textes angefügt. Als Leittext fungieren weder die editio princeps noch die editio ultima (während der Lebenszeit des Autors), sondern die Fassung der „1610 publizierte(n) Gesamtausgabe als mit Blick auf den Autorwillen definitiver Fassung des Werkes“ (493) – eine Entscheidung, die ausführlich damit begründet wird, dass bis zu dieser Ausgabe „bisweilen tiefgreifende Veränderungen“ vorgenommen worden seien und die Ausgaben nach 1610 zahlreiche neue Setzfehler und irrtümliche Textauslassungen aufweisen, die als Zeichen dafür gewertet werden können, dass Arndt sich nach 1610 nicht mehr um die Betreuung der weiteren Ausgaben bemühte (494). Dennoch ist dieser Text (mit dem Siglum E) mit den Ausgaben aus den Jahren 1605 bis 1607 (Siglen A, B, C, D) und 1615 und 1617 (Siglen F und G) kollationiert und alle Varianten (auch die der Kolumnentitel und Marginaltexte) sind in den Apparat aufgenommen worden. Außerdem werden auch noch die durch die Corrigendalisten der Drucke B, C und E entstandenen Varianten aufgeführt (s. 463). Dadurch ergibt sich ein üppiger textkritischer Apparat, der im Haupttext durch kleine Buchstaben ausgezeichnet wird, während der kommentierende Apparat, der zu weiten Teilen im Nachweis der Bibelstellen und der Erklärung (heute) ungewöhnlicher Begriffe (mit Hinweis auf das Grimmsche Deutsche Wörterbuch) besteht, vergleichsweise schmal ausfällt. Auf Grund dieser minutiösen Dokumentation vor allem der Varianten und Druckfehler so vieler Auflagen bleibt es nicht aus, dass die Präsentation des Textes etwas unruhig wirkt und den Lesefluss behindert.
Der Ausgabe ist weiterhin ein gutes Gelingen und Fortkommen zu wünschen.
Dr. Klaus vom Orde, Halle (Saale)